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Interview Dr. Foeldvari: Kinderrheuma

Hamburger Elterninitiative rheumaerkrankter Kinder

In wieweit kann ich erkennen, ob mein Kind Kinderrheuma hat oder „nur“ alltägliche Beschwerden? Es ist wirklich schwer das abzuwägen und genau deswegen möchten wir aufklären, Mut machen, Zweifel nehmen und einfach allen einen tieferen Einblick ermöglichen. Deswegen freuen wir uns sehr, Euch heute ein Interview von dem Kinderrheumatologen aus Hamburg, Herrn Dr. Foeldvari vorstellen zu dürfen. Wir werden Euch die gesamte Weihnachtszeit mit auf die Reise nehmen, Kinderrheuma besser zu verstehen.

Wir möchten aufklären und helfen zu erkennen, was Kinderrheuma ist.

  • Welche Formen von Kinderrheuma gibt es?
    • Die Einteilung der chronischen Gelenksentzündungen erfolgt aktuell nach den ILAR Kriterien1
      • Juvenile idiopathische oligo-artikuläre Arthritis (weniger als 5 Gelenke betreffend)
      • Juvenile idiopathische poly-artikuläre Arthritis (5 oder mehr Gelenke betreffend, Rheumafaktor negativ)
      • Juvenile idiopathische poly-artikuläre Arthritis (5 oder mehr Gelenke betreffend, Rheumafaktor positiv)
      • Juvenile idiopathische Enthesitis (Sehnenansatzentzündung) assoziierte Arthritis
      • Juvenile idiopathische psoriatische (mit einer Schuppenpflechte verbundene) Arthritis
      • Juvenile idiopathische systemische Arthritis (mit Fieberschüben, Hautausschlag, evtl. Leber- und Milzvergrößerung einhergehend)

Es gibt auch andere Formen, wie Kollagenosen, Gefäßentzündungen oder autoinflammatorische Erkrankungen, aber diese treten seltener auf

  • Was sind die typischen Beschwerden der chronischen kindlichen Gelenksentzündung?
    • Morgensteifigkeit, die Gelenke sind morgens „eingerostet“ und müssen erst „eingelaufen“ werden
    • Gelenkschwellung
    • Gelenksrötung
    • Bewegungseinschränkung
    • Bewegungsfaulheit ohne Angabe von Schmerzen
    • Abfall der Belastbarkeit
    • Schmerzen

Gibt es Risikofaktoren? Hätte man die Erkrankung vermeiden können?
Es gibt keine Risikofaktoren, die man hätte vermeiden können.
Bekannte andere Faktoren sind

  • Infekte
  • Veränderung im Mikrobiom (das Mikrobiom des Menschen besteht aus Bakterien und Pilzen. Es umfasst nach heutigen Schätzungen etwa 39 Billionen dieser Mikroorganismen)
  • genetische (vererbte) Faktoren.

Wie viele Kinder sind in Deutschland betroffen? Wie ist die Tendenz?
Es ist eine der häufigsten chronischen Erkrankungen im Kindesalter, ungefähr 1 von 500 bis 1000 Kindern ist betroffen.

Wie erkenne ich den Unterschied von normalen Wachstumsschmerzen zu Kinderrheuma?
Wachstumsschmerzen treten abends oder nachts auf, meistens in den Beinen, mal links oder rechts, oder auch in beiden Beinen. Sie können sehr schmerzhaft sein und können bis zu 30 Minuten andauern. Die Kinder haben während des Tages keine Bewegungseinschränkung und keinen Leistungsabfall.

Was kann ich tun, wenn Eltern nicht ernst genommen werde?
Bei Beschwerden, die auf eine chronische Gelenksentzündung hinweisen, ist es sinnvoll, einen Termin bei Kinderrheumatologen/in zu vereinbaren.

Zu welchen Ärzten gehe ich?
Kinder- und Jugendrheumatologen/in

Kann man die volle Belastbarkeit wiedergewinnen?
Ja! Ziel der heutigen Therapie ist die Wiederherstellung der vollen Belastbarkeit

Können die Kinder und Jugendlichen am Sport teilnehmen?
Ja! Soweit sie können, ist es sinnvoll am Sportunterricht teilzunehmen. Es ist manchmal vorübergehend eine Befreiung von der Benotung beim Schulsport sinnvoll, so dass die Patienten von Ihrer Tagesform abhängend mitmachen können. Endziel der Behandlung ist, dass sie alles mitmachen können.

Kann mein Kind später Kinder bekommen?
Ja, die aktuellen Therapien der Erkrankung und die chronische Gelenksentzündung haben keinen Einfluss auf die Fertilität

Kann mein Kind eine normale Schulzeit erleben?
Therapieziel ist volle normale Belastbarkeit und dies kann man heute mit den aktuellen Therapieansätzen erreichen 

Was sind die möglichen Einschränkungen, mit denen ich und mein Kind rechnen müssen? (z.B. im Alltag, soziales Leben, etc.)
Es muss heute, wenn die Erkrankung rechtzeitig erkannt wurde und rechtzeitig nach „treat to target“ Konzept therapiert wurde, niemand mit langfristigen Einschränkungen rechnen.

Was ist das schwerste Leiden der Betroffenen (aus erster Hand). Vorüber beklagen sich Ihre Patienten am meisten? (z.B. sind es die Schmerzen, die Angst vor einer negativen Entwicklung?…)
Jeder Patient und jede Familie muss erstmal den „Schock“ verdauen. Langfristig lernen Patienten und Familie mit der Erkrankung zu leben und zu der Normalität zurückzukehren, besonders heute, wenn man das „therapeutische Fenster“ nutzt, die Erkrankung sehr gut kontrolliert werden kann und größtenteils eine volle Beweglichkeit wiederhergestellt werden kann. Es sind leider natürlich Phasen da, wo Gelenksbeschwerden oder Schmerzen auftreten, aber es sind mittel – und langfristig kontrollierbar.

Was sind Folgeerkrankungen, wenn ich nicht rechtzeitig therapiere? warum ist es so wichtig rechtzeitig zu therapieren?
Bei nicht rechtzeitigen effektiven Therapie können Bewegungseinschränkungen, im schlimmsten Fall Verlust der Mobilität, auftreten.

Ist Kinderrheuma heilbar? Wie ist die Statistik dazu?
Es ist nicht heilbar, aber es kann bei ganz bestimmten Formen ausheilen, wie bei der oligoartikulären Form ( <5 Gelenke) bis zu 50% oder bei der Rheumafaktor negativen polyartikulären Form um 30%. Ausheilen bedeutet, es tritt keine Krankheitsaktivität danach auf. Vorhandene Schäden verschwinden nicht.

Wie ist der aktuelle Stand der angesetzten Therapien zu bewerten?
Nach aktuellen Studien hat sich gezeigt, dass die Chancen, dass die Erkrankung über längere Zeit schläft oder evtl. ausheilt, umso größer sind, wenn möglichst früh im Verlauf der Erkrankung, möglichst in den ersten 6-12 Monaten, eine „schlafende“ Phase erreicht werden kann. Aktuelle Therapien können bei den meisten Patienten eine gute Kontrolle der Erkrankungsaktivität erreichen.

Werden Studien zu neuen Therapieansätzen durchgeführt?
Es laufen mehrere Zulassungsstudien mit neuen Als Zulassungstudien bezeichnet man eine Untersuchung der Wirkung der Medikation, die zu einer behördlich erteilten Erlaubnis der Medikation führt.

Können Sie uns eine Checkliste an die Hand geben, wie ich mich richtig auf den ersten Arztbesuch beim Kinderrheumatologen vorbereiten kann, denn häufig vergisst man das Wichtigste zu fragen.
Alle bisher erhobenen Befunde, wie Arztbriefe, Laborwerte, Befunde von der Bildgebung, mitbringen
Beschwerdemuster beobachten und zeitlichen Verlauf der Beschwerden… 

Wie ermutigen Sie Ihre Patienten und die Eltern?
Heute kann man mit einer gut eingestellten chronischen kindlichen Gelenksentzündung auch Marathon laufen, Traumberufe ausüben und die Familien- und Berufsplanung ist nicht eingeschränkt…

Vielen Dank für das Interview, Stand Oktober 2020

 

Dr. Ivan Foeldvari
Hamburger Zentrum für Kinder- und Jugendrheumatologie
Kompetenz-Zentrum für Sklerodermie und autoimmune Uveitis im Kindesalter
Lehrbereich des Asklepios Campus der Semmelweis-Universität, Budapest
Schön Klinik Eilbek, Dehnhaide 120, D-22081 Hamburg
Tel 040-2092-3697, Fax 040-2092-3693,
e-Mail sprechstunde@kinderrheumatologie.de, www.kinderrheumatologie.de