Ernährungsberaterin Nicole Kühling (@nicole.rheuma.nutrition.health) berät seit vielen Jahren Menschen in Gesundheitsfragen. Das Thema Ernährung ist ihr eine Herzensangelegenheit, denn bei ihrer Tochter wurde schon sehr früh Kinderrheuma diagnostiziert. Dadurch spezialisierte Nicole sich auf antientzündliche Ernährung mit dem Fokus auf Rheuma. Wir haben sie gefragt, wie man Kinder gesunde, im besten Fall antientzündliche Ernährung, schmackhaft machen kann und was Eltern als Vorbilder tun können.
Wie mache ich meinem Kind verständlich, dass es sich gesund ernähren sollte?
Das ist eine Frage, die mich auch am Anfang extrem gestresst und beschäftigt hat. Denn ich wollte es als Ernährungsexpertin natürlich besonders gut und richtig machen. Aber mir wurde sehr schnell bewusst, dass man bei Kindern mit Druck, Verboten, oder mit einer Überbewertung von guten oder schlechten Nahrungsmitteln, das gesamte Verhältnis zum Essen im Allgemeinen nachhaltig sehr stören kann.
Ich finde es aber trotzdem wichtig, gerade bei Kindern mit Grunderkrankungen, auf eine gesunde und vor allem ausgewogene Ernährung zu achten. Zum einen, um den Körper zu unterstützen, mit der schweren Arbeit besser zurechtzukommen und zum anderen um Folgeerkrankungen vorzubeugen. Denn das Risiko für andere Krankheiten kann je nach Verlauf durchaus erhöht sein. Und wie wir alle bereits wissen, sind die meisten Zivilisationskrankheiten ohnehin ernährungsbedingt.
Wie starte ich eine Ernährungsumstellung?
Als Erstes ist es sinnvoll, die Ernährung in der Familie gemeinsam anzuschauen und auch gemeinsam umzustellen. Gerade bei Kindern ist es wichtig, eine gesunde Ernährung vorzuleben. Kleine Kinder lernen durch Nachahmen der Eltern. Ebenso sollte es selbstverständlich sein, dass nicht der eine seine Schokofrühstücksflocken oder den Marmeladentoast isst, während der andere ungesüßte Haferflocken oder andere weniger attraktive Alternativen vorgesetzt bekommt. Vielmehr sollten gesunde Lebensmittel für die ganze Familie selbstverständlich sein.
Je nachdem wie die Ernährung vorher war, würde ich damit beginnen, gewohnte Lebensmittel langsam durch gesündere Alternativen zu ersetzen. Zum Beispiel eine normale Marmelade gegen eine selbstgemachte austauschen, Müslis selber mischen und einfach zu jeder Mahlzeit eine Gemüsebeilage dazu zu nehmen. Sehr einfach ist es auch, erstmal gesündere Fette in die Ernährung zu etablieren, ohne an den Mahlzeiten selbst, etwas verändern zu müssen.
Welche Ernährung ist empfehlenswert?
Rheuma ist eine entzündliche Krankheit mit einer überschießenden Immunreaktion. Deswegen gilt grundsätzlich die Empfehlung, sich entzündungshemmend zu ernähren, Trigger aus der Nahrung herauszufinden, die das Immunsystem überreizen und kritische Nährstoffe im Blick zu haben.
Es gibt, meiner Meinung nach, keine spezielle Ernährungsform, die grundsätzlich für alle empfehlenswert ist. Es sind zu viele individuelle Faktoren zu beachten, die nach meiner Erfahrung unterschiedlicher nicht sein können. Zudem zeigen sich bei Kindern oftmals gar nicht unbedingt Reaktionen auf bestimmte Lebensmittel – wie es bei Erwachsenen der Fall ist. Alleine schon deswegen rate ich von allgemeinen Ratschlägen ab und würde immer die Nährstoffaufnahme und nicht einzelne Lebensmittel im Fokus haben. Denn das ist oft bei Kindern schon Herausforderung genug.
Deswegen ist meine Empfehlung sich ein gutes Grundwissen über die Ernährung, vor allem die anti-entzündliche Ernährung und die Besonderheiten bei Autoimmunerkrankungen anzueignen, um so eigene, individuelle Entscheidungen zu treffen zu können. Die wichtigsten Punkte sind aber eine gute Versorgung mit Proteinen, da Entzündung immer auch Proteine raubt, eine Ernährung mit guten Fetten, da ein gutes Fettsäureverhältnis im Körper die Entzündungen regulieren kann, sowie sekundäre Pflanzenstoffe und Vitamine, da sie auf natürliche Weise helfen können, Entzündungen zu lindern. Ganz besonders wichtig ist hier auch eine gesunde Darmflora, die wir über die Ernährung formen und beeinflussen. In den letzten Jahren wurde immer deutlicher, welchen Einfluss der Darm auf die Entstehung und den Verlauf von Autoimmunerkrankungen hat.
Welche Lebensmittel lösen einen Schub aus?
Welche Lebensmittel problematisch sein können, ist sehr individuell und nicht nur vom Lebensmittel selbst, sondern oft auch von der Qualität des Lebensmittels, der Darmgesundheit oder einer eventuellen Allergie oder Unverträglichkeit abhängig.
Allerdings gibt es ein paar Lebensmittel bzw. Lebensmittelgruppen, die oft Reaktionen begünstigen können.
Diese sind: Lektine, vor allem das Gluten aus Weizen.
Das sind Stoffe in pflanzlichen Lebensmitteln wie Getreide oder Hülsenfrüchten, die die Pflanze vor Fressfeinden schützt. Gesunde Menschen mit einer intakten Darmflora haben keine Probleme mit diesen Stoffen. Allerdings können sie bei Autoimmunerkrankungen Probleme bereiten.
Ein Übermaß an Arachidonsäure, eine Omega-6-Fettsäure, die wir vor allem in fetten tierischen Lebensmitteln vorfinden. Hier gilt, dass es nicht das Lebensmittel an sich ist, sondern ein ungünstiges Verhältnis der Fettsäuren Omega-3 und Omega-6 die Entzündungsbereitschaft im Körper erhöht. Haltung und Qualität des Lebensmittels spielen hier aber ebenso eine große Rolle.
Zucker bzw. Probleme mit Blutzuckerspitzen. Isolierter Zucker und ständige Blutzuckerspitzen sind entzündungsfördernd und können darüber hinaus das gesamte Hormonsystem stören.
Nachtschattengewächse wie Kartoffeln oder Tomaten schützen sich ebenfalls durch bestimmte Stoffe vor Fressfeinden. Wie bereits erwähnt, kann dies Reaktionen des Immunsystems begünstigen.
Kuhmilch und daraus hergestellte Produkte. Das Casein der Milch, vor allem einer bestimmten Rasse, die bei uns in den meisten industriell verarbeiteten Produkten zu finden ist, macht bei vielen Menschen mit Autoimmunerkrankungen Probleme, da es im Darm Entzündungen fördert. Aber wie bereits bei den anderen tierischen Lebensmitteln erwähnt, kommt es hier auf die Qualität, die Herkunft und die Verarbeitung an.
Wie man bereits erkennen kann: Lässt man einfach einige oder sogar alle Lebensmittelgruppen weg, wird die Lebensmittelauswahl enorm eingeschränkt. Dies hat nicht nur gravierende Mängel zur Folge, sondern ist alles andere als gesund oder lebenswert. Deshalb ist es umso wichtiger, sich mit den Grundzügen einer bedarfsdeckenden Ernährung zu beschäftigen und individuelle Trigger in der Ernährung zu ermitteln.
Gerade bei Kindern wäre es unverantwortlich, ganze Lebensmittelgruppen zu streichen, ohne ersichtlichen oder triftigen Grund. Bestehen allerdings tatsächliche Unverträglichkeiten, gilt es gesunde und schmackhafte Alternativen zu finden und diese in den Alltag einzubauen. Der größte Fehler, den ich immer wieder sehe, ist sich nicht mit Nährstoffen zu beschäftigen und eliminierte Lebensmittel nicht durch geeignete Quellen zu ersetzen oder kritische Nährstoffe im Blick zu haben.
Als Beispiel: Wer sich vegan ernähren möchte, sollte sich auf jeden Fall mit Proteinquellen beschäftigen und bestimmte Vitamine wie B12 und weitere im Blick haben. Im Fall von Vitamin B12 wäre sogar eine Substituierung nötig, da man über eine rein vegane Ernährung diesen Nährstoff nicht aufnehmen kann.
Wie mache ich meinem Kind die antientzündliche Ernährung schmackhaft?
Jüngere Kinder haben noch kein Verständnis für die Aussage, dass ein Lebensmittel gesund oder ungesund ist. Sie verlassen sich in der Regel auf ihr Körpergefühl und teilen Lebensmittel einfach in schmackhaft oder ungenießbar ein. Den Begriff „gesund“ können sie gar nicht greifen. Deswegen bringen Bemühungen, dem Kind Ernährungswissen beizubringen, ziemlich wenig.
Als unsere Tochter kleiner war und sie schon verstanden hat, dass sie eine Erkrankung hat, die ihre Gelenke kaputt macht, habe ich ihr versucht, mit Bildern zu erklären, was das Lebensmittel in ihrem Körper macht. So habe ich ihr erklärt, dass ganz viel Zucker in ihrem Körper ihre Gelenke anknabbert. So wie bei den Zähnen Karius und Baktus. Und dass z.B. der Brokkoli die kleinen Zuckermonster einfangen kann und ins Gefängnis schmeißt. Das hilft, damit sie damit aufhören und sie bald wieder mit ihren Freundinnen herumspringen kann. Ebenso habe ich ihr erklärt, dass unser Bärenkraftsaft (in dem bringe ich oft Proteine oder Grünzeug unter) ihren Muskeln hilft zu wachsen, damit sie bald noch höher springen kann. Mit diesen Bildern, fällt es gar nicht schwer den Saft schmackhaft zu machen. Älteren Kindern und Jugendlichen kann man durchaus auch die tatsächliche Wirkung von Ernährung erklären. Ab einem gewissen Alter spüren sie oft selber, die Verbesserung oder Verschlechterung durch bestimmte Lebensmittel. Grundsätzlich gilt, eine gesunde Ernährung im Familienalltag Routine werden zu lassen. Geschmäcker verändern und entwickeln sich. Gemeinsames Aussuchen von neuen Rezepten mit anschließendem Einkaufen und Kochen, fördert die Neugierde auf neue Lebensmittel. Wichtig ist, das Essen nicht zu einer weiteren Belastung werden zu lassen. Ich finde, Kinder und Jugendliche mit Rheuma haben schon genug zu tragen und sollten sich nicht auch noch in anderen Bereichen bevormundet fühlen müssen.
Was isst mein Kind besonders gerne?
Ich bin ehrlich! Wie alle Kinder isst sie gerne süß. Das mache ich mir aber zunutze, in dem ich versuche, gesündere Süßigkeiten aus Obst und Nüssen herzustellen. Vor allem Smoothies kommen sehr gut an. Hier gelingt es mir auch Gemüse und Salat unterzubringen oder andere Sachen zu verstecken. Grundsätzlich geht aber immer Rohkost in allen Formen und Farben. Was auch spannend ist. Wir haben herausgefunden, dass es oftmals nicht die Lebensmittel an sich sind, die nicht gemocht werden. Sondern die Art und Weise, wie sie zubereitet sind. Rohes Gemüse geht besser als gekocht. Einzelne Komponenten besser als gemischt, wie zum Beispiel ein Auflauf. Auch das ist ein Tipp. Einfach mal neue Lebensmittel einzeln anbieten.
Ich denke, wer das Thema Ernährung in die ganzheitliche Behandlung mit einbringen möchte, sollte sich auf jeden Fall gut beraten lassen, um nicht in Fallen zu tappen, die man leicht vermeiden kann. Dann kann eine Ernährungsumstellung wirklich leicht gelingen.