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Interview mit Dr. med. Constanze Lohse: Prävention bei Autoimmunerkrankungen

Prävention bei Autoimmunerkrankungen: Interview mit Dr. med. Constanze Lohse

Interviewfragen für Dr. Lohse

1. Allgemeines über Prävention bei Autoimmunerkrankungen

  • Was bedeutet Prävention im Kontext von Autoimmunerkrankungen?

    Ziel der Prävention allgemein ist es, die Ursachen von Erkrankungen zu bekämpfen, bevor diese entstehen. Man spricht hierbei auch von Primärprävention. Autoimmunerkrankungen haben eine genetische Komponente, dennoch ist es kein unausweichliches Schicksal. Ob eine Erkrankung trotz genetischer Veranlagung ausbricht, hängt von der Epigenetik ab. Also Lebensstil- und Umweltfaktoren, die beeinflussen, ob Gene an oder abgeschaltet werden.
    Prävention kann aber auf verschiedenen Ebenen ablaufen, auch im Sinne der Sekundär- oder auch Tertiärprävention. Das heißt, selbst wenn sich die Erkrankung schon manifestiert hat, lohnt sich Prävention. Bei der Sekundärprävention geht es um das Erkennen der Erkrankung im Frühstadium, um das Fortschreiten durch gezielte Behandlungen zu verhindern. Bei der Tertiärprävention um das Verhindern oder Verringern von Folgeerscheinungen und Begleiterkrankungen.
    Außerdem hat man als Betroffene/Betroffener auch ein erhöhtes Risiko, an einer weiteren Autoimmunerkrankung zu erkranken. Vorsorge ist auch hier besser als Nachsorge. Außerdem möchte man vielleicht die Erkrankung bei seinen Kindern verhindern, die potenziell ein genetisches Risiko abbekommen haben.
    Die Investition in die eigene Gesundheit zahlt sich immer aus, egal wie gesund oder krank man schon ist.

  • Welche Rolle spielt die frühzeitige Diagnose, und wie kann sie den Verlauf beeinflussen?

    Je früher eine Krankheit diagnostiziert wird, umso besser kann sie behandelt werden. Das Fortschreiten der Erkrankung und somit auch Folgeerscheinungen und Begleiterkrankungen können vermindert oder sogar verhindert werden, wenn man rechtzeitig ganzheitlich therapiert und mit einem gesunden Lebensstilwandel „vorsorgt“.

  • Können Sie uns Beispiele für präventive Maßnahmen nennen, die speziell für Autoimmunerkrankte relevant sind?

    Ein gesunder Lebensstil ist die beste Gesundheitsvorsorge. Für Autoimmunerkrankte liegt der Fokus dabei darauf, das Immunsystem zu unterstützen und Störfaktoren, die Entzündungen und Immunreaktionen triggern, zu minimieren.Dazu gehört eine antientzündliche Ernährung, eine Sicherstellung einer optimalen Mikronährstoffversorgung, Alltagsbewegung und auch Sport, Stressreduktion und Schlafoptimierung sowie das Leben im Einklang mit der Natur bzw. der Schutz vor Umwelttoxinen.

2. Anti-entzündliche Ernährung

  • Wie beeinflusst die Ernährung die Entzündungsprozesse im Körper?

    Wie heißt es so schön: Du bist, was du isst. Unsere Ernährung hat einen viel größeren Einfluss auf unsere Gesundheit, als Viele glauben. Es gibt Lebensmittel, die direkt Entzündungen im Körper auslösen und unseren Darm schädigen. Diese gilt es zu meiden. Beispielsweise ein Mangel an Omega 3 und ein Zu viel an Omega 6 in der Ernährung legt den Schalter auf Richtung Entzündung. Andererseits kann man gezielt mit gesunder, nährstoffdichter Ernährung das Immunsystem unterstützen.

    Welche Lebensmittel sind besonders empfehlenswert, um Entzündungen zu reduzieren?

    • echte, natürliche Lebensmittel – Lebensmittel ohne Zutatenliste
    • frische Lebensmittel (regional, BIO, saisonal) oder Tiefkühlkost
    • Gemüse
    • zuckerarmes Obst (v.a. Beeren)
    • Gute Fette wie Olivenöl, Avocado
    • Omega 3 Fettsäuren aus Fisch, Algen, Leinöl
    • Hochwertiges Eiweiß
    • Fisch ca. 2 mal die Woche (fettreiche Kaltwasserfische wie Lachs, Hering, Makrele)
    • Fleisch aus artgerechter Haltung (z.B. Weide- Freilandhaltung oder Wildfleisch)
    • Eier
    • Hülsenfrüchte (traditionell zubereitet)
    • Milchprodukte (Weidemilch, insbesondere von Schafen und Ziegen)
    • Ballaststoffe (Gemüse, Flohsamenschalen, Kokosraspeln, Vollkornprodukte)
    • Nüsse und Saaten
    • Fermentierte Lebensmittel zur Darmstärkung (Naturjoghurt, Sauerkraut, Kimchi, Kefir, Oliven)
    • Wasser
  • Gibt es gängige Ernährungsfehler, die Menschen mit Autoimmunerkrankungen vermeiden sollten?

    Die westliche Ernährung heutzutage ist typischerweise geprägt durch den Konsum von primär industriell verarbeiteten Nahrungsmitteln, die reich an Zucker, Weizen und ungesunden Fetten sind und viele Chemikalien (Konservierungsstoffe, Pestizide, Farbstoffe, Antibiotikarückstände etc.) enthalten. Hinzu kommt, dass wir häufig nicht mehr selbst kochen, sondern auswärts essen und zu Fastfood greifen, was nicht nur nährstofflose Kalorien enthält, sondern unserem Körper direkt schadet.Genau wie Rauchen, Umweltgifte, Stress, Schlaf- und Bewegungsmangel führt eine solche Ernährung zu oxidativem Stress und einer Überlastung unserer körpereigenen Entgiftungskapazität und schließlich zur silent intoxication und zur silent inflammation- was Krankheiten vor allem Autoimmunerkrankungen mit verursacht bzw. auslöst.

Was man meiden sollte:

    • Allgemein Verarbeitete/ industrielle Lebensmittel
    • Fastfood, Junkfood
    • Zucker in allen Formen und Varianten, vor allem süße Getränke, Süßigkeiten
    • Weizen und andere Getreidearten
    • Transfette (teil gehärtete Fette z.B. in Chips, Croissant, Fertignahrung)
    • Zu viel an Omega 6 Fette (z.B. Sonnenblumenöl, Fleisch aus Massentierhaltung)
    • Zusatzstoffe/ Pestizide (z.B. Konservierungsstoffe, Emulgatoren, die die Darmgesundheit beeinträchtigen)
    • Alkohol

3. Nährstoffe und Mikronährstofftherapie

  • Welche Rolle spielen Nährstoffe bei der Prävention und Behandlung von Autoimmunerkrankungen?

    Ohne ausreichende Mikronährstoffe wie Vitamine, Mineralstoffe, essenzielle Fettsäuren und Aminosäuren funktioniert unser Stoffwechsel nicht. Sie können das Immunsystem direkt beeinflussen und Entzündungsprozesse regulieren und spielen daher eine wichtige Rolle bei der Prävention und Behandlung von Autoimmunerkrankungen.Vitamin D beispielsweise wirkt auf verschiedene Zellen des Immunsystems (Makrophagen, T-Zellen etc.). Ein optimaler Vitamin D-Spiegel kann dazu beitragen, das Immunsystem im Gleichgewicht zu halten und überschießende Immunreaktionen zu verhindern. Andererseits ist ein Vitamin D- Mangel mit einem erhöhten Risiko für die Entstehung von Autoimmunerkrankungen assoziiert. Es gibt sogar Forschungen, die auf eine Vitamin D-Resistenz bei Autoimmunerkrankten hinweisen und erklären, warum einige Autoimmunerkrankte deutlich höhere Vitamin D-Dosierungen brauchen, um optimale Vitamin D- Spiegel und bessere Gesundheit zu erreichen (siehe z.B. Hochdosis- Vitamin D- Therapie bei Multiple Sklerose nach dem Coimbra-Protokoll).

  • Gibt es bestimmte Mikronährstoffe, die besonders wichtig für Menschen mit Autoimmunerkrankungen sind?

    Wichtig ist zu sagen, dass es nicht das eine Wundermittel gibt. Sondern es ist ein ganzes Mikronährstofforchester, das zusammenspielt.Natürlich ist Vitamin D der Mikronährstoff, wenn es um Autoimmunerkrankungen geht, da es u.a. zahlreiche Gene des angeborenen und adaptiven Immunsystems reguliert. Aber auch Nährstoffe sind entscheidend. So haben beispielsweise Omega-3-Fettsäuren starke entzündungshemmende Eigenschaften. Antioxidantien wie Vitamin C und E schützen unsere Zellen vor oxidativem Stress. Selen, Zink sowie B-Vitamine und Aminosäuren sind Sparring-Partner für unser Immunsystem.Nicht vergessen sollte man auch die Darm-Immun-Achse und somit unsere Darmgesundheit, die primär durch die Ernährung gestärkt werden soll, aber auch Potential für eine Therapie mit Pro- und Präbiotika als Nahrungsergänzung birgt.

  • Wie kann man feststellen, ob ein Mikronährstoffmangel vorliegt?

    Durch eine Mikronährstoffanalyse. Wichtig ist hierbei zu beachten, dass die Nährstoffe im geeigneten Medium oder Form getestet werden. Zum Beispiel kommen einige Mineralstoffe primär intrazellulär vor, also in den Zellen, z.B. Magnesium zu über 90%, daher ist eine Bestimmung im Vollblut sinnvoll. Das normale (Hausarzt-) Labor misst im Serum, bestimmte Nährstoffmängel können damit aber nicht ausgeschlossen werden. Dafür braucht man Speziallabor und auch jemanden, der auf Mikronährstoffmedizin spezialisiert ist und entsprechend qualifiziert beraten kann.

  • Sollte man Mikronährstoffe pauschal einnehmen, oder ist eine individuelle Analyse nötig?

    Am besten ist immer eine richtige Mikronährstoffanalyse bei einem qualifizierten Therapeuten. Und dann nach dem Prinzip Messen-wissen-handeln. Wer dazu in keinster Weise die Möglichkeit hat, sollte auf jeden Fall dennoch Vitamin D und Omega 3 substituieren.

4. Stress und Autoimmunreaktionen

  • Wie stark ist der Einfluss von Stress auf Autoimmunerkrankungen?

    Größer als wir denken! Problem ist, über 90% der Deutschen sind gestresst- und die Auswirkungen auf unsere Gesamtgesundheit sind uns nicht bewusst, aber gigantisch. Stress bedingt auch einen Teufelskreislauf: wenn wir Stress haben, ernähren wir uns meist ungesund, haben keine Zeit zu Kochen und greifen zu Fastfood, Süßigkeiten, Alkohol und Co. Einerseits sind das nur nährstofflose Kalorien, andererseits schädigen diese Lebensmittel unseren Organismus, in dem sie Entzündungen fördern und unseren Darm schädigen. Grade in dieser stressigen Situation wäre aber eine nährstoffdichte Ernährung mit jede Menge Vitaminen, Mineralstoffen etc. entscheidend, da unser Stoffwechsel stressbedingt auf Hochtouren läuft. Durch den erhöhten Verbrauch und der verminderten Zufuhr an Nährstoffen entsteht ein Mikronährstoffmangel- der uns wiederum stressempfindlicher macht- ein Teufelskreislauf! Wenn wir Stress haben, bewegen wir uns außerdem weniger und schlafen schlechter- also man könnte auch sagen, Stress ist die „Wurzel“ allen Übels bzw. für den Autoimmunerkrankten/ die Autoimmunerkrankte besonders gefährlich.

  • Welche präventiven Techniken empfehlen Sie, um stressbedingte Entzündungen zu vermeiden?

    Jeder sollte das machen, was ihm möglich ist und woran er Spaß und Freude hat. Dazu gehören Atemübungen, Yoga, Meditation, tanzen- das sind alles wunderbare Techniken zur Stressprävention und -therapie. Manchmal reicht schon 1 min am Tag eine bewusste Atemübung.

5. Bewegung und Prävention

  • Was sollten Menschen mit Autoimmunerkrankungen bei der Auswahl ihres Trainings beachten?

    Auch da gilt: kein Stress bzw. nichts Extremes. Das Wichtigste ist die Alltagsbewegung: den Fahrstuhl statt der Treppe nehmen, mindestens 10.000 Schritte pro Tag, eine bewegte Mittagspause usw.. Bewegungstracker, Wearables bzw. -Apps können zum Gewohnheitstracking genutzt werden und zusätzlich motivieren sowie Erfolge sichtbar machen. Ergänzend zur Alltagsbewegung ist Sport wichtig und sollte gut in den Wochenplan integriert werden.

  • Können Sie erklären, wie Bewegung und Training die Immunreaktion positiv beeinflussen kann?

    Sport ist förderlich sowohl für das angeborene als auch für das adaptive Immunsystem. Zum einen wirkt es durchblutungsfördernd auf die Organe und steigert somit deren Funktion bzw. Leistung. Zum anderen mobilisiert es Immunzellen (Makrophagen, NK-Zellen, Leukozyten etc.). Es ist jedoch eine J-förmige Beziehung, d.h. eine moderate körperliche Aktivität führt zur Stärkung des Immunsystems, während eine hohe körperliche Aktivität das Immunsystem mit zunehmender Belastung schwächt – zumindest akut. Daher regelmäßig- aber in Maßen trainieren. Beachten sollte man hierbei auch einen erhöhten Nährstoffverbrauch durch Sport, der ausgeglichen werden muss mit entsprechender nährstoffdichter Ernährung und ggf. Nahrungsergänzung. Bei AutoimmunpatientINNEN wurde in Studien neben Verbesserung der Krankheitsaktivität und körperlichen Fitness auch eine Reduzierung von Entzündungsmarkern festgestellt. Besonders empfehlenswert ist Krafttraining.

6. Umweltfaktoren und Schadstoffe

  • Welche Umweltfaktoren tragen Ihrer Meinung nach am meisten zur Entstehung oder Verschlimmerung von Autoimmunerkrankungen bei?

    Das ist schwer zu sagen, da wir mittlerweile von so vielen Umwelttoxinen bzw. Schadstoffen umgeben sind. Neben den zum Teil schon sehr gut untersuchten Auswirkungen auf unsere Gesundheit einzelner Stoffe, sind die Auswirkungen der Toxine in Summe vollkommen unklar. Es ist auf jeden Fall von einem Summationseffekt auszugehen mit großem Ausmaß auf unsere Gesundheit. Umwelttoxine jeglicher Art können eine Mitursache für Autoimmunerkrankungen sein. Und unsere Umwelt ist voller potenziell gefährlicher Toxine, angefangen von Pestizid-Rückständen wie Glyphosat in Lebensmitteln; Schwermetallbelastungen wie Quecksilber, Arsen, Cadmium in beispielsweise Fisch, Reis oder Schokolade; bis hin zu polychlorierten Biphenyle (PCB), Phthalaten (Weichmacher) oder bis hin zu Strahlenbelastung.Daher gilt es für das Thema zu sensibilisieren. Nur leider ist die Umweltmedizin ein Gebiet, was häufig gar nicht beachtet wird.

  • Wie können wir Schadstoffe im Alltag reduzieren?

    Der wichtigste Schritt ist, sich potenzieller Schadstoffe bewusst zu werden und sie dann versuchen in sämtlichen Bereich zu reduzieren. Einfache erste Schritte sind beim Einkaufen im Supermarkt auf Bio zu setzen; Plaste zu reduzieren, also z.B. Glas- statt Plasteflaschen und -Tupper; Wasser filtern; Nutzung natürlicher Reinigungsmittel und Kosmetik sowie von Naturstoffen. Und nicht zu vergessen: nachts das WLAN ausschalten und das Handy in den Flugmodus.

  • Welche Rolle spielt Umweltmedizin in der Präventionsarbeit?

    Allein schon die PatientINNEN auf das Thema zu sensibilisieren, ist der erste Schritt und kann schon viel bewirken. Auch da gilt im Idealfall: messen-wissen-handeln. Zumindest Schwermetallbelastungen lassen sich meist gut über eine Blutanalyse detektieren. Und es ist auch da nie zu spät, etwas zu verändern.

Ein Interview von Dr. med. Constanze Lohse