Sehr geehrter Herr Geiger, Sie führen in Hamburg eine Praxis, die sich auf die Heilpraxis der
Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) spezialisiert hat.
Wo sehen Sie die Stärken der TCM?
Die Traditionelle chinesische Medizin ist eine ganzheitliche Medizin, das heißt die individuell unterschiedlichen konstitutionellen Anlagen des Menschen stehen immer im Fokus der Behandlung ganz unabhängig von der Krankheit um die es geht. Genau das ist eine der Stärken der TCM.
Um ein Beispiel zu nennen: Viele der Patienten, die von einem schweren Verlauf einer Autoimmunkrankheiten betroffen sind, frieren fast nie, sondern leiden im Gegenteil oft unter innerer Hitze, diese zeigt sich an solchen Symptomen wie großer Durst, innerer Unruhe und starken Nachtschweißen, neben den intensiven Entzündungszeichen an Haut, Gelenken und Darm.
All diese Symptome zeigen, dass, das Feuer (Yang) im Inneren zu stark ist und darunter die Säfte leiden und beschädigt werden, während der Gegenspieler das Wasser (Yin) im Verhältnis zu schwach ist. Dies berücksichtigen wir bei der Behandlung in der chinesischen Medizin.
So sollten diese Menschen nicht nur kühlende, entzündungshemmende chinesische Kräuterdekokte einnehmen, sondern auch ihren Lifestyle so ändern, dass diese Entzündung und innere Hitze nicht noch verstärkt wird. In der Ernährung sind stark gewürzte und gebratene Lebensmittel, sowie auch Alkohol und Kaffee zu meiden um diese innere Hitze nicht zu verstärken. Wobei diese Patienten paradoxerweise meist deftige und würzige Speisen sehr gerne mögen.
Ähnliche Auswirkungen auf die Entzündung haben auch Stress, intensive Emotionen, Überarbeitung oder Schlafmangel. Denn hat man dieses innere Feuer, dann „brennt“ man oft auch für den Job, geht über die eigenen Grenzen, was dann in unserer Leistungsgesellschaft auch noch belohnt wird. Für diese „heißen“ Menschen ist es meist sehr schwierig zu entspannen und zu regenerieren.
Regelmäßige Bewegung, gerne im Grünen, kann dabei helfen, aber auch andere meditative Übungen wie Yoga, Qi-Gong, aber auch Musizieren oder Malen. Körpertherapie wie Shiatsu-Massage, Osteopathie oder besonders auch die Akupunktur sind ebenfalls Möglichkeiten in einen Zustand der Entspannung zu kommen und so das schwache Yin/Wasser zu stützen, um das starke Strahlen des Yang/Feuers zu reduzieren.
Eine „artgerechte Ernährung“ („Ernährungsdoc“ Dr. Matthias Riedl) pflanzenbasiert mit viel Gemüse, Hülsenfrüchten und Ballaststoffen, ist nicht nur eine antientzündliche Ernährung, sondern stärkt auch das Yin. Rauchen und der dabei entstehende Feinstaub hat ebenfalls das Potential Entzündungsreaktionen im Körper auszulösen und vorhandene Entzündung so zu verstärken. Deshalb bedeutet das Rauchen im Kontext von Autoimmunkrankheiten Öl ins Feuer gießen.
Am 31.05.22 war Weltnichtrauchertag. Vielen Patienten, insbesondere denen mit chronischen Erkrankungen, wird empfohlen mit dem Rauchen aufzuhören. Gibt es im Bereich der TCM Möglichkeiten, Patienten, die nicht mehr rauchen wollen, Unterstützung anzubieten? Falls ja, welche konkreten Maßnahmen wären das?
Es gibt die Möglichkeit mit Akupunktur, speziell der Ohrakupunktur, den Suchtdruck gerade in den ersten Tagen und Wochen gezielt zu reduzieren. Das sogenannte Nada-Protokoll, eine spezielle Akupunktur der Ohrmuschel, ist eine sehr bewährte Methode, die im Drogenentzug, aber auch z.B. in psychiatrischen Kliniken wie am Universitätskrankenhaus Eppendorf (UKE) in Hamburg seit über 30 Jahren in Deutschland erfolgreich eingesetzt wird.
Dieses Protokoll dient der Verbesserung des allgemeinen Wohlbefindens und der psychischen Gesundheit. Ich habe vor 30 Jahren die „NADA“ (National Acupuncture Detoxification Association) in Deutschland mitbegründet, nachdem wir 1 Jahr zuvor in der Nähe von Itzehoe den ersten stationären Entzug für Drogenabhängige ausschließlich mit Akupunktur in Deutschland erfolgreich gestartet hatten. Dort wurde für die akute Phase des Entzuges, bzw. in den ersten Tagen und Wochen, Akupunktur 2 mal täglich durch das von mir ausgebildete Pflegeteam angeboten. Dieses Angebot wurde überraschend gut angenommen.
Generell konnten die Entzugserscheinungen wie Schlaflosigkeit, Übelkeit etc. verbessert werden, vor allem aber hatten die Klienten angegeben, dass sich der Suchtdruck damit deutlich vermindern ließ. Die rein körperlichen Symptome beim Nikotinentzug, sind ja eher leicht und nach 2-3 Tagen überstanden, aber das süchtig machende Potential von Nikotin, ist mit dem von Heroin und Kokain durchaus vergleichbar.
Kurze Zeit später entstanden die ersten ambulanten Einrichtungen meist angegliedert an bestehende Beratungsstellen. In der Zwischenzeit gibt es hunderte Kliniken und Beratungsstellen, die die Nada Akupunktur anbieten. In diesen Einrichtungen wird die spezielle Ohrakupunktur das „Nada-Protokoll“ in einem Gruppensetting angewendet. Das heißt, man sitzt in bequemen Sesseln circa 30 Minuten mit den Nadeln im Ohr und nimmt diese dann selbstständig vor einem Spiegel heraus und verlässt den Raum. Im Moment wird die Nada Akupunktur auch in Einrichtungen für traumatisierte ukrainische Flüchtlinge angeboten. Nähere Informationen finden sich unter www.nada-akupunktur.de.
Einige Patienten wünschen sich mehr Unterstützung aus ärztlicher Sicht bei ihrem Vorhaben von der Sucht loszukommen. Sie fühlen sich vielleicht alleingelassen mit diesem großen Vorhaben. Was raten Sie diesen Patienten?
Der Entzug von der Zigarette ist gekennzeichnet von einem hohen Suchtdruck. Gefühlt denkt man dann immerzu ans Rauchen. Dieser Zustand ist in den ersten Tagen und Wochen oft unerträglich. In dieser Zeit hilft die Akupunktur sehr, diesen Suchtdruck zu reduzieren.
Sport gibt ein gutes Körpergefühl, man merkt, dass der Körper sich entgiftet und dass das Blut mit dem Mehr an Sauerstoff einem z.B. mehr Ausdauer beim Joggen verleiht. Man fühlt sich sehr schnell deutlich gesünder und das motiviert, denke ich, am meisten.
Gerade in den ersten Wochen ist es eine gute Idee, aus der gewohnten Routine auszusteigen. Da könnte ich mir auch einen Aufenthalt in einer Wellnessoase oder Ayurvedischen Klinik gut vorstellen. Einfach um die kritischen ersten Wochen zu schaffen. Ein Wanderurlaub, vielleicht auch als Fastenwandern oder ein Mediationswochenende (während der Meditation hat man keinen Suchtdruck!) ist für den einen oder anderen, der darin auch Erfahrung hat, ein guter Einstieg in die Freiheit vom Rauchen. Mir persönlich ist die Raucherentwöhnung spontan nach einem grippalen Infekt gelungen. Mit einer Atemwegserkrankung ist es besonders unangenehm zu rauchen, da sich der Geschmacksinn oft so verändert, dass die Zigarette nicht „schmeckt“ und der Husten wird vom Rauchen auch nicht besser! Dann fällt der Ausstieg deutlich leichter und man kommt besser über die schwierigen ersten Tage und Wochen.
Keine gute Idee ist es, in besonders stressigen Zeiten, z.B. direkt vor wichtigen Prüfungen, aufhören zu wollen. Patienten berichten auch, dass Hypnose ihnen gut geholfen hat. Andere finden z.B. das Buch von Allen Carr „Endlich Nichtraucher!“ sehr hilfreich. Probleme können auch Suchtverlagerungen machen. Mit dem besseren Appetit ohne Zigaretten kann auch das Gewicht schnell nach oben schießen. Dann ist es ratsam konsequent auf Zwischenmahlzeiten zu verzichten, Zucker zu meiden, dafür viel Gemüse, Hülsenfrüchte und Ballaststoffe zu sich zu nehmen, um mit solcher kalorienarmen Kost, lange satt zu bleiben.
Es ist bekannt, dass Motivation bei der Raucherentwöhnung eine maßgebliche Rolle spielt. Eine positive Verstärkung kann wirksamer sein als Abschreckung oder der erhobene Zeigefinger. Wie motivieren Sie ihre Patienten?
Die beste Motivation ist das positive Körper- und Lebensgefühl, das sich mit dem Nichtrauchen sehr schnell wieder einstellt. Das sollte man sich immer vor Augen führen, wenn gerade das Verlangen nach einer Zigarette übermächtig erscheint.
Manche Patienten haben bereits früh mit dem Rauchen angefangen und somit neben dem Suchtfaktor auch eine Gewohnheit in ihrem Alltag etabliert, die es gilt zu verändern. Nun geht Verhaltensveränderung nicht von heute auf morgen, sondern fordert neben Motivation und Selbstdisziplin vielleicht auch Tätigkeiten, die stattdessen eine Art Stellvertreterrolle sein können wie z.B. Sport. Was halten sie von solchen Tätigkeiten?
Mit der Zigarette zum Bier oder Kaffee hat sich oft ein Ritual etabliert, auf das man meint, keinesfalls verzichten zu können. Hilfreich kann dann schon sein, eine Kräuterzigarette zum Kaffee zu „paffen“. Damit kann man dann auch wieder so richtig
tief einatmen, was man ohne Zigarette nicht unbedingt tut und somit einen Teil der empfundenen entspannenden Wirkung des Rauchens erreicht. Alternativ sind Achtsamkeitsübungen mit Atemtechniken wirksam.
Für andere ist das orale Bedürfnis oder Gewohnheit des Zigarettenrauchens durch Kaugummikauen gut zu kompensieren. Anders verhält es sich mit Sport, dabei wird im Gehirn das Belohnungssystem aktiviert und es werden Endorphine ausgeschüttet, also körpereigene Morphine, wodurch das Wohlbefinden sich steigert. Das ist natürlich das beste Gegenmittel gegen den Suchtdruck. Ähnlich funktioniert auch die Akupunktur.
Gibt es Anlaufstellen, die Patienten bei der Raucherentwöhnung begleiten?
Und wo kann man sich dazu informieren?
Leider ist mir außer der NADA (www.nada-akupunktur.de) keine Einrichtung, die ich empfehlen könnte, bekannt.
Gibt es in Bezug auf die Rolle der TCM bei der Raucherentwöhnung etwas, dass Sie sich in Zukunft wünschen?
Es fehlen stationäre Angebote in Kliniken zur Raucherentwöhnung, die z.B. das Nada-Protokoll kombinieren mit Bewegungsprogrammen und Mind/Body-Medizin, wie das z.B. in der Klinik für Naturheilkunde und Integrative Medizin (Huyssens Stift/KEM) in Essen von Prof. Gustav Dobos oder auch geplant im Schloss Tremsbüttel der Fall ist. Es sollte vor allem mehr niedrigschwellige Angebote im ambulanten Bereich mit der Nada-Methode geben, die auch Rauchern offenstehen. Die Kosten dafür sind gering im Vergleich zu den Kosten des Rauchens für die Gesellschaft. Es gibt eine gute Studienlage, die auch Vertreter evidenz-basierter Medizin überzeugen sollte. Bei Interesse gerne mit mir oder der NADA Kontakt aufnehmen.