Ich bin Regina und im Jahr 2014 erhielt ich die Diagnose Multiple Sklerose. Heute laufe ich den Megamarsch mit.

Wie es weiter ging…

2017 war ein schwieriges Jahr, ich war mehr im Krankenhaus als zuhause und das Leben lief aufgrund der Fatigue an mir vorbei, teilweise habe ich 18 Std am Tag geschlafen. Normale kleine Tätigkeiten im Alltag, wie zum Beispiel die Spülmaschine ausräumen, warfen mich schnell aus der Bahn. Ende 2017 war ich nach einem chaotischen Jahr am Boden angekommen. Wir zogen die Notbremse und ich wurde Krankgeschrieben auf unbestimmte Zeit.

Ich fing an mich selbst zu “ suchen“. Zu diesem Zeitpunkt nutze ich immer noch meine linke Hand als Ausgleich für meine Gleichgewichtsstörungen. Ein Arzt sagte mir „Das werden Sie nie weg trainieren können“. Das war der Satz der alles verändert hat. Ich wurde wütend und wollte dem Arzt und meinem Umfeld beweisen das ich es schaffen kann. Meine Reha wurde genehmigt und während der Reha die insgesamt über 6 Wochen ging fand ich immer mehr meine Motivation wieder. Ich lernte sehr viel über mich selbst und habe vor allem gelernt nein zu sagen und auf mich zu achten. Am letzten Tag der Reha habe ich einen Flyer von Verein Nik e. V. bekommen und kurze zeit später habe ich mich ehrenamtlich im Verein engagiert.

Mit meiner neu verschriebenen Schiene trainierte ich immer mehr und ich hatte wieder Spaß am Sport. Mitte 2018 hatte ich weitestgehend wieder gelernt normal zu gehen ohne meine linke Hand als Ausgleich für meine Gleichgewichtsstörung zu nutzen. Nach 10 Monate Krankschreibung habe ich eine Wiedereingliederung gestartet, es hat mir gut getan wieder einen geregelten Tagesablauf zu haben und auszuprobieren wie ich es schaffe zu arbeiten. Auf einer Redaktionssitzung von NIK e.V. haben wir Sportveranstaltungen zusammengetragen für die Homepage und ein Mitglied nannte beiläufig den Megamarsch und fragte ob wir den auch mit auf die Liste nehmen wollen. Mein Interesse war irgendwie sofort geweckt, sie erklärte kurz was es war und im nächsten Satz sagte ich “ Da möchte ich mitmachen und die erste Urkunde schaffen „.

Ich blickte in erstaunte und skeptische Gesichter. “ Du willst da mitmachen?”. Ich war mir sicher, ich möchte das ausprobieren und mal gucken wie weit ich komme. In meinem Umfeld stieß ich auf weitere Skepsis, jeder lachte mich aus und meinte ich bin verrückt das ich mir das antun will. Es gab nur wenige Menschen die an mich geglaubt haben. Nach einiger Zeit hatte ich jemand gefunden der mich begleiten wollte. Ich fing an intensiver an zu trainieren und freute mich auf die Challenge meines Lebens. Umso mehr Leute mir sagten, das schaffst du eh nicht, umso wütender würde ich. Ich wollte es meinen Umfeld beweisen das ich es schaffen kann.

Mittlerweile war ich mental auch so stark das ich die ganzen Aussagen ich schaffe es eh nicht weggeblendet habe und meine Wut in Motivation umgewandelt habe. Mein Vater war fest davon überzeugt, das ich gerade mal 5 km schaffen werde und hat überhaupt nicht verstanden warum ich auch noch eine Anmeldegebühr zahle. Der Tag kam und ich fühlte mich richtig fit und motiviert. Schritt für Schritt ging es los und schnell hatten wir das 5 km Schild hinter uns gelassen. Schnell fotografierte ich es und schickte es mit einem Smiley an meinen Vater. Es ging durch sowohl Stadt als auch Wald, die Berge machten mir von der Koordination aber auch das schaffte ich mit etwas Geduld und einem langsameren Tempo. Die erste Verpflegungsstation die bei km 20 war erreichten wir nach ungefähr 4 Stunden. Ich war voller Adrenalin und wir gingen weiter, bald kam die nächste Herausforderung nämlich die Dunkelheit. Nach insgesamt 9 Stunden haben wir unser Ziel erreicht und standen überglücklich am 40 km Schild. Ich hatte Blut gefleckt und habe mich an dem Abend noch entschieden ich noch einen Megamarsch machen möchte und mich dort übertreffen möchte.

Auf Instgram habe ich über den Megamarsch berichtet und über meine Idee das ganze zu wiederholen. Eine andere Multiple Sklerose Patientin meldete sich bei mir und fragte ob sie mich begleiten darf. Wir entschieden uns für Berlin. Mein Ziel für Berlin war die zweite Urkunde bei 60 km zu schaffen und das ganze ohne meine Schiene und dem Medikament was das Gehen unterstützt. Mein Vorhaben stieß erneut auf Skepsis, dieses mal nicht über meine Teilnahme sondern warum ich das ganze jetzt unbedingt ohne Schiene und Medikament machen möchte. Ich habe mir meiner Ärztin Rücksprache gehalten und sie unterstütze mein Vorhaben das Medikament abzusetzen und es ohne zu probieren.

Das war der zweite Versuch das Medikament abzusetzen, beim ersten Versuch habe ich nach wenigen Tagen das Handtuch geworfen da das Medikament auch sich positiv auf die Fatigue ausgewirkt hat. Dieses Mal wollte ich es aber durchziehen und nicht sofort wieder aufgeben. Die ersten Tage waren nicht einfach, ich war für ein paar Tage zurück in der Vergangenheit und habe nur geschlafen und hatte zu nichts Kraft. Nach ein paar Tagen wurde es aber etwas besser und ich merkte schnell das sich Bewegung und Sport positiv auf meine Fatigue auswirkten. Das erhöhte nochmal meine Motivation Sport zu machen. Der Sommer war extrem heiß und ich zweifelte mehrfach ob ich es wirklich schaffen werde in der Hitze zu starten, denn das Uthoff Phänomen hat öfter alte Symptome aufflackern lassen. Der Megamarsch rückte immer näher und es wurden erneut Wetten abgeschlossen wie weit ich es dieses Mal schaffen werde.

Es waren dieses Mal aber ein paar Leute die tatsächlich an mich glaubten das ich die 60 km schaffen werde. Den Skeptikern sagte ich „Eure Grenze ist nicht meine Grenze“ und ließ mich wie beim letzten Mal auch nicht davon beeinflussen. Am Tag vom Megamarsch waren es 34 Grad aber zum Glück war die Startzeit erst 16 Uhr und somit die schlimmste Mittagshitze schon vorbei. Die ersten Kilometer waren schnell vorbei und es wurde bei km 20 schon dunkel. Große Teile gingen durch den Wald und teilweise mussten wir über und unter Baumstämme oder durch Hecken, teilweise auch durch Sand. Das wurde auch nach einiger Zeit zum Problem denn der aufgewirbelte Sand sorgte in den Schuhen für zusätzliche Reibung.

Es war öfter eine Herausforderung durch die Nacht zu gehen wo die Stirnlampe das einzige Licht war. Nach 8 Stunden hatten wir die 40 km geknackt, mein erstes Ziel hatte ich erreicht nämlich meine km Zahl von Hamburg zu übertreffen. Bei km 50 bekam ich die ersten Blasen und hatte für ein paar Kilometer ein Tiefpunkt wo ich das Gefühl hatte ich kann nicht mehr und hatte auch irgendwie keine Lust mehr. Schnell hielt ich mir vor Augen was ich schon am Kilometer zurückgelegt habe und das es „nur“ noch 10 km bis zu meinem Ziel waren. Hier war ich an dem Punkt vor dem ich im Vorfeld so ein Respekt vor gehabt habe, nämlich ob ich mich wenn die Kräfte nachlassen psychisch motivieren kann weiter zu gehen. Ich dachte nochmal an mein Ziel und das ich es ja allen beweisen wollte das so etwas trotz MS möglich ist, also ging ich weiter. Bei km 55 entdeckte ich das die Urkundenstation erst bei km 63 ist und erneut war meine Laune am Tiefpunkt.

Wir motivierten uns aber gegenseitig und erreichten nach 13 Stunden die dritte Verpflegungsstation wo es auch die Urkunden gab. Ich war überglücklich als ich meine Urkunde endlich in der Hand hatte. Ich hatte es ohne Medikament und Schiene geschafft. Es hat mir gezeigt was alles möglich ist und das man an sich glauben muss auch wenn es eventuell andere nicht tun. Eine Teilnehmerin gab mir ein paar Worte mit und so endete der zweite Megamarsch mit meinem neuen Motto “ Mein Wille ist meine Grenze”.

Stand 2020