Ich bin Regina, 29 Jahre alt und bin in Schweden geboren und aufgewachsen. 2014 erhielt ich die Diagnose Multiple Sklerose.

Multiple Sklerose: Die Geschichte von Regina

Wie alles begann…

Rückblickend hatte ich höchstwahrscheinlich meine ersten Symptome mit ungefähr 17 Jahren. Anfangs waren die Beschwerden diffus. Ich habe verschwommen gesehen, war oft müde, das Gefühl im Bein war eingeschränkt und teilweise die Kraft auf einer gesamten Körperhälfte gemindert. Alles ist immer wieder zurückgegangen, dadurch wurden die Beschwerden nicht ernst genommen und keine weiterführenden Untersuchungen gemacht.“Sie wollen doch krank sein. Sie denken sich das aus, damit Sie nicht in die Schule müssen“ sagte sogar ein Arzt zu mir. Vieles wurde auch auf meine angeborene Gyrierungsstörung geschoben (Eine angeborene Störung der Faltenbildung in der Großhirnrinde). Im Nachhinein hat dies wahrscheinlich die Diagnosestellung verzögert. Jahrelang war dann gar nichts los, das einzige was nie weg war, war die bleierne Müdigkeit.

Ende 2010 fingen die Sehstörungen erneut an, gleichzeitig bekam ich ein neues Medikament für meinen Puls, der ständig stark erhöht war. Bereits im Januar 2011 sprach ich die Sehstörungen beim Kardiologen an. Als häufigste Nebenwirkung vom Medikament war das verschwommenes Sehen und somit war die Sache schnell vom Tisch. Die Müdigkeit und die Sehstörungen hielten weiter an.

Als die Sehstörungen Anfang 2014 zunahmen, sprach ich es erneut beim Kardiologen an. Dieses mal wollte er auf Nummer sicher gehen und schickte mich zum Augenarzt um eventuelle Schäden am Auge auszuschließen. Das Medikament war noch ziemlich neu und es war wenig über eventuelle Langzeit Nebenwirkungen bekannt. Der erste Augenarzt Besuch war wenig aufschlussreich. Er untersuchte nicht, er zog lediglich das Augenlid etwas herunter und sagte mir das ich trockene Augen habe und das Thema war für ihn damit abgehakt, ohne weitere Untersuchung. Ich holte mir eine zweite Meinung. Dieses Mal wurde ich gründlich untersucht. Die Gesichtsfeld Untersuchung war auffällig. Im linken oberen Quadranten waren Einschränkungen zu erkennen, alle noch orange/rot auf dem Ausdruck der Untersuchung. Die Ärztin teilte mir im Anschluss mit, das man diese Auffälligkeiten nicht ernst nehmen kann, denn ich habe das Gerät, mit dem die Untersuchung durchgeführt wurde, nicht verstanden und in meinem Alter sind da auch keine Einschränkungen zu erwarten. Das Thema war für sie vom Tisch, ich bestand jedoch auf eine Kontrolle und wir einigten uns auf eine neue Untersuchung nach ca. 6 Monaten. Zu diesem Zeitpunkt ahnte ich nicht das ich die Ärztin deutlich früher wieder sehen würde.

Es war kurz vor meinem 25. Geburtstag, 2 Wochen nach dem Termin beim Augenarzt, als die Sehstörungen drastisch zunahmen, sie waren so stark wie nie zuvor. Ich habe auf dem linken Auge nur noch wie durch ein Milchglas sehen können und die Farben waren nicht so intensiv wie vorher und das Auge schmerzte bei jeder Bewegung. Abends kam es noch zu einem Flackern auf dem Auge hinzu und das ich ein teil vom Gesichtsfeld nicht mehr sehen konnte. Ich habe meinen Nachtdienst noch beendet und bin dann im Anschluss direkt zum Augenarzt gefahren.

Die leicht genervte Arzthelferin schickte mich mit den Worten „Sie werden lange warten müssen“ ins Wartezimmer. Kurze Zeit später wurde ich schon aufgerufen zur Augendruckmessung, Werte massiv erhöht. Kurze Zeit später wurde ich schon zum Sehtest aufgerufen. „Eigentlich müssten da doch mehr Buchstaben sein“ sagte ich, ich habe nur 3 der Buchstaben auf der Sehtesttafel gesehen, verschwommen habe ich sie wahrgenommen, eher geraten als erkannt, als ich der Arzthelferin die Buchstaben aufsagte. Zügig wurde ich zum Gesichtsfeldtest mitgenommen, hier die ernüchternde Wahrheit, ich lag mit meinem Gefühl richtig. Der gesamte äußere Bereich vom Gesichtsfeld links fehlte. Der Test wurde noch zwei weitere Male wiederholt, immer das selbe Ergebnis. Ich war schneller drin bei der Ärztin als ich gucken konnte. Sie untersuchte nochmal gründlich und konnte nichts feststellen, schickte mich jedoch weiter zum Hausarzt, den ich noch heute unbedingt aufsuchen soll, sie hat nämlich vermutet das es an meinem Herzmedikament liegt. Gesagt getan, mein Hausarzt telefonierte mit meinem Kardiologen, schnell waren sie sich einig, das muss im Krankenhaus abgeklärt werden. Ich bekam eine Einweisung und wurde noch am gleichen Nachmittag auf der Neurologischen Station aufgenommen. Am Tag danach ging das Untersuchungsmarathon los. Im MRT waren Läsionen zu sehen und die Liquorergebnisse waren auch auffällig. Schnell kam der Verdacht auf Multiple Sklerose und einer aktuellen Sehnervenentzündung. Die Sehstörungen nahmen weiter zu und ich bekam Kortison als Schubtherapie. Ich wurde mit einem KIS (Klinisch isoliertes Syndrom) entlassen, im Juni nur knapp 2 Monate später hatte ich wieder Beschwerden. Dieses mal eine deutliche Schwäche im rechten Bein mit einer deutlichen Spastik. Nach einem kurzen Gespräch mit der Ärztin kamen die Worte, die ich schon erwartet hatte. „Die Diagnose hat sich bestätigt: Sie haben Multiple Sklerose. Wir starten heute noch mit Kortison“. Das war der Startschuss in mein „neues“ Leben. Einerseits war ich erleichtert, endlich eine Diagnose zu haben, die meine Symptome erklärten, anderseits wusste ich mein Leben wird nie mehr das, was es einmal war. Seit diesem Tag im Juni, habe ich ein neues Lebensmotto. „Wer kämpft kann verlieren, wer nicht kämpft hat schon verloren“.

Wie es weiter ging…

Am Tag nach der Diagnose,s aß ich nach der Infusion zu Hause auf dem Fußboden und sortierte Papiere. Ich wollte nur kurz aufstehen, stellte aber fest ich komme nicht hoch. Mein Bein lebte sein eigenes Leben. Weinend bin ich zurück auf den Boden geglitten nach einem weiteren Versuch aufzustehen. Hier entschied ich mich, keiner kann mir helfen, wenn ich es selbst nicht will. Die MS soll es nicht leicht mit mir haben. Nach zwei weiteren Versuchen habe ich es geschafft aufzustehen. Ich setze mich auf die Couch und begann in den Infoblättern die ich bei der Ärztin bekommen hatte zu lesen. Ich recherchierte in den nächsten Tagen viel. Ich hatte zwar in meinem Beruf als Krankenschwester öfter Kontakt mit MS Patienten und wusste dadurch schon Einiges, das meiste bekommt aber eine andere Bedeutung wenn es einen selbst betrifft. Ich machte mir Tabellen über Medikamente und deren Nebenwirkungen, um für mich das Medikament zu finden was am besten in meinen Alltag passte, telefonierte die eine Physiotherapie Praxis nach der anderen ab und führte viele Gespräche mit Familie und Freunden.

Ich entschloss mich für ein Medikament was alle zwei Tage gespritzt wird. Eine MS Schwester kam zu mir nach Hause und zeigte mir den Injektor und das Spritzen und gab mir noch eine Menge Infomaterial. Ich spritze knapp 2 Jahre, da ich leider weitere Schübe hatte wurde ich auf ein Medikament in Tablettenform umgestellt. Nur eine Tablette am Tag, deutlich einfacher als das Spritzen mit allem was dazugehörte. Im Mai 2017 hatte ich einen schweren Schub, ich war klinisch Blind auf dem rechten Auge. Alles war schwarz bis auf einer minimalen Stelle wo ich noch verschwommen etwas wahrnehmen konnte. Nach etlichen Gramm Kortison war lediglich der Bewegungsschmerz vom Auge besser und so entschied man sich für eine Immunadsorption. Das war das Beste, was mir passieren konnte, denn ich bin seitdem Schub frei. Nach vielem hin und her überlegen habe ich mich dann doch entschieden auf eine Infusion umzusteigen und das ist auch meine aktuelle Therapie, eine Infusion alle 6 Monate.

Was tue ich gegen die Symptome und welche Auswirkungen haben sie auf meinen Alltag…

Das was mich am meisten einschränkt ist die Fatique, die mit Müdigkeit und die schneller Erschöpfung einhergeht. Ich habe es nie für möglich gehalten, das ich eines Tages nach dem Spülmaschine ausräumen so müde bin, das ich mich erst mal ausruhen muss. Mittlerweile habe ich einige Tricks gelernt, wie ich damit besser umgehen kann. Ein Trick sind die heimlichen Pausen (z.B gehe ich auf Toilette um lediglich das kalte Wasser über meine Hände laufen zu lassen). Ich leide oft an kognitiven Störungen, je nachdem wie die Fatique sich verhält mal mehr mal weniger. Ich habe Konzentration und Aufmerksamkeitsstörungen, das bedeutet zum Beispiel das ich mir Dinge nicht mehr so gut merken, teilweise die Wörter nicht finde oder etwas nicht erklären kann. Flüssiges lesen bereitet mir teilweise auch Schwierigkeiten, da meine Augen zu langsam sind. Ich mache kognitive Ergotherapie (Hirnleistungstraining) um mir Tricks anzueignen wie ich meinen Defiziten arbeiten kann oder sie besser ausgleichen kann. Ich versuche auch so viel wie möglich selbst zu üben. Ich habe mir im laufe der Zeit einiges an Übungen und Material angesammelt. Üben kann man auch oft bei ganz alltäglichen Tätigkeiten z.B schreibe ich mir zwar einen Einkaufszettel, versuche aber erst mal ohne Zettel alles einzukaufen. Kurz vor der Kasse kontrolliere ich ob ich mich an alles erinnern konnte. Ich mache mir ToDo-Listen und versuche dadurch meinen Tag zu strukturieren um genügend Pausen zu haben. Ich habe auch das Glück das mein Freund und eine Freundin geduldig mit mir Üben.

An die Gesichtsfeldausfälle habe ich mich gewöhnt und zum Glück sehe ich nur noch selten verschwommen. Wenn ich verschwommen sehen sollte, orientiere ich mich oft an Farbkontrasten oder bitte die Menschen in meiner Umgebung um Hilfe.

Die Spastik im rechten Fuß verursacht ab und zu Schmerzen, besonders wenn ich nicht bemerke das der Fuß wieder in seine alte Falsche Position „abhaut“. Ich habe von meiner Physiotherapeutin viele Tipps bekommen wie ich das selbst behandeln kann z.B. in dem man gezielte Triggerpunkte drückt oder ein Magneisumfußbad nimmt.

Ich versuche Bewegung und Sport in meinen Alltag einzubauen. Ich fühle mich dadurch besser und bin besser gewappnet für einen eventuellen Schub. Vor dem zur Diagnose führenden Schub war ich sehr aktiv. Mehrere Workouts im Fitnesscenter hintereinander oder 10 km Inline Skates fahren, stellte alles kein Problem dar. Nach dem Schub im Bein, war ich froh wenn ich mit Hilfe von einer anderen Person überhaupt auf den Inline Skates stehen konnte. Nach vielem Trainieren konnte ich wieder kleinere Strecken joggen und auf den Inline Skates fahren. Zeitweise hatte ich mir nach einem anderen Schub angeeignet mit dem linken Arm das Gleichgewicht zu halten. Solange der Arm in irgend einer Form angespannt war und die Hand verkrampft, konnte ich mich relativ frei bewegen. Es hat knapp ein Jahr gedauert bis ich es ganz ablegen konnte. Heute gibt es nur einzelne Rückfälle. Ich versuche immer in vielen kleinen Schritten an mein Ziel zu gelangen, denn mit den kleinen Erfolgen schaffe ich meine Motivation beizubehalten.

Regina beim MegamarschMein Rat an Betroffene…

Die Diagnose einer unheilbaren chronischen Erkrankung stellt immer eine Herausforderung dar. Anfangs prasseln viele Informationen und Ratschläge auf einen ein. Plötzlich muss man sich mit Medikamentennebenwirkungen und Arztterminen beschäftigen. Es ist sehr viel am Anfang, ich kann jedem nur Raten sich nicht stressen zu lassen und die Entscheidungen über Medikamente etc. ganz in Ruhe zu treffen. Wichtig ist auch sich zu trauen um Hilfe zu bitten. Als ich den schweren Schub hatte mit den Augen, habe ich anfangs gezögert Menschen in meiner Umgebung um Hilfe zu bitten. Nach einiger Zeit habe ich irgendwann wie selbstverständlich die Verkäuferin im Supermarkt gebeten mir das Mindesthaltbarkeitsdatum vorzulesen und mir dabei behilflich zu sein ein Produkt zu finden, was ich nicht selbst im Regal finden konnte. Sich austauschen mit anderen Betroffenen kann auch sehr hilfreich sein, jedoch muss man im Hinterkopf behalten, das MS die Krankheit der 1000. Gesichter ist. Alles kann, aber muss nicht passieren. Jeder Verlauf ist anders. Ich habe sehr viele tolle Menschen durch die Krankheit kennengelernt und dafür bin ich dankbar, nicht alles was mit MS zu tun hat, ist negativ. Man muss sein Leben ein bisschen umkrempeln aber irgendwann gehört auch die Physiotherapie wie das tägliche Zähneputzen dazu. Anfangs sieht man kein Ende vom Tunnel, aber es pendelt sich alles ein nach und nach ein.

Stand 2017