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Multiple Sklerose: Die Geschichte von Julia

Mut Mach Geschichte von Julia Hautz - Multiple Sklerose

Name: Julia Hautz
Alter: 39
Diagnose: Multiple Sklerose (Diagnose Juni 2017, erster Termin bei einem Neurologen wegen deutlicher Symptome und Verdachtsdiagnose MS 2011 (!))

 

Wie verlief dein Weg von den ersten Symptomen bis zur Diagnosestellung?

Der Weg war extrem anstrengend und ich wurde leider über Jahre hinweg von verschiedenen Neurologen nicht ernst genommen mit meiner Symptomatik. Selbst dann, als ein MRT meines Schädels spezifische MS-Läsionen aufwies, hieß es: „Sie sind viel zu jung für MS“. Damals war ich 28 Jahre alt. Mit 34 sagten die Ärzte mir: „In Ihrem Alter ist es doch vollkommen normal, dass man mal hinfällt oder Wortfindungsstörungen hat.“ Ich bin über viele Jahre von Pontius zu Pilatus gelaufen, musste hartnäckig bleiben, war in unterschiedlichen Städten bei Fachärzten und trotzdem wurde meine MS-Diagnose erst 2017 gestellt, als ich schließlich wegen beidseitiger Sehnenentzündung ins Krankenhaus musste. Dort wurden endlich (!) alle nötigen Untersuchungen gemacht und ich bekam die Diagnose schließlich schwarz auf weiß.

Wie erinnerst du den Moment, an dem du deine Diagnose erhalten hast?

Einerseits war es natürlich ganz schlimm, die Diagnose zu erhalten. Ich war trotz meiner Vermutungen im ersten Moment wie in einem Schockzustand. Es war, als würde die Zeit stehen bleiben und alles wurde für mich mit einem Moment unwichtig und unwirklich. Andererseits war ein Teil von mir auch unglaublich erleichtert und konnte zum ersten Mal seit vielen Jahren durchatmen: Ich hatte mir nichts eingebildet, ich habe nicht „gesponnen“, ich hatte wirklich eine Erkrankung.

War dir bewusst, was die Diagnose für dich bedeuten kann?

Ja, das war es. Aufgrund meines Studiums, mit Schwerpunkt auf Neurobiologie, kannte ich die molekularen Abläufe bei MS und auch die unterschiedlichen Symptomatiken. Ich habe mich dann nach der Diagnose erneut mit MS auseinandergesetzt und auch zur aktuellen Studien- bzw. Forschungslage recherchiert.

Wie weit ist deine Krankheit fortgeschritten?

Ich habe das große Glück, dass ich mich weiterhin in einem milden und schubförmigen Verlauf befinde. Im Alltag habe ich nur selten Symptome, die ich deutlich wahrnehme, und das auch meist im Sommer, wenn es draußen sehr warm ist, oder in sehr belastenden und stressigen Situationen.

Macht es dir Angst, wenn du in die Zukunft blickst?

Zu Beginn der Diagnose hatte ich große Angst – klar. Meine Befürchtungen waren, dass ich nie wieder einer Arbeit nachgehen könnte, die mir Freude bereitet und die mich gleichzeitig auch fordert. Ich habe auch gedacht, dass ich generell keine Freude mehr im Leben haben und ab jetzt alles „bergab“ gehen würde. Auch körperlich.
Mittlerweile weiß ich aber, dass das absolut nicht stimmt. Ich lebe viel gesünder als vor der Diagnose, was sich natürlich auch körperlich positiv bemerkbar macht. Mein Leben ist erfüllter als es je war, vermutlich auch, weil ich mich durch die Diagnose zum ersten Mal so richtig damit beschäftigt habe, was eigentlich meine Bedürfnisse sind und wie ich mein Leben gestalten möchte, um glücklich zu sein. Und danach habe ich dann entsprechend Stück für Stück diese Veränderungen umgesetzt.

Was macht dir Freude und motiviert dich, wenn du an die Zukunft denkst?

Mein Leben, so wie es jetzt ist, mit den Menschen, die gewählter Teil meines Lebens sind. Mit meinem Mann, unseren Katern, unseren Familien, Freund*innen, Kolleg*innen. Was mir auch große Freude bereitet, ist meine Arbeit als systemische Coachin mit MS-Erkrankten, die mit ihrer MS ein glückliches Leben führen möchten, und mit Menschen, die sich beruflich neu orientieren. Nur wegen der Veränderungen, die durch die MS-Diagnose in mir stattgefunden haben, habe ich mir selbst die Erlaubnis gegeben, nicht nur privat, sondern eben auch beruflich das zu tun, was ich mir wünsche, was mich erfüllt und was in meinen Augen sinnvoll ist.
Was mich in Augenblicken motiviert, in denen es mir mal nicht so gut geht, denn das gehört natürlich zum Leben auch dazu, ist das Wissen darüber, welche belastenden und schwierigen Situationen ich in meiner Vergangenheit gemeistert habe und wie ich das geschafft habe.

Welche Tricks und Kniffe hast du im Laufe deiner Erkrankung herausgefunden, die dir das Leben erleichtern?

Da gibt es Vieles 🙂. Aber einer der in meinen Augen wichtigsten Tipps ist Kommunikation. Ich bin davon überzeugt, dass man immer, wenn man alleine nicht weiterkommt oder man sich mit Unterstützung Erleichterung verschaffen kann, das auch kommunizieren darf und vielleicht sogar sollte. Wenn man seinem Umfeld nicht mitteilt, was in einem vorgeht oder was man braucht, dann können die Menschen um einen herum es auch nicht wissen bzw. geben. Gib deinem Umfeld also gerne die Möglichkeit, dir zu helfen und dich zu unterstützen, du wirst überrascht sein, wie erleichternd sich das anfühlen kann.
Darüber hinaus gibt es natürlich viele Alltagstipps zur Linderung der unterschiedlichen Symptome. Von Kühlwesten oder Wassersprays an sehr heißen Sommertagen über ergonomische Gehhilfen bis hin zu Checklisten zur Urlaubsplanung mit den jeweiligen Medikamenten.

Wie geht es dir aktuell? Therapierst du gerade?

Meine MS ist glücklicherweise stabil und ich bin immer dabei, mein Therapiekonzept weiter für mich zu optimieren. D.h., dass ich neben einem Medikament, das zu meinem Alltag und meinen Bedürfnissen passt, auch weitere Lebensbereiche, die ich selbst beeinflussen kann, optimal auf die MS ausrichte.

Hast du schon alternative bzw. begleitende Therapiemethoden ausprobiert, die dich bei deinen regulären Behandlungen unterstützen konnten?

Zur Unterstützung eines positiveren Verlaufs der MS habe ich viel in meinem Leben geändert. Ich lebe generell gesünder, esse und trinke bewusster, achte auf meine Schlafhygiene, mache regelmäßig Sport (eine Mischung aus Ausdauer-, Kraft- und Gleichgewichtstraining) und arbeite konstant daran, dass es auch meiner Seele gut geht. Negativer Stress und andauernde Belastungssituationen sind nach meiner Erfahrung pures Gift für die MS.

Was wünschst du dir in Bezug auf deine Erkrankung?

Ich wünsche mir einerseits verstärkte Forschung im Bereich der medikamentösen Therapie, die noch gezielter am pathologischen Mechanismus der MS ansetzt, damit weniger Nebenwirkungen mit den Therapien einhergehen. Andererseits wünsche ich mir auch mehr Wissen in der Gesellschaft über die Erkrankung, über die Verläufe und die Symptomatik. Das kann im Alltag von Betroffenen Vieles leichter machen, weil man sein Verhalten in bestimmten Situationen und die MS nicht immer wieder von Neuem komplett erklären muss.

Schlusswort:

Das Leben ändert sich ständig und das ist auch gut so. Plane deshalb dein Leben so, wie du es dir wünschst und hab immer im Hinterkopf, dass deine Pläne auch durchkreuzt werden können. Und sollte das passieren, steck nicht den Kopf in den Sand, sondern plane von dieser Situation aus wieder neu.