Name: Anne-Christin Bierwirth
Alter: 36
Diagnose: Rheumatische Arthritis (2007), Psoriasis Arthritis (2022), Zöliakie (2007), CED (2007), PTBS (2022), Lip-Lymphödem der Arme und Beine (2007)
Dein Körper hat so viele Krankheiten zu verkraften, sag uns doch zur besseren Einordnung bitte erstmal, welche das sind, welche zuerst da waren und wann welche dazu kam.
Ich habe zwei verschiedene rheumatische Grunderkrankungen: Rheumatische Arthritis und Psoriasis Arthritis. Zusätzlich habe ich noch eine chronisch entzündliche Darmerkrankung, die sich mit dem Rheuma triggert und auch noch Lip-Lymphödem an Armen und Beinen. Außerdem leide ich an PTBS und Zöliakie.
Mein Weg zu den Diagnosen war sehr steinig und lang. Am Anfang lag der Verdacht auf Morbus Crohn und daraus resultierendes Rheuma, weswegen ich erst mal gegen den Crohn behandelt wurde. Einige Zeit später kam die Diagnose rheumatische Arthritis hinzu – mit schon betroffenen Gelenken. Mein rechtes Knie ist schon seit meiner Jugend kaputt (Knorpelschaden 3. Grades, auch nach OP), meine Finger sind verformt, was mir zwar nicht dauernd, aber immer wieder Beschwerden macht. Meine Wirbelsäule ist auch nicht in Ordnung und ich hatte schon drei Bandscheibenvorfälle in den Lendenwirbeln.
Meine ersten Symptome hatte ich wohl schon in meiner Kindheit. Ich erinnere mich daran, dass ich immer wieder entzündete Sprunggelenke hatte, aus heiterem Himmel. Wir waren damals sogar extra in Kassel in der Kinder- und Jugendorthopädie. Da gab es ein paar Einlagen und den Spruch, ich solle doch besser aufpassen, wo ich hinlaufe. Nach meiner ersten Schwangerschaft mit 18 Jahren wurde es in den Händen massiv. Ich hatte immer wieder schlimme Schmerzen, so dass ich noch nicht mal die Decke auf den Händen ertragen konnte. Ab diesem Zeitpunkt kam alles ins Laufen: Die erste Diagnose hatte ich dann mit 20 Jahren.
Erinnerst du dich an den Moment, an dem du die Diagnose(n) erhalten hast? Wie hat er sich angefühlt?
Ich war geschockt und fühlte mich irgendwie fehl am Platz. Ich dachte, das ist eine Krankheit für alte Leute. Ich war zu dem Zeitpunkt in einer Klinik mit anderen Rheumapatienten und war die Jüngste dort. Das war alles wie im falschen Film, ich wollte das nicht akzeptieren. Mit einem Mal musste ich Medikamente nehmen, die auch heftige Nebenwirkungen hatten.
War dir gleich bewusst, was die Diagnose(n) für dich, deine Familie und Freunde bedeutet?
Nein, mir war das ganz und gar nicht bewusst. Ich hatte gerade erst meine Tochter entbunden und war total „kaputt“ körperlich. Ich war eine junge Mutter, wie konnte mir sowas passieren, war meine einzige Frage.
Wie weit sind deine Krankheiten bereits fortgeschritten?
Ich habe verformte Finger und meine Sprunggelenke sind eingeschränkt. Ich habe immer wieder Entzündungen an den großen Zehen und im Knie. Ich bin aber noch in der Lage mein Leben selbstständig zu meistern.
Wie kam die Posttraumatische Belastungsstörung in dein Leben?
Durch ein schwer traumatisches Ereignis in meiner Kindheit – sexueller Missbrauch durch ein Familienmitglied.
Sind alle Krankheiten ein Zusammenspiel miteinander und bauen aufeinander auf? Oder sind sie gesondert voneinander zu betrachten?
Meine Erkrankungen sind zumindest zum Teil sehr zusammenhängend. Auf jeden Fall haben das Rheuma und der Darm eine große Wirkung aufeinander. Wenn es an der einen Ecke nicht stimmt, kommt die andere gleich dazu.
Wie verlief dein bisher schlimmster Schub und was konntest du machen, um da wieder einigermaßen rauszukommen?
Mein schlimmster Schub war tatsächlich am Anfang meiner Diagnosestellung. Da konnte ich mir kaum alleine die Schuhe anziehen, weil ich mich nicht mehr bücken konnte und auch die Finger waren kaum dazu in der Lage mir die Schuhe zu binden. Ich kam eigentlich nur durch Cortison und Geduld und Physiotherapie da wieder raus.
Das sich schwer körperlich auswirkende Krankheiten, wie in deinem Fall Rheumatische Arthritis, Psoriasis Arthritis, CED und Zöliakie auf die Psyche auswirken, kann sich jeder Mensch vorstellen. Wie stark warst oder bist du betroffen und was hilft dir, klarer und freier zu denken?
Die Psyche leidet natürlich auch bei mir darunter. Allein schon, weil ich nicht alles immer so machen kann, wie ich es gerne hätte. Ich habe oft Phasen, in denen ich nicht so aktiv sein kann. Inzwischen hilft es mir, dass ich dann trotzdem Sport mache. Egal wie, Hauptsache ich habe was getan.
Du bist passionierte Mountainbike-Fahrerin. Hilft dir der Sport körperlich und geistig besser klarzukommen? Worauf sollte man mit Arthritis, Psoriasis Arthritis und CED besonders achten, wenn man lange und anspruchsvolle Strecken Rad fährt?
Der Sport hilft meiner Psyche enorm, so dass ich nicht zu weit in die depressive Verstimmung komme, auch wenn es manchmal wirklich schwer ist, sich aufzuraffen. Ich habe eine gute Freundin, die oft mit mir zusammen ins Fitnessstudio fährt und mich motiviert, wenn es gar nicht geht.
Beim Mountainbiking hat mir tatsächlich ganz viel Übung geholfen. Ich habe inzwischen schon das zweite E-Bike, was ein absoluter Gamechanger für mich war. Ich kann beim Fahren richtig gut abschalten, da sind nur ich, mein Rad und oftmals meine Musik. Ich fahre da lang, wo es mir in den Kram passt und komme inzwischen auf richtig viele Kilometer, die ich fahre. Was ich persönlich schwer finde, ist einfach das Problem mit der Verdauung. Ich esse oft vorher nichts, oder nur Kleinigkeiten, von denen ich ganz sicher weiß, dass ich das vertrage. Ich kann ja schlecht unterwegs auf die Toilette. Ich muss auch immer mal wieder aufpassen, dass ich mir das Knie tape und nicht zu viel von mir verlange, das merke ich sonst auch Tage später noch. Aber ich würde es um nichts in der Welt tauschen. Ich kann Jeder nur empfehlen, sich einen Sport zu suchen, der sie ausfüllt.
Wie stark prägt dich deine Autoimmunerkrankung und die daraus folgenden Diagnosen?
Sehr stark. Ich bin dadurch stärker geworden, ich kämpfe mehr für mich und stecke auch im Berufsleben meine Grenzen klarer ab. Ich habe mich intensiv mit meinem Körper auseinandergesetzt und weiß inzwischen wie ich damit umgehen muss.
Leider gibt es auch die negativen Seiten, die belastend sind. Ich kann sehr schlecht planen, weil ich nie weiß, wie es mir geht und ich sage so ungern Dinge ab. Ich kann nicht mal eben auswärts was essen gehen. Ich muss das Essen immer planen und auch die Sanitären Anlagen in der Umgebung kennen. Ich brauche oft eben die „Extrawurst“ beim Essen, weswegen ich oft einfach keine Einladung zum Essen annehme. Mein Leben dreht sich sehr ums Essen.
Was ist, deiner Meinung nach, der größte Unterschied von deinem Leben zum Leben einer Person, die nicht von einer oder mehreren Autoimmunkrankheiten betroffen ist? Hast du für andere Betroffene ein paar Tipps, wie diese und auch die der anderen Autoimmunerkrankungen einen Tagesablauf erleichtern können?
Ich muss viel mehr planen und mein Umfeld muss mehr Rücksicht auf mich nehmen. Mit den Erkrankungen neige ich persönlich auch dazu, mich dann doch zu übernehmen. Die körperlichen und psychischen Einschränkungen, wie Ängste, begrenzen mich an der normalen sozialen Teilhabe. Und auch wenn sich das komisch anhört, nehmen die Zöliakie und die CED viel Raum in meinem Leben ein – vor allem seit einer OP im Januar 2023 mein Magen nicht mehr richtig arbeitet. Ich selbst vertrage nicht viele Lebensmittel wirklich gut und plane daher mein Essen. Habt immer was dabei, wenn nicht klar ist, ob zu Hause gegessen werden kann. Ich kann nur empfehlen, genau auf seinen Körper zu hören.
Trägst du ein Stoma oder hast du dich bereits mit dem Thema auseinandergesetzt?
Bisher musste ich mich damit noch nicht auseinandersetzen und versuche es wirklich zu verdrängen.
Wie geht es dir aktuell? Bist du gerade in Therapie mit allgemeinmedizinischen oder alternativen Heilmitteln?
Aktuell bin ich in einer nicht so guten Phase. Ich kämpfe grade mit einem Rheumaschub und versuche, mich nicht unterkriegen zu lassen. Ich habe eigentlich das Rinvoq, was ich lange nehmen konnte und gut vertragen habe. Leider kann ich das seit meiner OP im letzten Jahr nicht mehr nehmen. Ich war jetzt ein Jahr lang ohne Medikamente und war auch sehr zufrieden damit. Ich sollte das Rinvoq als Notfallmedikament zur Stoßtherapie einsetzen und das hat nicht geklappt, aufgrund massiver Nebenwirkungen. Nun warte ich auf einen Termin bei meiner Rheumatologin, um zu besprechen, wie es da weitergehen soll.
Aber im Großen und Ganzen bin ich sonst recht zufrieden. Ich mache weiter Sport und schaffe es noch, meine Touren zu fahren. Ich habe mich da sogar inzwischen einer Community angeschlossen, damit ich auch mal andere Eindrücke habe, auch weg von den Erkrankungen. Das tut der Seele sehr gut.
Ich mache aber auch weiter konsequent einmal die Woche Lymphdrainage, Physiotherapie und Ergotherapie. Ich habe einige Nahrungsergänzungsmittel, die mir helfen.
Alternative Heilmittel habe ich auch probiert, aber im Endeffekt haben die überwiegend nur den Geldbeutel leichter gemacht. Ich denke da zählt viel auch der Glaube und ich tue mich damit sehr schwer.
Was wünscht du dir in Bezug auf deine Autoimmunerkrankungen?
Einfach noch eine deutlich bessere Forschung, gerade was die Erkrankungen bei Frauen angeht und die medikamentöse Behandlung in Bezug auf unseren Hormonstatus.
Dein Schlusswort:
„Lass den Kopf nicht hängen, es wird auch wieder besser gehen“, hätte ich gerne früher gewusst. Da ist was dran, finde ich. Ja, es geht einem zwischendurch immer wieder richtig elend, aber oft sind es Schübe und auch die werden wieder besser. Nutzt die guten Phasen intensiv und lass dich in den schlechten Phasen nicht unterkriegen. Dann geht eben nicht immer 100 Prozent, das ist doch gar nicht schlimm. Den eigenen Körper anzunehmen und zu pflegen ist hilfreich. Egal wie, sich um sich selbst zu kümmern, ist enorm wichtig. Nicht nur in der Krankheit hängen.
Ich bin in vielen Gruppen, die sich intensiv mit Erkrankungen befassen, aber es gibt eben auch ein Leben außerhalb dieser Gruppen.
Ohne den Sport wäre ich nie dahin gekommen, wo ich jetzt bin und ich bin noch lange nicht am Ziel. Ich möchte körperlich noch viel mehr erreichen. Ich weiß, dass ich evtl. doppelt so lange brauchen werde, wie ein gesunder Mensch, aber das ist nicht wichtig. Wichtig ist für mich nur, dass ich nicht aufgebe und weiter mache.