Name: Jasmin Marie
Alter: 23
Diagnose: Rheumatische Arthritis (2001)
Instagram: @rheumareality
Interview
Du hast deine Rheuma-Diangose seitdem du ein Kleinkind bist. An was kannst du dich selbst noch erinnern bis zur Diagnose oder was haben dir deine Eltern berichtet, wie dein Weg von den ersten Symptomen bis zur Diagnosestellung verlief?
Ich kann mich da ehrlich gesagt nicht wirklich erinnern, da ich ja erst anderthalb Jahre alt war. Aber es fing wohl damit an, dass ich mich nicht so bewegen konnte, wie gleichaltrige und meine Gelenke angeschwollen waren, speziell das Knie.
Du hast eine „Polyarthritis“, d.h. es waren/sind mehr als fünf Gelenke betroffen. Wie viele und welche Gelenke waren es?
Genau, bei mir sind beide Sprunggelenke, das linke Knie, beide Ellenbogen, der Ringfinger, das linke Auge und der Kiefer betroffen. Aber es gibt noch einige andere Gelenke, die irgendwie komisch knacken beim Sport, bei denen ich aber bisher noch keine weiteren Schmerzen hatte haha.
Was passierte als Kind in deinen Gelenken und was für Auswirkungen hat das heute auf deinen Körper?
Ich hatte als Kind oftmals geschwollene und heiße Gelenke, konnte mein Knie nicht ordentlich bewegen und war dadurch natürlich sehr im Gehen eingeschränkt. Früher habe ich dann eine Schonhaltungen eingenommen, von der ich merke, dass ich sie ab und zu auch noch heute nutze. Wenn man sich das einmal antrainiert hat, geht das nicht wieder so schnell weg, vor allem, wenn man das so früh „gelernt“ hat. Ich merke recht schnell, wenn mein Körper an seine Grenze kommt, gerade im Knie, was mein Gelenk Nummer eins ist, das sagt: „Hey bis hierhin und nicht weiter.“ Zu guter Letzt , hat mein linkes Bein nicht die gleiche Muskelkraft wie mein rechtes und wer es weiß, sieht den Unterschied auch, aber so im normalen Blick fällt das, glaube ich, inzwischen kaum auf.
Inwieweit haben sich die ersten Symptome bis heute verändert? Sind die Symptome, die schon immer da waren, stärker geworden oder haben sich Symptome auch weiter angehäuft?
Ich würde behaupten, es sind die gleichen Symptome, aber doch anders. Früher hatte ich in regelmäßigen Abständen Schübe. Alle zwei Jahre wusste ich: Krankenhaus, Punktion, mehr Medikamente. Jetzt kann ich nicht mehr unterscheiden, ob ich ich gerade einen Schub habe oder ob das einfach die gleichen Schmerzen wie sonst sind – nur ein bisschen schlimmer, weil ich mal wieder über meine Grenzen gegangen bin. Ich habe einfach nicht mehr diese klassischen Schübe, in denen ich für einen gewissen Zeitraum eingeschränkt bin und Schmerzen habe, der Schmerz ist eher ein täglicher Begleiter ge-worden, mal mehr, mal weniger stark.
War deinen Eltern klar, was so eine Diagnose ihrer Tochter mit sich bringen würde?
Mir war es natürlich nicht klar, aber meiner Familie war das schon bewusst. Ich habe unfassbar viel Unterstützung bekommen, jeder aus meiner Familie war zu jedem Zeitpunkt für mich da, hat sich selbst zusätzlich noch informiert, welche Möglichkeiten, Maßnahmen oder Therapien es gibt. Ich habe zu jedem Zeitpunkt die Unterstützung bekommen, die ich gebraucht habe und das hat sich bis heute nicht geändert.
Hattest du als Kind das Gefühl, dass dein Leben genauso verläuft, wie das der anderen oder war dir schon immer klar, dass bei dir was anders ist? Was waren die größten Unterschiede zwischen dir und den Kindern, die keine Autoimmunerkrankung hatten?
Aus meiner Familie haben sich alle die größte Mühe gegeben, mich zu behandeln wie jedes andere Kind auch, aber der Unterschied fing bei Sportbefreiungen an und endete bei regelmäßigen Arztbesuchen, Krankenhausaufenthalten und Medikamenten. Ich war einfach doch ein wenig anders als die anderen.
Junge Menschen und Kinder können echt fies sein, wenn man nicht so ist wie sie selbst. Was für Alltagserfahrungen hast du in deiner Kindheit und Jugend gesammelt?
Ich wurde als Kind das ein oder andere Mal gemobbt, weil ich gehumpelt bin oder mit Krücken laufen musste. Andere Kinder mussten mein Schulzeug tragen oder meinen Schulranzen, das war nicht immer leicht und vermittelt einem falsche Glaubenssätze, an denen ich inzwischen arbeite, damit ich sie ablegen kann.
Welche Therapien bist du als Kind bis heute durchlaufen?
Einmal alles würde ich sagen haha. Ich habe Physiotherapie gefühlt seit immer gehabt, Ernährungsumstellungen haben wir auch gemacht und natürlich auch immer medikamentös. Ich war als Kind schon bei einer Therapeutin, die mir den besseren Umgang mit meinem Rheuma gezeigt hat und genau das mache ich jetzt wieder, ich habe seit gut anderthalb Jahren wieder eine Verhaltenstherapie, die mir bei dem Umgang mit meinem Rheuma hilft.
Welche der Therapien/Was für eine Teil der Therapien ist dir am stärksten im Gedächtnis geblieben.
Negative Erinnerungen fallen mir tatsächlich immer leichter, ich hatte damals als Kind ein Medikament was bei mir so schlimme körperliche Reaktionen ausgelöst hat, dass ich traurig darüber bin, dass ich sowas als Kind schon durchmachen musste. An das Medikament und die Symptome, die es bei mir auslöste erinnere ich mich, als wäre es gestern gewesen: Übelkeit, Erbrechen, Kreislauf begleiteten mich damals. Das war die Hölle! Positiv aber, weil mein damaliger Arzt den Schritt mit mir gegangen ist und das Medikament abgesetzt hat und ich bin glücklich darüber, dass ich es bis heute nicht einmal wieder nehmen musste.
Denkst du rückblickend, dass deine Ärzte dich kindgerecht, aber dennoch auf Augenhöhe behandelt haben?
Ich habe eigentlich nur Erinnerungen an einen Kinder- und Jugendrheumatologen, zu dem im Alter von sechs bis sieben Jahren gekommen bin, glaube ich. Er war für mich der beste Arzt. Zwar recht distanziert, aber er kannte mich, er wusste, wie ich auf neue Situationen reagiere, wie viel Angst ich habe, was mir guttut und vor allem hat er mich immer ernst genommen und meine Wünsche respektiert. Als ich mit 18 Jahren dann wechseln musste, ist mir das absolut nicht leichtgefallen. Ich habe alles an dieser Situation gehasst. Ich weiß nicht, ob ich traumatisiert bin, aber ich habe schon viel mitgemacht und das gerade im jungen Alter, zum Beispiel kann ich beim Blutabnehmen immer noch nicht hingucken und bekomme Platzangst beim MRT. Ich denke manche Dinge werden nicht leichter, egal wie oft man sie schon erlebt hat.
Wer oder was hat dir als Kind bis heute am meisten geholfen mit der rheumatischen Polyarthrits zurecht zu kommen?
Meine Familie. Die Unterstützung jedes einzelnen.
Welche Tipps kannst du Eltern, Ärzten oder Freunden rückblickend mit auf den Weg geben, damit ihre Kinder sich trotzt einer Autoimmunerkrankung rundum wohl in ihrer Haut und ihrer Seele fühlen, um sicher und gefestigt ins Erwachsenenleben gehen zu können?
Unterstützung ist das A und O, reden, viel reden und transparent sein – auch bei Kindern! Die wissen schon so nicht was da vorgeht, warum sie Schmerzen haben, warum sie jetzt im Krankenhaus sind, warum das überhaupt alles passiert. Seid für sie da, gebt ihnen Rückhalt und Unterstützung, aber gebt ihnen trotzdem das Gefühl, dass die Krankheit sie nicht definiert und sie nicht ausmacht, es ist nur ein kleiner Teil.
Auf deinem Instagram Account @rheumareality erzählst du offen, dass du in letzter Zeit Hochs- und Tiefs hattest und du deshalb therapeutische Hilfe in Anspruch nimmst.
Ich bin als Kind schon immer sehr positiv gewesen und ein kleiner Sonnenschein, das versuche ich mir auch je älter ich werde beizubehalten. Dennoch gebe ich ehrlich zu, dass ich gerade in den letzten Jahren viel damit zu tun hatte, auch an der Positivität festzuhalten, weil mein Krankheitsverlauf nur schlechter wurde. Mehr Beschwerden und mehr Schmerzen wirken sich einfach krass auf die Psyche aus. Ich würde behaupten, meine Schmerzgrenze ist schon sehr hoch, aber irgendwann ist es dann einfach genug. Deshalb bin ich jetzt auch seit anderthalb Jahren wieder in Therapie und arbeite daran, mein Rheuma nicht mehr als Feind zusehen, sondern als einen Teil, der zu mir gehört und seine Berechtigung hat.
Du sprichst online von einem Teufelskreis und sagst, dass das Rheuma abhängig ist von deiner Psyche und deine Psyche abhängig ist von deinen Schmerzen. Kannst du das näher erklären und glaubst du, es gibt einen Weg raus aus diesem Teufelskreis?
Ich merke schon, dass, wenn ich viel psychischen Stress habe oder es mir mental nicht gut geht, ich Schmerzen in den Gelenken habe und alles irgendwie nicht so funktioniert wie ich es mir wünsche. Andersherum ist es ähnlich: Wenn ich Schmerzen habe durch Überlastung oder ähnliches, stresst mich das mental. „Warum ich“, „Warum schon wieder“, „Warum habe ich jetzt Schmerzen“ schießt es mir dann durch den Kopf. Ich glaube, es ist wichtig, dass man sich der Sache bewusst ist, dass alles zusammenhängt und man selbst mit sich ein wenig sensibler wird. Ich versuche dann Dinge zu tun, die mir persönlich guttun, wie malen, mein Lieblingsessen kochen, einen Schnulzen Film schauen, bei dem ich alle Emotionen rausheule oder auch einfach nur schlafe.
Wie reagieren die Menschen um dich herum, wenn du berichtest, dass du rheumatische Polyarthritis hast? Kommt man da nicht fix in eine Opferrolle?
Ja die Opferrolle kenne ich sehr gut haha. Erstmal haben, glaube ich, viele keine Vorstellung in welchem Ausmaß diese Krankheit bei mir fortgeschritten ist, aber ich zeige das auch nicht wirklich und ich bin sehr talentiert darin, mein Rheuma runterzureden und es mit Sprüchen wie: „Naja ich habe das ja schon mein Leben lang, irgendwann lernt man damit umzugehen“ abzutun, weil ich Angst vor Mitleid habe. Mitleid ist wirklich das letzte, was ich will und brauche. Ich kommuniziere mein Rheuma schon immer sehr offen, aber tendenziell mit einem ticken zu viel Humor würde ich sagen, denn ich will in keiner Opferrolle mehr sein. Die hatte ich als Kind zu oft. Ich glaube richtig ernst und offen rede ich aber erst darüber, wenn die Menschen mir sehr nahestehen. Allerdings versuche ich offen mit dem Rheuma umzugehen und auch die Menschen in meinem Umfeld zu sensibilisieren, wenn ich über mein Rheuma rede und erzähle, wie sehr es mich belastet und dass ich trotz der Belastung kein Mitleid möchte, sondern ich möchte ernst genommen werden, Verständnis bekommen und das man mir zuhört.
Wie weit ist deine rheumatische Polyarthritis heute fortgeschritten? Was denkst du, wird in den nächsten Jahren noch auf dich zukommen?
Ich glaube, sie ist recht weit fortgeschritten, in den letzten Jahren ist nicht ein Tag vergangen, an dem ich ihre Präsenz nicht gespürt habe. In meinem Fußgelenk hat sie schon recht viel kaputt gemacht, so dass ich da nochmal in separater Behandlung bin und ich die nächsten Arzttermine abwarten muss, was wir damit anfangen. Ich denke, gerade da werde ich um eine OP nicht drumherumkommen. Ich verlasse mich sehr auf die Ärzte und bin guter Dinge, dass ich auch das irgendwie schaffe.
Was sind die größten Hürden in deinem Alltag, bezogen auf die Autoimmunerkrankung? Und wie schaffst du es, sie zu bewältigen?
Ich arbeite in der Eventbranche und mache den Job unfassbar gern, ich liebe alles daran, aber richtig gut für meine Gelenke ist er leider nicht. Meine Kollegen sind alle super sensibilisiert, erinnern mich daran, genug Pausen zu machen, versuchen, mir Dinge abzunehmen, aber da hätten wir die Opferrolle wieder, in die ich mich dann selbst stelle. Ich hoffe, ich lerne besser, die Unterstützung und Hilfe anzunehmen, aber da bin ich noch ganz am Anfang des Prozesses.
Was hat dich seit der Diagnose besonders viel Kraft im Leben gekostet?
Ich kann nicht zählen mit wie vielen Nadeln ich in meinem Leben schon gestochen wurde. Sei es zum Zugang legen, Blut abnehmen oder um Medikamente zu bekommen. Ich musste das zu keinem Zeitpunkt allein machen, weil ich immer jemanden in der Familie hatte, der es konnte und mir meine Medikamente gespritzt hat. Aber ab einem gewissen Zeitpunkt wollte ich nicht mehr die Abhängigkeit verspüren und seit gut einem halben Jahr, kann ich mich allein spritzen. Davon hätte ich vor einem Jahr nur träumen können und bin ich ehrlich stolz auf mich. Für viele mag das eine Kleinigkeit sein, aber für mich war das etwas Unmögliches – bis jetzt.
Hatte deine Autoimmunerkrankung auch eine bereichernde Seite?
Ich habe mein Rheuma lange als Belastung gesehen oder einfach so getan, als würde ich es nicht haben. Ich bin über meine körperlichen Grenzen gegangen, habe meine Kraft überschätzt und nicht auf meinen Körper gehört. Inzwischen lerne ich, auf mich zu hören, darauf was meinem Körper, meinem Rheuma guttut. Ich bin sensibler mir gegenüber geworden und das habe ich meinem Rheuma zu verdanken. Der Weg dahin war unendlich hart und schmerzhaft, aber jedes Gefühl und jeder Schmerz hat seine Berechtigung und da höre ich mehr drauf.
Hast du mit deiner rheumatischen Polyarthritis die Möglichkeit eine Ausbildung zu machen und zu arbeiten? Wenn ja, welche Kriterien waren für dich für deinen Berufswunsch ausschlaggebend? Kommen mit der Erkrankung bestimmte Berufe nicht in Frage?
Natürlich kommen körperlich anstrengende Berufe nicht in Frage. Ich habe eine klassische kaufmännische Ausbildung gemacht und bin jetzt Projektassistentin in der Eventbranche. Ich habe bei meiner Arbeit einige Wochenenden, die können schon sehr anstrengenden sein, aber andererseits auch viel Büroarbeit. Es hält sich also gut die Waage. Was super ist, dass ich meinen Schreibtisch in der Höhe verstellen kann und einen kleinen Hocker unter dem Tisch stehen habe, um die Beine hochzulegen haha.
Wie geht es dir aktuell?
Puuuh, aktuell ist es eine Achterbahnfahrt. An manchen Tagen geht’s mir super, ich merke mein Rheuma kaum, doch es gibt genug Tage, an denen ich mir wieder sehr gut bewusst bin, dass ich diese chronische Krankheit habe.
Therapierst du gerade?
Ich bin seit 15 Jahren auf das gleiche Medikament eingestellt, dass funktioniert auch sehr gut, dennoch setzen sich die Schmerzen öfter durch als gewünscht, aber ich gebe mein Bestes mit der richtigen Bewegung und Ernährung, mir das Leben ein wenig leichter zu machen.
Durch die Verhaltenstherapie lerne ich auch meine Psyche zu beeinflussen und ich merke, dass sich das gut auf meine Gelenke auswirkt, da meine körperlichen Beschwerden oft eben auch mit meinem psychischen Zustand zusammenhängen, oben angesprochene Teufelskreis haha.
Was wünscht du dir in Bezug auf die rheumatische Polyarthritis?
Mehr schmerzfreie Tage.
Schlusswort:
Es gibt viele Accounts, die einem vermitteln, dass man ohne Medikamente leben kann, mit der richtigen Ernährung oder der richtigen Art von Sport und ich freue mich auch für die Menschen hinter den Accounts, aber das ist nicht immer die Realität. Jeder Mensch ist anders und es ist okay, wenn es bei dir nicht so ist. Jeder Schmerz, jedes Gefühl hat seine Berechtigung, wir sollten uns alle weniger vergleichen und mehr auf uns und unseren Körper hören.