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Chronisch entzündliche Darmerkrankung: Die Geschichte von Mielad

Mut-Mach-Geschichte von Mielad - Pancolitis (Colitis Ulcerosa)

PANCOLITIS: DIE GESCHICHTE VON MIELAD
Name: Mielad
Alter: 25
Diagnose: Pancolitis (Colitis Ulcerosa) am 14.11.2018

Interview:

Wie verlief dein Weg von den ersten Symptomen bis zur Diagnosestellung?

Der Weg zur Diagnose hat sich ewig angefühlt. Es fing mit ganz normalen Bauchschmerzen an. Zunächst dachte ich einfach, ich hätte etwas Falsches gegessen. Mein Allgemeinmediziner hat das Ganze nicht so ernst genommen und meinte das sowas ab und zu vollkommen normal ist. Ich soll einfach etwas abschalten und bald wird es mir wieder besser gehen. Ich wollte in dem Moment auch nicht wahrhaben, dass ich etwas Ernstes haben könnte. Aber als die Bauchschmerzen täglich schlimmer wurden und ich sogar angefangen habe, mich vor Schmerzen zu übergeben, wusste ich, dass etwas nicht stimmt. Mein Hausarzt schickte mich zum Gastroenterologen, einem Spezialisten für Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes.
Hier habe ich erstmal verschiedene Proben abgegeben und als die Ergebnisse dann endlich da waren, meinte mein Arzt, dass alles in Ordnung ist und ich mir keine Sorgen machen muss. Die Symptome wurden Tag für Tag schlimmer. Mein erster Schub hat begonnen und ich habe die meiste Zeit nur auf der Toilette verbracht, mit Schmerzen, die ich vorher noch nie in der Art gespürt habe. Es hat sich angefühlt, als würde ich innerlich verbrennen. Ich habe mir einen neuen Gastroenterologen gesucht und er hat durch einen Ultraschall sofort erkannt, dass mein Dickdarm stark entzündet ist. Folglich hat er eine Darmspiegelung angeordnet und mir neue Medikamente verschrieben, die bei mir keine Besserung zeigten. Nach der Darmspiegelung bekam ich die Diagnose „Pancolitis“. Von einer Pancolitis spricht man dann, wenn die Entzündung den ganzen Dickdarm befallen hat.

Wie war es dann, als du die Diagnose erfahren hast? Was hat die Diagnose bei dir ausgelöst?

Ich habe vorher noch nie von der Erkrankung gehört. Als ich aufwachte und die Diagnose bekam fragte ich nur: „Alles klar, aber wann bin ich dann wieder gesund?“
Mein Arzt hat sich daraufhin viel Zeit genommen und mir alles erklärt. Zu dem Zeitpunkt habe ich aber noch lange nicht akzeptiert, dass ich chronisch krank bin und habe die Krankheit auch konsequent verdrängt.

Wie hat deine Familie reagiert?

Meine Familie war ratlos. Auch ihre erste Frage war: „Mielad, weiß der Arzt schon nach wie vielen Wochen du wieder gesund bist?“ Ihnen musste ich die Diagnose auch erstmal erklären. Auch sie haben einige Monate gebraucht, um es verarbeiten zu können und vor allem zu verstehen, was es heißt chronisch krank zu sein.

Wie hat sich dein Leben und das deiner Familie seither verändert?

Leider hat es vor allem meine Mutter sehr mitgenommen. Ich glaube keine Mutter hört gerne, dass ihr Sohn chronisch krank ist. Meinen Tiefpunkt hatte ich im Jahr 2020. Ich habe da teilweise im Badezimmer geschlafen, weil es sich gar nicht gelohnt hätte aufzustehen. Hinzu kommt der enorme Blutverlust, der meinen Körper auch extrem geschwächt hat. Im Juli wog ich dann auch nur noch 33 Kg bei einer Körpergröße von 1,78m. Ich zog mich immer mehr zurück und litt zunehmend an Depressionen. Man sieht es ja auch im Umfeld. Viele starten ihr Studium, gehen auf Partys, leben sich aus und versuchen sich eine Zukunft aufzubauen. Und mir ging es einfach nur darum den Tag zu überstehen. Da fragt man sich erstmal, ob es sich überhaupt noch lohnt weiterzukämpfen, gefühlt folgte auf einen Tiefschlag schon der nächste. Es gab tatsächlich viele Momente in den letzten Jahren, an denen mich die Krankheit scheinbar gebrochen hat. Ich glaube es beschreibt sich gut, wenn ich sage, dass ich mich wie im Gefängnis gefühlt hatte. Ich konnte nicht aus meinem Körper und hatte jegliche Kontrolle über ihn verloren.

Wie bewältigst du deinen Alltag?

Während eines Schubs ist es ziemlich schwer den Alltag zu bewältigen. Ich glaube, da kann mir jeder Colitis Patient zustimmen. Man ist kaum in der Lage die Wohnung zu verlassen. Wenn man dann noch arbeiten muss, ist das alles andere als einfach.
Jeder der unter solchen Schmerzen während eines Schubs leidet, weiß, dass man im Alltag viel planen muss, bevor man wirklich die Wohnung verlassen kann. Spontan mal einkaufen gehen oder sich mit Freunden treffen war bei mir im Schub so gut wie unmöglich. Getraut rauszugehen habe ich mich nur, wenn ich mindestens 12 Stunden vorher nichts gegessen habe.
Dinge, die für einen das ganze Leben selbstverständlich waren, sind es plötzlich nicht mehr. So weiß man die Sachen viel mehr zu schätzen und kann die symptomfreien Tage auch wirklich genießen.

Wie geht es dir aktuell?

Aktuell geht es mir besser als je zuvor und das habe ich meiner Familie, aber auch vor allem meinen Freunden zu verdanken, die mich in diesem Jahr wirklich sehr unterstützt haben. Einer von Ihnen war fast täglich bei mir und hat mich so durch die erneute Kortison-Therapie begleitet. Ein weiterer guter Freund hat mich ins Fitnessstudio „gezerrt“ und will mir helfen wieder in Form zu kommen.
Klar geht es mir immer noch an manchen Tagen nicht besonders gut, aber das ist kein Vergleich zu früher. Schwer fällt es mir aber immer noch gelegentlich damit klarzukommen, dass vor allem die Colitis Ulcerosa eine unberechenbare Erkrankung ist.
Trotz der ganzen Rückschläge in den letzten Jahren, habe ich meine Ziele nicht aus den Augen verloren und habe sogar im letzten Monat begonnen, berufsbegleitend zu studieren. Das hätte man sich überhaupt nicht vorstellen können.
Ich kann mit Freude behaupten, dass ich zurzeit symptomfrei bin und ein normales Leben führen kann.

Wie therapierst Du zurzeit?

Zurzeit muss ich nur noch alle 6 Wochen zur Infusion. Das ist absolut erträglich und Nebenwirkungen verspüre ich auch zum Glück keine mehr.

Was hilft dir, deine Colitis Ulcerosa gut in den Griff zu bekommen?

Ich lebe nur noch von Tag zu Tag. Ich weiß nicht, was mich morgen in Verbindung mit meiner Erkrankung erwartet, also versuche ich, mir auch dahingehend keine Gedanken mehr zu machen. Das Wichtigste ist es aber meiner Meinung nach, sich ein Umfeld zu schaffen, in dem man sich wohl und vor allem akzeptiert fühlt. Man sagt nicht umsonst, dass unser Darm der Schlüssel zu unserem Wohlbefinden ist. Auch spielt die Ernährung eine wichtige Rolle. Vor allem im Schub! Ich habe in Verbindung mit meiner Erkrankung von so vielen Ärzten bereits gehört, dass die Ernährung keinen Einfluss hat, aber das stimmt einfach nicht. Ich kann bis heute einfach immer noch nicht verstehen, warum es fast jeder Arzt behauptet…
Mir hilft es zuckerfrei und vegan zu leben. Ich muss zugeben, dass mir das etwas schwerfällt, deshalb habe ich auch öfter mal einen „cheat-day“ eingeplant. 😁 Eine Freundin hat mir vor kurzem auch zu einem Ernährungstagebuch geraten, so kann ich während eines Schubes auch immer gut einschätzen, was ich gut vertrage und was nicht. Das kann ich jedem empfehlen!

Schlusswort:

Ich habe natürlich immer noch ab und zu schlechte Tage, an denen es mir vor allem psychisch nicht gut geht und ich am liebsten Urlaub von meiner Erkrankung machen würde. Das ist vollkommen normal und das habe ich auch bereits akzeptiert. Die Krankheit wird immer ein Teil meines Lebens sein, nur werde ich nicht nochmal den Fehler machen und mein Leben oder mein Wohlbefinden langfristig von der Erkrankung bestimmen zu lassen.
Ich unternehme so gut wie jedes Wochenende etwas mit Freunden, das hilft mir enorm den Kopf freizubekommen. Vor kurzem waren wir erst zusammen beim Bowling. Als ich zu Hause ankam, habe ich erst gemerkt wie viel Glück ich habe, dass alles wieder beschwerdefrei machen zu können. Das gibt einem einfach enorm viel Lebensqualität und das weiß ich wirklich zu schätzen.
Mein Rat ist immer noch, vertraut euch jemanden an. Allein hätte ich es auch diesen Sommer niemals geschafft. Ich kann mir bei Problemen rund um die Erkrankung, aber auch vor allem bei privaten Problemen oft Rat holen, auch wenn ich ein ziemlicher Sturkopf bin, und es sich für manche Freunde so anfühlt als würden sie „gegen eine Wand reden.“😁

Es ist auch meiner Meinung nach wichtig, das Thema auf der Arbeit offen anzusprechen. Ich bin mehr als nur dankbar dafür, dass mein Vorgesetzter ein klares Verständnis für meine Erkrankung hat und weiß, dass es auch Tage gibt, an denen ich mich nicht gut fühle. Ich habe mich durch ihn akzeptiert gefühlt und weiß, dass ich das Thema immer offen ansprechen kann und dadurch nicht benachteiligt werde. Das ist wirklich sehr viel wert und motiviert mich weiterzumachen.

Ein weiterer Tipp von mir an Betroffene ist: Sucht euch einen guten Arzt! Während andere Ärzte gar nicht mehr daran geglaubt haben, dass ich symptomfrei werden kann und bereits meinen Dickdarm entfernen wollten, meinte mein derzeitiger Arzt, dass wir alles zusammen probieren werden, um eine Operation erstmal aus dem Weg zu gehen. Und es hat funktioniert! Mein Arzt und ich sind mittlerweile wirklich ein gut eingespieltes Team und ich kann jedem nur empfehlen so lange zu suchen, bis man den Eindruck hat, dass der Arzt sich gut um einen kümmert und die Probleme ernst nimmt.
Es ist in Ordnung mal aufzugeben. Ich habe mittlerweile schon über zehnmal aufgegeben… Trotzdem sollte man nach einiger Zeit wieder aufstehen und kämpfen. Ich hätte vor einigen Monaten, niemals damit gerechnet, symptomfrei zu sein. Trotzdem habe ich es geschafft. Ihr könnt gar nicht ahnen, wie viele Monate ich mit Selbstmitleid verschwendet habe. Richtet euren Fokus auf die Lösung und nicht auf das Problem, egal wie aussichtslos es auch in manchen Momenten scheint.