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Colitis ulcerosa: Die Geschichte von Andreas

Bild zur Mut Mach Geschichte Colitis ulcerosa von Andreas

Name: Andreas
Alter: 43 Jahre alt
Diagnose : Colitis Ulcerosa Januar 1997 in einem vierwöchigen Krankenhausaufenthalt

Interview:

Wie verlief dein Weg von den ersten Symptomen bis zur Diagnosestellung Colitis ulcerosa? Gab es Besonderheiten oder Schwierigkeiten?

Ich kann das Aufgrund der langen Zeit, die das zurück liegt, nicht mehr so detailliert nachvollziehen. Ich war ja damals auch noch so jung und wusste gar nicht, was da geschieht. Meine ersten Symptome hatte ich wohl Anfang Dezember 1996: Durchfall. Gut das kommt vor, aber es war da schon täglich mehr als fünf Mal, was sich im lauf der Zeit auf bis zu 30 Mal am Tag gesteigert hat. Zuerst dachte ich, naja das dauert zwei Tage, so lange machst du das Übliche: Cola und Salzstangen. Dann kamen irgendwann aber diese koliktartigen Schmerzen zum Stuhldrang hinzu und irgendwann kam nichts mehr außer Luft, Blut und Schleim. Mir war das peinlich. Ich war da gerade erst 15 Jahre alt und deshalb habe ich keinem zu Hause davon erzählt und bis nach Weihnachten damit durchgehalten. Als frischer Werkzeugmechaniker im ersten Ausbildungslehrjahr, was mir viel Freude machte und ich neue Freunde bekommen hatte, wollt ich auch nicht mit einer längeren Krankphase ausfallen. Aber nach Weihnachten ging es mir so schlecht, dass meine Eltern mich ins Krankenhaus brachten. Ich hielt die Schmerzen fast nicht mehr aus und hatte, obwohl ich sowieso eher schlank war, deutlich abgenommen und war sichtlich körperlich mitgenommen. Ich kam unverzüglich auf die Kinderstation. Tage vergingen, ich bekam literweise Tropfmedikamente, aber keiner wusste, was ich habe. Nachdem ich nach ein paar Tagen wieder was essen sollte und es nicht drin blieb und ich sogar mehrmals Galle erbrochen habe, kam ich mit einer verdachten Diagnose für zwei Wochen auf die Intensivstation. Für eine Spiegelung oder bildgebende Diagnostik war ich nach Ultraschallbefund schon zu sehr entzündet, perforiert und geschädigt. Das kleine Landkrankenhaus hatte damals noch keine Erfahrung mit Colitis Ulcerosa, was mir aus heutiger Sicht und Kenntnisstand eher geholfen hat, sonst wäre wahrscheinlich mit einer Notoperation der Darm schon entfernt worden.

Versorgt mit Blutplasma und weiteren Tropfmedikamenten, die auf zwei Ständern verteilt waren, habe ich mich in den zwei Wochen Intensivstation stabilisiert bzw. nicht weiter verschlechtert. Es war trotzdem der Horror. Eine Intensivbehandlung dreht einen komplett um. Es gibt keine Privatsphäre, niemals Ruhe, vor allem nicht im Sechserzimmer. Und nebenan auf der Frühgeborenenstation war auch reger Betrieb. In der dritten Woche durfte ich dann wieder auf die Normalstation (innere Medizin), durfte schluckweise wieder oral Flüssigkeit und Astronautensüppchen zu mir nehmen. In der vierten Woche am 31.01.1997 (mein Geburtstag) bin ich dann aufgrund meines Drängens vorzeitig entlassen worden, weil ich das Krankenhaus nicht mehr ertragen konnte. Mit 15 Kilo weniger – also stark untergewichtig und verkümmerter Muskulatur (50 kg Entlassungsgewicht bei 182 cm Körpergröße) – plus der Diagnose Colitis Ulcerosa bin ich nach Hause gegangen und in die Hausärztliche Behandlung übergeben worden.
Dass ich dauerhaft einen guten Gastroenterologen brauche, ist mir und meinen Eltern quasi nie gesagt worden. Die waren auch immer der Meinung, dass es eine einmalige Sache war. Wir sollten uns aber alle täuschen. Es ging weiter und sobald das Kortison abgesetzt war, hatte ich Entzündung.

Wie hast du die Diagnose CED aufgenommen?

Sicher weiß ich nur noch, dass wir die Krankheit nicht weiter kommuniziert haben und meine Freunde und ich sprachen nie darüber, schließlich war es peinlich und ich schämte mich. Wer spricht schon gerne über Durchfall, Blut und Blähungen…..
Wir versuchten monatelang mit Ernährungstabellen und Essenszeiten zusätzlich zur langsam ausschleichenden hochdosierten Kortisongabe herauszufinden, was der Auslöser war. Vergebens. Es kommt und kam nicht vom Essen und es ließ sich nicht herausfinden, was die Ursache war.

Es ging über die Jahre auf und ab, im Prinzip war ich, sobald ich Kortison ausschlich nach einer Woche bereits wieder im beginnenden Schub. Aber okay, mit den Pillen ging es ja und damit war ich als Heranwachsender halbwegs zufrieden. Im Schnitt kann man sagen, kam alle zehn Jahre ein Riesenschub, der einen stationären Aufenthalt nötig machte.
2007 war es dann im März wieder so extrem, dass ich wieder Bluttransfusionen brauchte, um nicht zu sterben. Es ging Jahre so zu. Ich wusste bis dahin selbst noch nicht viel von der Erkrankung, außer, dass mir das für immer bleibt. Social Media und Selbsthilfegruppen gab es nicht.

Im Sommer 2017 kam ich wieder vier Tage ins Krankenhaus. Damals, mit 36 Jahren habe ich angefangen, selbst zu recherchieren, nachzufragen, Suchmaschinen im Internet zu benutzen usw. Ich wohne auf dem Land, da ist es deutlich schwieriger eine solche Erkrankung zu handhaben, als wenn man in einer Großstadt wohnt. Aufgrund meines stetigen Bemühens und weil es mir tatsächlich nach ärztlicher Einschätzung schlecht genug ging, wurde mir dann ab Juni 2018 in der Uniklinik in Erlangen (100 km entfernt) in der Medizin 1 eine Behandlung angeboten. Ich kam sofort für ein Jahr in studienbetreute und -finanzierte Privatpatientenbehandlung bei Professor Raja Atreya und wurde innerhalb eines Jahres mehrmals gespiegelt. Seitdem bekomme ich eine Behandlung mit dem TNF-alpha Blocker Humira, den ich mir alle zwei Wochen subkutan spritze und es wirkt nach wie vor noch ganz gut. Ich musste seitdem nur mit geringem Medikamentenaufwand kurzfristig eingreifen bzw. nachjustieren.

Nach einem Jahr bin ich aus der Studienambulanz in die normale Gastroenterologie in der Medizin 1 überführt worden und bin da inklusive jährlicher Kontrollspiegelung etwa vier oder fünf Tage jährlich vorstellig. Ich bin den Medizinern dort und vor allem dem Herrn Professor Atreja unendlich dankbar, dass man mir nach über 20 Jahren Kortisonqualen endlich weiterhelfen konnte. Im ersten Behandlungsjahr habe ich in Erlangen gleich an meinen ersten Arzt Patienten Seminar teilgenommen, habe mich bei der DCCV angemeldet und seitdem nach und nach mehr Wissen aufgebaut.

2022 habe ich dann das erste Mal eine Kur gemacht und Leute kennengelernt, durch die ich Zugang zu den sozialen Netzwerken erhalten. Auf Instagram habe ich einzelne Betroffnen und Gruppen gefunden, mit denen ich Kontakt aufnahm. Ich musste mich trauen, einfach auch mal Fremde anzuschreiben und war froh, wie schnell und herzlich ich aufgenommen, akzeptiert und wertgeschätzt wurde.

Was ist bis jetzt deine größte Herausforderung mit Colitis ulcerosa gewesen?

Es gibt nicht die eine große Hürde, es ist immer alles eine Hürde mit oft einem cm zu hoher Sprungkante. Für mich ist alles am Allerschwierigsten in den (Berufs-)Alltag zu integrieren: Termine, Vorsorge, Zusatzuntersuchungen. Auch dass es Kollegen und Vorgesetzte akzeptieren und hinnehmen, dass ich krank bin, denn bis vor drei Jahren habe ich für die meisten notwendigen Termine noch Urlaub genommen, anstatt Krankheitsbedingte Fehlzeiten zu haben. Ich bin zusätzlich zu meinem Beruf in der Automobil-Zulieferbranche auch Nebenerwerbslandwirt und kann mir Aufgrund dessen schon keine Ausfallzeiten leisten. Was mich zusätzlich stabilisiert hat, ist, dass ich seit ich 29 Jahre alt bin, regelmäßig Ausdauersport mache: Laufen. Wir haben in der Firma einen guten Mittagspausen Lauftreff, der mir persönlich sehr viel bringt. Dass ich dort leistungsmäßig mit gesunden und besser Trainierten mithalten kann, bestärkt mich zusätzlich. Ich habe allerdings seit Ende 2018 auch meine vertragliche Arbeitszeit auf 32 Stunden reduziert, auch wenn meisten noch Überstunden dazu kommen. Früher hatte ich vertraglich 40 Stunden und es waren häufig weit mehr als 50.

Trägst du ein Stoma oder denkst darüber nach?

Nein ich trage kein Stoma. Ich habe fast noch alles drin und dran, wenn auch stark geschädigt und vernarbt. Ich überlege schon lange, wenn es mal nötig wird, es dann gleich mit Stoma zu machen, denn ich habe von Pouch-Problemen bei anderen Betroffenen schon gehört und will, ehrlich gesagt, diese extra Runde nicht drehen. Ich habe letztes Jahr im Übergangsbereich Dünndarm einen unklaren Tumor gehabt, der inklusive einigen cm Dickdarm entfernt wurde. Der war zum Glück nicht bösartig, aber das weiß man ja immer erst nach der Pathologie. Leider wachsen jährlich viele und auch große Polypen, die immer entfernt werden bei der Kontroll Kolo. Deswegen schwebt der Stomagedanke immer im Hinterkopf. Das Darmkrebsrisiko ist ja sowieso als CED Patient nochmal deutlich höher.

Worüber ärgerst du dich in deinem CED-Alltag am meisten?

Das Gesundheitssystem. Es stolpert teilweise über seinen eigenen organisatorischen Hindernissen. Beispiel 1: Ich bin oft in der Klinik erst am Vormittag 10 – 12 Uhr dran, weil die Ärzte früh noch zur Visite auf Station sind. Mit An – und Abreise und Wartezeiten bin ich häufig erst um 18 Uhr oder später zu Hause zurück. Das sind 10 – 12 Stunden unterwegs. Wenn dir da das Krankenhaus keine Krankmeldung für den Tag ausstellen kann und dein Hausarzt zufällig am nächsten Tag keine Nachmittagssprechstunde oder die Praxis Urlaub hat, bekommt der Arbeitgeber die Meldung erst am dritten oder vierten Tag. Was wieder Ärger und Stress bedeutet.
Beispiel 2: Als festgestellt wurde, dass ich einen Tumor habe, braucht es weitere Bildgebende Diagnostik zur Abklärung. Warum muss man da die Schleife zur Überweisung an eine weitere Fachpraxis, die das durchführen kann, über den Hausarzt anfordern, der sich sowieso nicht auskennt und nicht mal weiß, was er in den Arbeitsauftrag für die CT Untersuchung schreiben soll? Besser wäre, sowas könnte gleich der Gastroenterologe, mit dem man sich bespricht, mit erledigen.
Sowas nervt mich wirklich! Da muss was getan werden. Dringend!

Wie schaffst du es, psychisch stabil zu bleiben und dich in schweren Momenten zu motivieren?

Ich habe einen Husky Mischling und wenn der seine Bedürfnisse einfordert, kannst du fast gar nicht anders. Ich habe auch trotzdem mal schlechte Tage an denen wirklich die Luft raus ist und gar nichts geht. Ich lebe nach dem Mantra aus den Rocky Filmen: „Going in one more Round when you don`t think you can – That`s what makes all the difference in your Life”.Das versuche ich dann eben auf meine Situation zu reflektieren. Das kann zum Beispiel bedeuten, trotz Unwohlseins eine Gassirunde zu gehen – besser eine kleine als keine.

Wie weit hat CED deinen Lebensweg verändert?

Einige Dinge sind geblieben. Andere musste ich gehen lassen. Job, die meisten Hobbies und Sport sind geblieben. Nach wie vor halte ich meine gesundheitliche Situation von Freunden und bekannten eher bedeckt. Mir fällt es schwer, darüber zu reden und verstanden wird man sowieso eher von Betroffenen. Auf Social Media bin ich recht aktiv und beteilige mich oft an Beiträgen mit Kommentaren. Selbst betreibe ich aber keinen CED-Account, da ich dafür nicht auch noch Zeit und Energie habe. Zum Glück gibt es Leute, die mehr Zeit und Energie investieren zum Wohle uns aller und denen bin ich sehr dankbar.

Meine Ausgehaktivitäten wie zum Beispiel Geburtstage sind dafür fast auf 0 reduziert. Für sowas fehlt mir oft die Energie. Die geselligen Runden mit Stimmengewirr und Lautstärke sind mir am Abend einfach häufig zu anstrengend. Außerdem muss ich mich meistens dafür rechtfertigen, wenn ich spät abends nichts essen möchte. Bevor ich da diskutieren muss, gehe ich lieber gar nicht hin.
Zusätzlich – auch ohne medizinischen Notwendigkeit – verzichte ich seit über zwei Jahren komplett auf Alkohol. Das schränkt einen im privaten Umfeld zusätzlich ein, vor allem im ländlichen Gebieten.

Wie geht es dir aktuell?

Fast sehr gut. Ich bin dieses Jahr vermutlich sportlich gesehen auf meinem körperlichen Top-Niveau. Trotz der ständigen Fatigue und der dennoch auftretenden Schlafschwierigkeiten komme ich im Moment ganz gut durch.

Nimmst du gerade Medikamente und wenn ja, welche?

Also ich nehme zur CED-Behandlung täglich die Basis Therapie Mezavant mit 2400 mg und alle 14 Tage einen Humira Pen 40 mg. Bei einsetzenden Schubsympthomen nehme ich zusätzlich noch Schaum der Lokal wirkt, was mir häufig schneller und nebenwirkungsfreier hilft als zum Beispiel Orale Kortisonpräperate. Zum Glück ist das mittlerweile sowieso eher selten.
Für den Blutdruck, der etwas erhöht ist, nehme ich täglich noch eine Kombipräberat Candecor complete 16,5 mg und 12,5 mg.

Welche Erfahrungen hast du mit Ärztinnen, Ärzten und Therapien gemacht?

Eigenrecherche ist das A und O. Das geht jetzt natürlich einfacher als vor über 25 Jahren.
Die Ärzte wollen uns helfen, habe ich in den meisten Fällen das Gefühl, jedoch sind sie eben auch nur Knechte des Systems. Da zählt leider Masse statt Klasse. Ich kann zu den verschiedenen Therapien nicht viel sagen, da ich einfach Glück hatte, das das jetzt bei mir funktioniert. Ich kenne Leute aus der Community, die probieren jährlich vieles und nichts hilft oder verliert nach kurzer Zeit die Wirkung. Aber ich habe auch mal gelesen, dass mit zunehmendem Alter die Schubintervalle etwas nachlassen. Ich hoffe darauf, dass es bei mir so ist. Frisch Betroffene sollten sich einer SH-Gruppen anschließen, sich Selbständig informieren, APS-Seminare besuchen. Der noch so weite Weg zum Behandler lohnt sich, wenn man zufrieden ist.

Hast du schon alternative Heilmethoden ausprobiert, die dich zu Beispiel bei deiner Therapie unterstützen sollen?

Das habe ich mal vor einigen Jahren probiert, aber es war nur ein Strohalm. Ich habe noch nie was von diesem Hokus Pokus gehalten und habe das auch nach ein paar Wochen wieder eingestellt. Es ist nicht mein Ding! Aber wer dran glaubt und überzeugt ist, dass es hilft, dem will ich das nicht ausreden. Für mich war es halt nichts.

Was wünscht du dir in Bezug auf die Krankheit?

Das sie mal nicht der Grund ist, der mich das Leben kostet, auch wenn es schon ein paar Mal nahe daran war.

Schlusswort:

Ich Folge auf Instagram einigen CED-Accounts und bin zum Beispiel auch bei der Berliner Selbsthilfe Gruppe @dugehstnichtallein dabei, wenn auch hauptsächlich als Online-Mitglied. Zu den regelmäßigen Treffen kann ich Aufgrund der Entfernung nicht immer gehen, aber ich war auf Events: Letztes Jahr beim „Bauchfreunde Treffen“ unter der Leitung von @chronisch_gluecklich und dieses Jahr zum „Hand in Hand“-Event das Chronisch Glücklich zusammen mit Du gehst nicht allein gewuppt hat. Auch in Kassel auf dem Kämpferherzen Treffen war ich 2023 und 2024. Das Zusammensein mit Gleichgesinnten ist eine großartige Sache und ich bin dankbar, dass ich dabei sein darf.