Die Folgegeschichte von Sarah

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2020 haben wir dich und deine Morbus Crohn-Geschichte kennengelernt. Da warst du 28 Jahre alt und es ging dir ganz gut, obwohl du den Menschen mit deinem Untergewicht aufgefallen bist. Du warst bereits Dünndarm Stomaträgerin, hast Menschen auf deinem Instagram Account bellygirl_lifestyle über dein Leben mit CED informiert, trotzdem noch hauptberuflich als Tourismuskauffrau gearbeitet und dir gerade deinen Traum erfüllt, selbstständige Kosmetikerin zu sein. Jetzt fünf Jahre später sind wir gespannt, wie es dir in den letzten Jahren ergangen ist, welche Träume du dir noch erfüllt hast und wie es dir heute geht und welche neuen Träume du hast.

Ich freue mich, noch einmal eine Mut-Mach-Geschichte erzählen zu dürfen. In den letzten fünf Jahren habe ich nochmal ganz viel nachgeholt, was ich in der Jugend nicht machen konnte aufgrund der Schübe vom Crohn. Konzerte, Festivals und Camping-Urlaub mit dem Auto quer durch Italien sind nur einige Dinge, die ich schon immer machen wollte und jetzt endlich getan habe. Es gibt kaum noch etwas, was ich noch nicht von meiner Bucket-List streichen konnte, außer den vermutlich größten Wunsch: Nachwuchs.

Gab es gesundheitliche Rückschläge oder Fortschritte, mit denen du vor fünf Jahren nicht gerechnet hättest?

Meine Neurodermitis ist zurück. Das nervt schon ein wenig, wobei sie bei mir bis jetzt noch sehr sehr geringe Symptome macht. Dafür ist aber mein Asthma so gut wie symptomfrei. Mein Darm ist weiterhin völlig “gechillt” unterwegs seit der Stoma-OP. Dafür bin ich unfassbar dankbar, weil ich weiß, dass es in der Regel anders läuft.

Funktioniert dein Ansatz ganz offen mit der CED und dem Stoma umzugehen immer noch – oder hast du was daran geändert?

Ich bin tatsächlich gefühlt noch offener geworden. lacht. Mich stört es zum Beispiel nicht mehr, wenn mein Stoma-Beutel aus der Hose raus rankt und andere ihn sehen können. Ich spreche auch weiterhin offen über vermeintliche Tabu-Themen rund um die Verdauung. Also nennen wir das Kind mal beim Namen: Ich rede weiterhin über Scheiße. Mir fällt auf, dass viele Probleme mit der Verdauung haben. Egal ob durch eine (un)erkannte Erkrankung oder nicht. Ich will einfach nicht, dass andere den gleichen Fehler machen wie ich und sich aus Scham zurückziehen, unglücklich sind oder noch schlimmer nicht untersuchen oder behandeln lassen. Je offener ich bin, desto offener ist auch mein Gegenüber. Das schätze ich sehr beim Miteinander.

Was macht dein Gewicht heute? Denken die Menschen noch immer, du seist magersüchtig oder wollen dir was von ihrem Fett abgeben?

lacht. Also, dass mir Leute Fett abgeben wollen, wird wahrscheinlich nie aufhören. Aber mein starkes Untergewicht ist verschwunden. Zu dünn bin ich laut BMI noch immer, aber im leichten Bereich nur noch. Ich selbst habe – wie es so üblich ist gerade für uns Frauen – Tage, an denen ich extrem unglücklich mit meinem Gewicht bin und mich viel zu dünn finde und dann gibt es Tage, an denen ich denke, JLo kann einpacken. Insgesamt fühle ich mich wohl in meinem Körper, versuche aber noch immer mit Kalorienshakes irgendwie über 50 kg zu kommen. lächelt

Vor fünf Jahren sagtest du, deine größte Herausforderung seit der Diagnose war, dass du als chronisch Erkrankte nicht immer so kannst, wie du gern wolltest. Aber du warst auf einem super Weg der Akzeptanz. Wie sieht es heute mit der Akzeptanz aus? Und was würdest du heute als deine größte Herausforderung als CEDlerin beschreiben?

Komplett akzeptiert habe ich es ehrlicherweise noch immer nicht und vermutlich wird es immer Momente geben, an denen ich mich weiterhin ärgere, bemitleide oder mein Limit ignoriere. Aber ich würde schon behaupten, dass ich mittlerweile gelernt habe, öfters “Nein” zu sagen und auch mal eine tolle Verabredung sausen zu lassen, weil es einfach von der Kraft her nicht geht. Das fällt mir immer noch ab und zu echt schwer.

Ich glaube, niemand möchte gerne vorgezeigt bekommen, dass man nicht so kann, wie man möchte. Und ich denke, genau das wird mich auch immer belasten. Ich versuche trotzdem auf meinen Körper – also mein Bauchgefühl – zu hören und mir Pausen zu gönnen, wenn ich sie brauche. Mittlerweile zelebriere ich solche Pausen-Tage mit einer festen Self-Care-Routine. Das motiviert mich dann schon etwas mehr, mir einfach mal Ruhe zu gönnen, während die anderen die Party ihres Lebens o.ä. feiern.

Hat sich dein Alltag mit Stoma nochmal verändert seit unserem letzten Interview? Hast du weiter dazugelernt und kannst den NIK-Leser*innen Tipps geben? Und welcher ist dein ultimativer Anfänger-Tipp für Stomaträger*innen?

Ich würde sagen, geändert hat sich nichts. Aber ich bin gefestigter und noch eingespielter im Alltag. Fauxpas wie keine Notfall-Beutel in der Handtasche zu haben, passieren mir nicht mehr. Jede Tasche, Auto und sogar jede Freundin hat ein Notfall-Kit gebunkert. Ich bin auch deutlich gelassener geworden, was zum Beispiel Leckagen angeht.

Ich glaube, genau das ist mein wertvollster Tipp an Stoma-Newbies: Seid vorsichtig, aber nicht panisch. Denkt an euer Stoma, aber macht es nicht zum einzigen Gedanken in eurem Kopf. Und vor allem: Habt immer und überall Notfall-Beutel deponiert! lacht

In den letzten 5 Jahren mussten wir alle durch eine Pandemie. Wie war die Corona-Zeit für dich?

An sich habe ich die Corona-Zeit sehr gut verkraftet. Anfangs war ich durch die Autoimmunerkrankungen, die ich habe, natürlich immer etwas besorgt. Ich hatte keine Angst, aber ich würde sagen, einen gesunden Respekt vor dem Virus. Was für mich tatsächlich extrem schwer für die Psyche war: Dieses Gefühl, um meine Lebenszeit betrogen zu werden. Ich habe mich wie ein Vogel gefühlt, der, nachdem er endlich Flügel hatte, einfach eingesperrt wurde. Das war so mit das Schwerste für mich. Ich bin froh, dass diese Zeit vorbei ist.

Du hast geheiratet seit wir 2020 gesprochen haben. Herzlichen Glückwunsch! Wir könnten uns vorstellen, dass Stomaträgerinnen vielleicht ängstlich sind, ein weißes Prinzessinenkleid zu wählen? Du hattest aber eines an und sahst fantastisch aus. Auf welche Dinge sollte man unbedingt bei der Kleiderauswahl achten?

Oh wie lieb, vielen Dank! Und ja, weiße Hochzeitskleider stellen CEDlerinnen und Stomaträgerinnen vor eine ziemliche Herausforderung. Ich denke, jeder aus unserer Community weiß, wovon ich rede, wenn ich sage: Weiß bedeutet Leben am Limit. lacht.

Ich würde lügen, wenn ich sage, ich war völlig tiefenentspannt bei dem Gedanken ein weißes Kleid zu tragen. Aber es war mir wichtig, mir diesen Traum nicht durch die Krankheit zerstören zu lassen! Also volles Risiko!

Was ich allen raten kann, die sich auch durch die CED und/oder Stoma nicht das weiße Kleid verbieten lassen wollen: Wenn ihr es an euch mögt, guckt, dass ihr ein paar Lagen Tüll, zumindest im Unterrock habt. Falls euch doch mal ein “Unfall” passiert, muss er sich erst durch die vielen Tülllagen kämpfen, bis er zu sehen ist. Deponiert euch auf dem Damen-WC vorsichtshalber einen Schmutzradierer (die Muttis wissen, was ich meine), Babyshampoo und natürlich Feuchttücher. Und ich kann einen hohen Schlitz im Kleid für Toilettengänge echt empfehlen. Mit einem Schnürsenkel zur Seite weg gebunden, könnt ihr theoretisch auch alleine aufs Klo.

Mein wichtigster Tipp ist aber: Genießt euren Tag, feiert ausgelassen und lasst für diesen Tag mal die Gedanken an die Krankheit zu Hause.

„Butter bei die Fische“ wie wir hier im Norden sagen, wenn’s um heikle Themen geht: Wie bist du für dich und zusammen deinem Partner das Thema Sex mit Stoma angegangen? Was rätst du Neulingen?

Seid offen zu eurem Partner, wenn ihr dazu bereit seid und macht es auf eure Weise. Ich zum Beispiel habe nie jemanden gesagt, dass ich ein Stoma habe oder eine CED habe, bevor wir Sex hatten. Es hat mich nicht gestört, wenn der Beutel beim Sex sichtbar war, habe mich aber wohler gefühlt immer einen schicken Body zu tragen, damit der Beutel nicht direkt das erste ist, was man sieht. Vielleicht hatte ich auch nur Glück, aber was das angeht, habe ich sehr respektvolle Partner gehabt, auch wenn sie nur über die bekannten Apps für einen Abend da waren. lacht.

Bei meinem Mann habe ich es damals ähnlich gemacht und ihm einfach gar nicht gesagt, dass ich ein “Beuteltier” bin. Ich war ehrlich gesagt auch etwas überfordert, wie ich es anspreche soll, deswegen habe ich irgendwann meinen Mut zusammengenommen und bei einem Abend auf der Terrasse kurz und schmerzlos gefragt “ob ihn der Beutel an mir eigentlich stört” Seine Reaktion war “was soll mich denn daran stören” und ich wusste direkt, dass er was für immer sein könnte. Ich habe also die Variante “Pflaster abziehen“ gewählt. Ich denke, dass sollte aber jeder so machen, wie er sich wohl fühlt.

Wie hat sich dein psychisches Wohlbefinden seit dem letzten Gespräch entwickelt?

Ich würde behaupten, dass ich nun richtig angekommen bin. Ich akzeptiere meine Erkrankung und das Stoma. Und trotzdem rege ich mich ab und zu noch darüber auf. Das ist, denke ich, normal und völlig ok. Ich kann etwas akzeptieren und trotzdem Tage haben an denen ich einfach alles scheiße (wortwörtlich) finde.

Hat sich dein Berufsleben oder deine berufliche Perspektive seit 2020 verändert?

Tatsächlich hat sich beruflich viel getan seit 2020. Ich habe Corona bedingt den Tourismus verlassen müssen und wollte nur übergangsweise etwas anderes tun, bis der Tourismus sich erholt hat. Jetzt leite ich den Einkauf bei der Genossenschaft für kommunale IT in Deutschland. Ich bin mega happy und habe beruflich etwas erreicht, was ich niemals auch nur in meinen tiefsten Träumen gedacht hätte, dass es möglich ist. Make-Up ist für mich überwiegend nur noch ein Hobby geworden.

Was sind Herausforderungen oder Fortschritte im Alltag, die du vor fünf Jahren noch nicht so gesehen hast?

Vor fünf Jahren war ich noch sehr vorsichtig mit Essen. Ich würde auch tatsächlich jedem Stoma-Newbie empfehlen, erst mal vorsichtig zu sein. Bei mir wurde es aber irgendwann etwas extrem… Das ist jetzt etwas anders. Ich traue mich immer mal wieder an neue Lebensmittel ran, bei denen ich immer dachte, dass ich Sie nicht vertrage. Und ich bin sehr experimentierfreudig mit Küchenmaschinen. Ich versuche, mir die Freude an Essen nicht vermiesen zu lassen. Einzig salzige Erdnüsse oder die bekannte Marke mit dem Teigmantel drumherum stellen mich vor eine große Herausforderung. lacht. Ich vertrage nur eine kleine Hand davon pro Woche, aber einmal angefangen kann ich mich kaum zurückhalten… Das ist wirklich schwer.

Wenn du auf unser Interview im Jahr 2020 zurückblickst, was würdest du heute anderes erzählen?

Ich würde eigentlich alles genauso sagen. Einzig das Thema mit Vorurteilen hat sich glücklicherweise gebessert. Nichts desto trotz würde ich weiterhin mit Humor kontern.

Hat sich seit 2020 etwas an deiner Therapie oder der Umgang mit dem Stoma verändert? Gibt es neue medizinische Eingriffe oder Diagnosen?

Ich habe mein Beutelsystem ändern müssen und trage jetzt sogenannte konvexe Beutel Platten. Das war nötig, da sich durch die kleine aber feine Gewichtszunahme mein Bauch natürlich verändert hat. Außerdem freue ich mich, dass es auch in Deutschland endlich schwarze Beutel gibt! Sieht einfach viel cooler aus, finde ich. Da werde ich als nächstes hinwechseln. Ansonsten hat sich seit 2020 nichts getan bei mir.

Ich darf voller Stolz und Dankbarkeit verkünden, dass ich weiterhin medikamentenfrei bin. Ich hoffe, das bleibt noch ganz lange so.

Wie geht es dir aktuell?

Mir geht es sehr gut. Ich bin glücklich und freue mich über jeden Tag, den ich erleben darf. Selbst die Blöden. lacht. Nein, Spaß bei Seite! Es gibt natürlich auch Tage an denen ich einfach nur genervt und unglücklich bin mit meinem Stoma und der Krankheit. Alles andere wäre einfach gelogen. Ich versuche dann aber immer daran zu denken, dass vermutlich niemand immer gut gelaunt und glücklich durchs Leben spaziert. Schlechte Tage gehören halt irgendwie dazu.

Gibt es etwas, das du deinem früheren Ich gern sagen würdest?

Du packst das schon! Mach weiter, hör auf dein Bauchgefühl und bleib stark. Bald scheint die Sonne auch wieder für dich!

Was wünscht du dir in Bezug auf die Krankheit?

Da muss ich tatsächlich wiederholen, was ich 2020 im Interview schon gesagt habe: Ich wünsche mir, dass CED und/oder Stoma – gerade bei jungen Menschen – kein Tabuthema mehr ist und wir ohne Scham durchs Leben gehen können.

Schlusswort:

Das Leben läuft nicht immer gerade – aber wer sagt denn, dass der Umweg nicht der schönere Weg ist? Ich geh ihn weiter, mit Lächeln, Leichtigkeit und der festen Überzeugung: Jeder hat sein eigenes Päckchen – meines raschelt eben manchmal ein bisschen.

Stand: 2025

  • Bild zur Mut-Mach-Geschichte von Pauline