
Die Geschichte von Pauline
Wie verlief dein Weg von den ersten Symptomen bis zur Diagnosestellung deiner Colitis ulcerosa?
Die ersten Symptome tauchten plötzlich auf, so mit 16: Blut am Toilettenpapier. Anfangs war es nur das – keine Schmerzen, keine Krämpfe. Aber es verschwand nicht. Ich brauchte einige Wochen, um den Mut aufzubringen, es meiner Mutter zu erzählen. Es folgte ein Temin beim Proktologen, der winkte ab. Doch das Blut blieb – und bald kamen Krämpfe, Schmerzen vor dem Toilettengang. Nach einer weiteren Vorstellung folgte die Überweisung in die Klinik. Eine Darmspiegelung brachte schließlich Klarheit: Colitis ulcerosa.
Wenn du dich an den Moment der Diagnose erinnerst, war dir damals schon klar, was die Diagnose für dich und dein Umfeld bedeutet.
Ich erinnere mich noch sehr genau an den Moment. Der Proktologe schaute mich an und sagte: „Naja, mit 16 hat man ja noch Träume.“ Damals wusste ich noch nicht, wie er das meint. Erste Jahre später wurde mir klar, wie sehr diese Erkrankung mein Leben beeinflussen würde – körperlich, emotional, beruflich.
Zu welcher Zeit war die Colitis ulcerosa bisher für dich am herausforderndsten und kannst du heute herleiten warum es damals so schlimm war?
Meine Schübe hatte ich in der Regel nach intensiven und anstrengenden Lebensphasen: nach dem Abitur, nach dem Anatomiesemester, nach dem ersten und dann wieder nach dem letzten Staatsexamen. Gerade dann, wenn ich durchatmen wollte, kam der nächste Dämpfer. Besonders herausfordernd war das Jahr 2020 – nach dem Studium. Ich sollte eigentlich voller Energie und Euphorie ins Berufsleben als Ärztin starten, doch mein Körper zog die Reißleine. Eine therapierefraktäre Pankolitis, die mich ausbremste und vieles in Frage stellte.
Wie weit ist deine Colitis ulcerosa fortgeschritten und was stellst du dir vor, könnte noch auf dich zukommen?
2020 hatte ich meinen Schwestern Schub – eine ausgedehnte Pankolitis. Heute bin ich in mikroskopischer Remission. Mein Darm ist übersät von Pseudopolypen – Zeichen der vergangenen Entzündungen. Aber aktuell bin ich symptomfrei – und unendlich dankbar dafür.
Wie geht es dir und deinem Darm aktuell? Wie wirst du aktuell behandelt?
Toi toi toi! Mir geht es sehr gut. Ich hatte eine wundervolle Schwangerschaft und meine Tochter ist 2023 gesund zur Welt gekommen.
Ich bekomme seit 2020 Infliximab, alle zwei Wochen spritze ich mich in den Bauch. Seit 3 Jahren bin ich in mikroskopischer Remission, deshalb plane ich mit meinen behandelnden Gastroenterologen einen Auslassversuch.
Wie wurdest du früher behandelt? Was sind deine Therapie- und Behandlungserfahrungen?
Zunächst wurde ich mit Mesalazin lokal und oral behandelt. In Schüben half meist eine Cortison-Stoßtherapie. Doch 2020 war ein Wendepunkt: selbst hohe Cortisondosen halfen nicht mehr. Ich wurde auf das Immunsuppressivum Infliximab eingestellt – ein Einschnitt, der mir zunächst Angst machte, aber dringend notwendige Stabilität brachte.
Als CED-Betroffene bist du voll im Food- und Darmgesundheits-Game und informierst auf Instagram unter @dr_paulie_ramisch darüber, wie die geistige und körperliche Gesundheit durch Nahrung gesteuert werden kann. Könnte man sagen, du siehst die Ernährung gleichwertig mit Medikamenten?
Ja, unbedingt! Ich würde sagen: Ernährung ist Medizin!
Und zwar gleichwertig mit Medikamenten – nicht als Ersatz, sondern als Basis. Besonders bei chronische-entzündlichen Erkrankungen sollte Ernährung eine tragende Rolle in der Therapie spielen. In der Praxis kommt sie jedoch kaum vor. Das muss sich ändern – denn: In einen Diesel kippt man auch kein Benzin, oder?
Was war ausschlaggebend, dass du als Ärztin auf Instagram und unter www.paulineramisch.de online gehst, um über Dinge zu sprechen, die im konventionellen Ärztekontext vielleicht nicht ganz genauso gesehen werden, einfach weil der Ernährung insgesamt kein so hoher Stellenwert bei der Gesundheitserhaltung oder sogar Heilung zugeschrieben wird?
Instagram war für mich eine kreative Spielwiese – und wurde zu einem Kanal, um schulmedizinisches Wissen mit ganzheitlichem Denken zu verbinden. Ich sehe täglich, was im System fehlt: echte Prävention, Ursachenmedizin und Augenhöhe. Ernährung ist kein Randthema. Sie ist Fundament. Ich teile das Wissen, das ich und meine Familie selbst so dringend gebraucht hätte.
Welche sind deine drei wichtigsten Ernährungstipps speziell für CEDler?
- Lasst den Schrott weg. LEBENSmittel haben keine Zutatenliste.
Probiert mal beim Einkaufen bloß Produkte mit maximal drei Zutaten zu kaufen, idealerweise nur eine. - Antientzündlich essen.
Temporär auf Gluten, Zucker, Pflanzenöle, Transfette und konventionelle Milchprodukte verzichten.
Ich orientiere mich da am Paleo-Prinzip. - Im Schub: wenig BALLASTstoffe.
Lasst da lieber Salate, Rohkost und Vollkornprodukte weg,
Euer Darm ist entzündet und kann das nicht verdauen.
In Remsssion: schaut wie ihr Ballaststoffe langsam und vorsichtig integrieren könnt.
Für mich geht z.B. gekochtes Gemüse viel besser als rohes.
Welche drei Ernährungstipps hast du für die gesunden Menschen da draußen, die sich einfach fitter fühlen möchten?
- Fangt an in Nährstoffen zu denken, statt in Kalorien.
Euer Körper braucht Bausteine, um Zellen zu bauen.
Meine Top nährstoffreichen Lebensmittel:
Ei(gelb), Fleischbrühe, Innereien, Sardinen, gekochtes Gemüse. - Regional, saisonal, naturbelassen.
Weg mit dem industriellen Quatsch. - Lernt Euren Körper und Euer Körpergefühl kennen.
Spürt rein: was tut mir gut?
Wonach fühle ich mich gut?
Was sollte ich mir eher seltener gönnen?
Die Kindergesundheit liegt dir besonders am Herzen. Du möchtest, dass sie von Beginn ihres Lebens an, gut genährt werden, um ihr gesamtes System stark zu machen. Was is der Schlüssel dafür? Was brauchen Kinder wann ganz besonders viel oder wenig?
Babys und Kinder haben eine Aufgabe – Wachsen und das jeden Tag. Und dafür brauchen sie Sicherheit, Liebe – und Nährstoffe!
Ich glaube, der größte Schlüssel liegt in der Art, wie wir die Beikost einführen. Gläschen und Brei sind eine moderne Erfindung. Sie sind bequem, aber oft nährstoffarm. Mit dem Wissen, dass wir in den ersten 3-5 Jahren maßgeblich das Mikrobiom unserer Kinder beeinflussen, ist mir das Kochen alle Mühe wert. Ich empfehle: Brühe, Eigelb, Leber, Avocado, Fleisch. Babys brauchen Eiweiß, Eisen, Fett – kein Zwieback und Getreidebrei.
Wann und wie hast du gemerkt, dass Medikamente nicht das einzige sind, das deinem Körper und deinem Geist bei deiner Autoimmunerkrankung positiv unterstützen.
Nach dem schweren Schub 2020 begann ich mit Meditation und Yoga. Ich lernte in dieser Zeit unglaublich viel über mich und merkte, wie wichtig mentale Gesundheit für meine CED ist.
Während meiner Schwangerschaft 2022/23 habe ich ernährungstechnisch „richtig durchgezogen“ – ich stellte meine Ernährung konsequent um. Innerhalb weniger Wochen sank mein Calprotectin von über 800 auf unter 5. So verhinderte ich den Einsatz von Cortison am Ende meiner Schwangerschaft.
Spätestens seitdem höre ich nicht mehr auf über den medikamentösen Tellerrand zu schauen und lerne ganzheitlich zu denken. Körper und Geist gehören für mich seither untrennbar zusammen. Anders geht es nicht, davon bin ich überzeugt.
Was glaubst du, in wie weit hat die Diagnose dein Leben und deinen Lebensweg verändert?
Sie hat mich geformt. Rückblickend war sie ein Katalysator – für mein Denken, Fühlen und vor allem für mein Wirken. Ohne die Erkrankung wäre ich heute nicht hier.
Wie reagieren Ärzt*innen, wenn du als Kollegin ihnen von deinen Erfahrungen berichtest?
Unterschiedlich. Viele zeigen Mitgefühl, wenn ich mich traue über meine Erkrankung zu sprechen. Wenn es um meine ganzheitliche Sichtweise geht, dann ernte ich nicht nur Lob :). Ich habe gelernt, damit zu leben.
Beeinflussen dich die Erfahrungen mit Ärzt*innen, die du als Autoimmunerkrankte gemacht hast, im Umgang mit deinen eigenen Patient*innen? Was machst du anders und was würdest du dir für deine Kolleg*innen im Umgang mit Patient*innen wünschen?
Definitiv! Sie prägt mich tief. Ich weiß, wie es sich anfühlt, nicht gesehen zu werden. Ich versuche heute, genau der Mensch zu sein, den ich mir selbst als junge Patientin gewünscht hätte.
Zuhören, wahrhaftig zuhören – das ist oft der erste Schritt zur „Heilung“. (Manchmal muss man sich da auch seine 4758 Gesundheitstipps verkneifen.)
Für meine ärztlichen Kollegen da draußen wünsche ich mir mehr Zeit für wahre Begegnung. Hört den Leuten zu. Stempelt sie nicht ab und sprecht ihnen bitte nicht ihre Gefühle ab.
Wie hast du – neben der Ernährung – deinen Alltag an die CED angepasst? Was davon fiel dir besonders leicht oder schwer?
Tatsächlich recht wenig – zum Glück. Ich bin derzeit stabil, arbeite, bin für meine Familie da, treffe Freunde und fahre in den Urlaub. Aber ich höre genauer hin, wenn mein Körper „Stopp“ schreit.
Was sind die stärksten Trigger für deine Colitis ulcerosa?
Ganz klar Leistungsstress! Und dazu am besten noch eine miese Ernährung – das ist eine explosive Kombi. (Alle Betroffenen wissen genau, wie ich explosiv meine :D)!
Wie können es Autoimmunerkrankte, deiner Meinung nach, schaffen, wieder auf sich und ihr Körpergefühl zu vertrauen, wenn sie doch so lange Zeit von ihrem Körper an der Nase herumführt wurden und ihnen darüber hinaus Ärzt*innen sagen, wie der Stand der Dinge ihres Körper aktuell ist?
Sie brauchen Wissen – über sich, über die Biochemie und Physiologie ihres Körpers, über Zusammenhänge. Und sie brauchen Begleitung. Einen Menschen, der sie stärkt, wenn sie selbst schwach sind. Es ist ein Prozess, ein Marathon – kein Sprint. Aber es lohnt sich.
Was wünscht du dir in Bezug auf deine Colitis ulcerosa?
Dass ich nicht jedes mal beim Abwischen Sorge habe Blut zu sehen.
Dass sie Jahr für Jahr mehr in den Hintergrund rückt. Sie war Lehrmeisterin. Aber sie braucht nicht mehr die Regisseurin meines Lebens sein. Das nehme ich jetzt lieber selbst in die Hand.
Dein Schlusswort:
Ich bin überzeugt: Wir sind mehr als unsere Diagnose. Mehr als Symptome, mehr als Laborwerte. Ich habe gelernt, auf beiden Seiten zu stehen – als Patientin und als Ärztin. Diese Doppelrolle hat mich demütig gemacht. Vor dem Körper, der so viel trägt. Vor dem Wissen, das wir oft nicht nutzen. Und vor allem vor all den Menschen, die täglich kämpfen – oft im Stillen. Jeder Mensch verdient es, in seiner Ganzheit gesehen zu werden – und sich selbst wieder als Ganzes zu erleben. Dafür gehe ich los.
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