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Multiple Sklerose: Die Geschichte von Alexandra

Bild zur Mut Mach Geschichte Multiple Sklerose von Alexandra

Name: Alexandra Leyer
Alter:33

Diagnose: Multiple Sklerose April 2012
Instagram: @wunderflecken


Wie verlief dein Weg von den ersten Symptomen bis zur Diagnosestellung?

Ich hatte einen Autounfall und bemerkte kurz darauf Sehstörungen. Ein Arzt meinte, dass dies möglicherweise eine Folge des Unfalls sein könnte, empfahl mir aber, zur Abklärung eine Augenklinik aufzusuchen. Wenige Tage später, während eines Spätdienstes auf der Intensivstation (ich bin Krankenschwester), wurden die Augenschmerzen und Doppelbilder so stark, dass ich in die Augenklinik ging. Der Augenarzt überwies mich sofort zur Neurologie. Insgesamt vergingen etwa 4-6 Wochen vom ersten Auftreten der Sehstörungen bis zur Diagnose.

Erinnerst du dich an den Moment, an dem du deine MS-Diagnose erhalten hast?

Ja, ich erinnere mich genau an diesen Moment im Krankenhaus. Als die Assistenzärztin das Zimmer betrat, wusste ich sofort, ohne dass sie etwas sagen musste: Die Diagnose MS hat sich bestätigt. Mein erster Gedanke war: „Oh Gott, wie soll ich das meiner Familie und meinen Freunden erklären?“ Ich war in diesem Moment nicht wirklich traurig, sondern eher überwältigt davon, wie ich das meinem Umfeld erkläre. Ich wollte nicht, dass meine Familie emotional leidet, also habe ich versucht, so zu tun, als würde mich die Nachricht nicht allzu sehr belasten.

War dir sofort bewußt, was die Diagnose für dich, deine Familie und Freunde bedeutet?

Durch meinen Job als Krankenschwester wusste ich, was Multiple Sklerose ist. Meine Mutter hat eine Bekannte, die einen schweren MS-Verlauf hat, deswegen wusste auch sie, wie ein MS-Verlauf aussehen kann. Ich glaube, mein Umfeld hatte definitiv mehr Angst als ich.

Wohin mich meine MS (emotional) führen würde und was ich noch für Einschränkungen erleben würde, wusste ich lange nicht. Ich habe die MS lange Zeit unterdrückt und mir selbst vorgemacht, ich wäre gesund, damit ich emotional nicht “schwach” werde – vor allem nicht vor meinem Umfeld. Warum auch immer, hatte ich das Bedürfnis, alle anderen um mich herum vor meiner Angst zu schützen.

Einen Blick auf deinen Instagram Account @wunderflecken zu werfen, lohnt sich, weil du sehr ehrliche und wertvolle Tipps zum Leben mit MS gibst. Wie hat dich die MS wieder zum Leben erweckt?

Die MS ist für mich wie ein Weckruf und Wegweiser. Sie zeigt mir, wenn ich nicht gut mit mir umgehe oder auf dem falschen Weg bin. Besonders bei Stress machen sich die Symptome bemerkbar, und ich frage mich dann: „Was läuft hier schief? Warum habe ich Stress? Was kann ich tun, um ihn zu reduzieren?“ Durch die MS lebe ich bewusster im Hier und Jetzt. Yoga und Meditation sind wichtige Begleiter geworden, und mein Blick auf das Leben ist klarer und fokussierter. Achtsamkeit hat mir gezeigt, was ich wirklich will und wer ich sein möchte. Ich reflektiere viel ( manchmal auch zu viel 😀 ) , wodurch ich meine Wünsche und Bedürfnisse klarer erkennen und erreichen kann.

Wie viel Autobiografisches steckt in Emma, der Protagonistin deines Buches „Heilung beginnt bei mir“?
80 Prozent.

Das Buch entstand ursprünglich, weil ich meine eigene Geschichte aufschreiben und mein Leben ordnen wollte. Dass es schließlich ein Buch für andere wird, war nie der Plan, doch heute weiß ich, dass es auch vielen anderen Betroffenen hilft. Yoga, Meditation, Journaling, Lesen und die Natur sind meine Werkzeuge, um mich zu entspannen. Früher bin ich vor allem weggelaufen und war ständig unter Strom, wenn mich etwas belastet hat, aber heute setze ich mich bewusst mit mir selbst auseinander.

Wann kam bei dir dieser eine Wendepunkt, an dem du gemerkt hast, dass deine Vermeidungsstrategien nichts bringen und du nur weiterkommst, wenn du der MS ins Gesicht schaust?
Als ich mich psychisch am Tiefpunkt meines Lebens befand. Sowohl mental als auch wegen meiner damaligen Magersucht.

Was hat dich seit deiner Diagnose besonders viel Überwindung und Kraft im Leben gekostet?

Meinen Körper anzunehmen und zu akzeptieren. Gefühle zuzulassen und anderen mitzuteilen.

Wie weit ist deine MS heute fortgeschritten? Was erwartest du? Wie bereitest du dich geistig darauf vor?

Ich bereite mich auf gar nichts vor, weil es meine Stimmung drücken und meiner Meinung nach die Zukunft beeinflusst.
Ich lebe im Jetzt wie jeder andere gesunde Mensch auch.

Fast jeden Tag ist meine MS unterschiedlich stark ausgeprägt. Mal bin ich kognitiv eingeschränkt und kann nicht viel leisten, mal geht es mir körperlich nicht gut. Das äußert sich durch Sehstörungen, Zittern, Kribbeln und Kraftlosigkeit in den Beinen und Fatigue. Dann muss ich schonmal die Arbeit unterbrechen oder das ein oder andere Treffen mit Freunden absagen.

Du bist Krankenschwester von Beruf, ein körperlich und geistig herausfordernder Job. Wie stemmst du deine tägliche Arbeit trotz MS?

Ich habe vor 7 Jahren das Fachgebiet von der Somatik in die Psychiatrie gewechselt, weil ich nicht mal mehr eine Schicht schaffte.
Letztes Jahr habe ich auch den Job in der Psychiatrie auf Eis gelegt, weil ich mich auf meine Tätigkeit als Social Media Managerin, Content Creatorin & Meditationsleiterin fokussiert habe. Das hat aber keine krankheitsbedingte Gründe.

Wie reagieren Menschen um dich herum, wenn du als junge hübsche und gesund aussehende Frau anfängst, über deine MS zu sprechen?
(Danke :))
Die meisten sagen” Hä, das hätte ich niemals gedacht, weil du einfach fit aussiehst.” Danach fragen sie meistens, welche Einschränkungen ich habe und wie sich die MS äußert und was es für meine Zukunft bedeutet.

Wie schränkt dich deine MS allgemein im Alltag ein? Was tust du konkret, um diese Hindernisse konkret in den Griff zu bekommen?

Am häufigsten habe ich Sehstörungen und Fatigue-Anfälle. Dann ziehe ich mich von äußeren Reizen zurück, gehe in die Natur und lege mich einfach eine Runde hin. Wenn sich die Probleme auf einen längeren Zeitraum beziehen, dann hinterfrage ich die Einschränkungen und schaue, ob es derzeit etwas in meinem Leben gibt, was mir Energie zieht, weshalb mein Körper mich “schachmatt” setzt.

Auch als unangenehm empfundene MS-Begleitprobleme sprichst du auf Instagram an, z.B. Blasen- und Darmprobleme. Was hat MS mit dem Darm und der Blase zu tun?

Die Blasen-und Darmfunktion kann durch die MS beeinträchtigt sein. Es gibt medizinische Möglichkeiten, das zu behandeln, ich glaube aber viel wichtiger ist es für die Betroffenen, darüber reden zu können. Vor allem jungen Personen, die an Blasen- und Darmproblemen leiden, ist das sehr unangenehm. Was völlig verständlich ist. Es ist eben generell ein sehr sensibles Thema in der Gesellschaft.

Wie hat sich dein Leben generell verändert, seitdem du weißt, dass du MS hast? Was könntest du dir vorstellen, wäre bei dir heute anders ohne die Diagnose?

Eigentlich nur Positives. Ich kenne mich, meine Bedürfnisse und Wünsche besser. Ich weiß, was ich will und was ich nicht will. Ich weiß, wer und was mir gut tut und was nicht.
Damals bin ich nicht gut mit mir umgegangen. Ich habe sehr ungesund gelebt und gedacht. Ich will gar nicht wissen, was passiert wäre, wäre ich durch die MS nicht “wachgerufen” worden.

Was vermisst du am meisten, wenn du an dein Leben vor der MS-Diagnose zurückdenkst?

Die meisten wünschen sich ihr altes Leben zurück, ich liebe mein neues Leben und wünsche mir nichts anderes zurück, weil ich heute psychischer viel stabiler und glücklicher bin. Das einzige, was manchmal hilfreich wäre, wenn ich mich besser konzentrieren könnte, weniger vergesslich bin und ich weniger Sehstörungen habe. Das nervt schon manchmal.

Wie sind deine Therapieerfahrungen?

Meine beste Therapie ist Selbstreflektion, Yoga, Meditation und der Gang in die Natur.

Was wünscht du dir in Bezug auf MS?

Dass entstandene Schübe rückgängig gemacht werden können.

Schlusswort: Fazit, Rat an Betroffene, Motto etc.
Ich wünsche allen Betroffenen, dass sie ihren Körper und sich selbst annehmen können, sich selbst begegnen können, ihre Träume und Wünsche verfolgen und den Mut haben, sich selbst zu verändern.