Name: Anika Schreiber
Alter: 22 Jahre alt
Instagram: @notfallsanitaeterin_mit_ms
Diagnose: Multiple Sklerose, seit 2020
Wie war der Weg von den MS-Symptomen bis zur Diagnosestellung?
Der Weg zur Diagnose war bei mir tatsächlich sehr schnell. Ich befand mich damals noch genau in der Hälfte der Ausbildung zur Notfallsanitäterin und hatte einen Dienst auf der Rettungswache. Als ich am Abend nach Hause kam, spürte ich ein Ziehen unter meinem rechten Fuß und dachte, ich sei in meinem Dienst blöd aufgekommen. Ich legte mich schlafen, und am nächsten Morgen war der Fuß taub. Ich dachte mir immer noch nichts dabei, bewegte mich am Tag sehr viel und ging abends erneut zur Arbeit. Kurz vor Ende dieses Dienstes erzählte ich es jedoch meinem Praxisanleiter, mit dem ich zusammenfuhr, da mittlerweile mein komplettes rechtes Bein taub war. Dieser zwang mich förmlich, sofort zu unserer Notarztstation zu gehen, um nach der Meinung des Arztes zu fragen, denn es war nun schon Samstagabend. Ich fuhr dorthin und traf eine Notärztin, die ich durch den Dienst schon länger gut kannte. Ich erzählte ihr, was los ist, und sie wollte sofort einen Rettungswagen rufen, wegen des Verdachts auf einen Schlaganfall. Ich lehnte das ab und ließ mich privat von einem guten Freund ins Krankenhaus fahren.
In der Notaufnahme schilderte ich mein Problem, aber es war mir sehr unangenehm, weil ich dort aufgrund meiner Ausbildung regelmäßig selbst als Praktikantin arbeitete. Doch plötzlich ging alles ganz schnell. Mein Blutdruck war über 200 mmHg systolisch und auch hier hatten die Ärzte den Verdacht auf einen Schlaganfall. Ich bekam eine Flexüle und wurde direkt am Abend noch ins MRT geschoben. Von dort wurde ich für wenige Tage auf die Stroke Unit verlegt und die letzten Tage befand ich mich auf der Normalstation der Neurologie. Knapp eine Woche lag ich im Krankenhaus. Der Schlaganfall konnte schnell ausgeschlossen werden, doch es wurden täglich unzählige Untersuchungen gemacht, unter anderem auch die Lumbalpunktion. Allerdings dauerte es eine Zeit, bis die Werte vorlagen. Ich konnte wieder arbeiten gehen und schaute in der nächsten Woche wieder im Krankenhaus vorbei, um zu erfragen, was herausgekommen ist. Da bekam ich auch schon die Diagnose.
Erinnerst du dich an den Moment der Diagnose? War dir bewusst, was die MS für dich und dein weiteres Leben bedeutet?
Als ich die Diagnose bekam, absolvierte ich gerade wieder ein Krankenhauspraktikum im selben Krankenhaus, in dem ich aktuell behandelt wurde. Die Diagnose bekam ich während meiner Pause kurz nebenbei gesagt. Ich saß da und war erst einmal erschrocken, weil ich nicht davon ausging, dass etwas gefunden wird. Außerdem sagte mir die Diagnose in dem Moment gar nichts. Ich war in dem Moment zwar leicht geschockt, verdrängte das aber sofort wieder, weil ich wieder arbeiten und runter zur nächsten OP musste.
Als ich Feierabend hatte, fing ich an, mich ausführlich zu informieren und tauschte mich sehr viel über Social Media mit anderen Betroffenen aus. Das war auch der Grund, weshalb ich damals aktiv mit Social Media angefangen habe. Ich hatte nie wirklich ein Problem mit der Diagnose, sondern akzeptierte sie sehr schnell und lernte, damit umzugehen.
Aus diesem Grund wusste ich auch erst einmal nicht, was es für mein weiteres Leben bedeutet. Aber weiß ich das jetzt? Ich denke nicht. MS ist die Krankheit der 1000 Gesichter, die bei jedem anders und sehr individuell verläuft. Aber ich sage immer, man weiß nie, was passiert, und klar habe ich diese und auch andere Diagnosen, aber sie bestimmen nicht mein Leben! Sondern das tue ich. Jeder von uns kann plötzlich einen Autounfall haben oder auch schon in jungen Jahren einen Herzinfarkt oder Schlaganfall bekommen. Niemand weiß, wie sein Leben mal aussehen wird. Deswegen versuche ich, jeden Tag aufs Neue, jede einzelne Sekunde dankbar und glücklich zu sein, dass ich noch so viel erleben darf. Denn das ist schließlich nicht selbstverständlich, zumindest für mich nicht.
Welche Erfahrungen hast du bereits mit Therapien gemacht und wie läuft es aktuell bei dir?
Durch Zufall hörte der Arzt, der mir die Diagnose mitteilte, genau zu diesem Zeitpunkt im Krankenhaus auf und ließ sich nieder. Einen Monat später war ich eine seiner ersten Patientinnen in der neuen Praxis. Ich begann sofort eine Therapie mit Copaxone und nahm es circa ein Jahr, bis auffiel, dass meine Leberwerte sehr schlecht wurden und ich aufgrund des Medikamentes zweimal einen Krampfanfall erlitt. Ich setzte es also ab, konnte aber auch keine neue Therapie starten, weil niemandem über Monate hinweg auffiel, dass meine Leber davon stark angegriffen wurde. Deshalb war ich etwa sechs Monate ohne Therapie und glücklicherweise erholte sich meine Leber langsam von alleine.
Ein zusätzlicher Grund fürs Absetzen war auch, dass das Medikament augenscheinlich nicht half – ich hatte im ersten Jahr insgesamt vier Schübe. Also nahm ich danach Avonex, was ich jedoch nach einem dreiviertel Jahr aufgrund von dauerhaften Verschlechterungen und extremen Nebenwirkungen absetzen musste.
Seit Januar 2023 erhalte ich nun Ocrevus und bisher bin ich damit mehr als zufrieden.
Man kann also sagen, das erste Jahr war ziemlich schwer für mich. Ich stand kurz vor meinen Prüfungen, hatte die vier Schübe und viele Krankenhausaufenthalte. Dank des Kortisons wurde es besser. Ab Anfang 2022 verschlechterte es sich jedoch dauerhaft und ich hatte mit den klassischen Symptomen zu kämpfen: Fatigue, Schwindel, Taubheitsgefühle und Nervenschmerzen. Doch mittlerweile habe ich das Meiste in den Griff bekommen und weiß damit umzugehen, ohne dass es mich beeinträchtigt. Außerdem nehme ich nun seit knapp zwei Jahren zusätzlich wegen der MS hochdosiertes Vitamin D und Pregabalin. Alternative Heilmethoden habe ich bisher noch nicht versucht.
Dein Instagram-Name und -Profil @notfallsanitaeterin_mit_ms verraten viel über dich. Du möchtest als Notfallsanitäterin und Erste-Hilfe-Ausbilderin für andere da sein. Das ist wunderbar. Aber wie funktioniert es, Notfallsanitäterin mit MS zu sein? Das ist doch ein körperlich sehr anstrengender Job. Hast du nicht manchmal Angst, dass dir die Autoimmunerkrankung einen Strich durch die Rechnung machen könnte und du in einen anderen Beruf einsteigen musst?
Vor allem als die Diagnose sehr frisch war, hatte ich für das gesamte erste Jahr höllische Angst, diesen Beruf eventuell gar nicht oder nicht lange ausüben zu können. Doch ich bin kein Mensch, der so leicht aufgibt, also fing ich an zu kämpfen. Ich machte meinen Abschluss, arbeite nun seit einem Jahr in Vollzeit als Notfallsanitäterin und das bisher immer ohne Probleme. Außerdem bin ich seit einem Jahr Erste-Hilfe-Ausbilderin und gebe ehrenamtlich nebenbei Erste-Hilfe-Kurse, weil es mir persönlich Spaß macht und ich mein Wissen weitergeben möchte. Seit einem Jahr studiere ich nebenberuflich Medizin- und Notfallpädagogik, um mich weiterzubilden, aber auch, um mir ein weiteres Standbein aufzubauen. Denn sollte ich mal, aus welchen Gründen auch immer, nicht mehr draußen im Rettungsdienst arbeiten können, dann kann ich mein Wissen an Berufsschulen, für zukünftige Rettungs- und Notfallsanitäter, weitergeben sowie Weiterbildungen halten.
Wie stark prägt die MS dein Leben, deinen Werdegang, den Umgang mit Menschen und Patienten?
Generell prägen mich meine eigenen Erkrankungen, die vielen Arztbesuche und Krankenhausaufenthalte sehr bei meiner Arbeit draußen am Patienten. Ich weiß selber gut genug, wie es ist, sich hilflos und ängstlich zu fühlen und nicht zu wissen, wie es weitergehen wird oder was mit einem passiert. Ich weiß, wie ich solchen Patienten zum Teil die Angst nehmen und wie ich sie angenehmer behandeln kann.
Wie meistern deine Mitmenschen deine MS-Diagnose im Alltag? Hast du dich aufgrund deiner Erkrankung schon mal in merkwürdigen Situationen wiedergefunden?
In den meisten Fällen bekomme ich sehr viele positive und dankbare Nachrichten zugesendet oder es wird mir ins Gesicht gesagt. Es gab aber auch schon einige Kollegen oder Mitmenschen auf Social Media, die mich deshalb runter- oder niedergemacht haben. Einige wollen versuchen, mir einzureden, dass ich nicht für diesen Job geschaffen sei und ich mich doch lieber umbringen solle, mit so einer Diagnose. Ich versuche so etwas dann zu ignorieren, wenn es denn klappt, und mich mehr auf all die positiven Rückmeldungen zu konzentrieren. Ich konnte schon vielen Menschen helfen, die in den letzten Jahren ebenfalls die Diagnose erhielten. Ich bekomme oft Mut zugesprochen, wie viel Kraft es ihnen gibt, mich über Social Media zu verfolgen und dort zu sehen, was ich alles erreiche. Und ich bin noch lange nicht am Ende angelangt. Ich habe noch ein, zwei Träume, die ich mir hoffentlich in den nächsten Jahren erfüllen werde.
Was wünschst du dir in Bezug auf deine MS?
Ich wünsche mir für meine MS, dass sie so stabil bleibt, wie sie momentan ist, und dass ich alle meine Träume trotz dieser Erkrankung mir erfüllen kann und weiterhin gut damit leben kann.
Dein Schlusswort:
Mein Schlusswort: Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren.