Name: Kara Hunzelder mit Tochter Mia Hunzelder (9 Jahre, Diabetes Typ 1 2014, Zöliaki 2020)
Alter:40
Diagnose: Multiple Sklerose 2012, Hashimoto 2012, Morbus Bechterew 2021, Asthma 2021
Instagram: @mittendrin_sein
Interview:
Du hast eine ganze Reihe von Erkrankungen. Beginnen wir chronologisch: Wie verlief dein Weg von den ersten Symptomen deiner MS-Diagnose?
Als ich die erste Nacht wieder Zuhause zurück von meiner Hochzeitsreise war, bin ich nachts wach geworden und hatte die komplette rechte Seite taub. Zudem hatte ich starke Kopfschmerzen und einen Schwindel. Wir waren zuvor auf den Malediven und ich war voll mit Mückenstichen. Zuerst hatte ich Angst, dass ich mir da was eingefangen habe.
Wir sind dann direkt zum Krankenhaus gefahren, wo eine Blutabnahme und ein MRT stattfand. Innerhalb kürzester Zeit wurde ich dann direkt weiter verlegt, zu einer Neurologischen Klinik. Dort fanden dann innerhalb von drei Tagen jede Menge Tests statt und eine Lumbalpunktion. Danach war die Diagnose „Multiple Sklerose“ gesichert.
Kurz darauf wurde bei dir Hashimoto festgestellt. Wie war der Diagnoseweg hier?
Die Diagnose war eher so beiläufig. Ich hatte extreme Hormonschwankungen und wir haben alles mögliche getestet, bis meinem Arzt dann aufgefallen ist, dass bei mir die Schilddrüsenerkrankung „Hashimoto“ vorliegt. Als Kind hatte ich damals auch schon Probleme mit der Schilddrüse, aber das hatte sich wieder eingepegelt.
Ein paar Jahre später haben die Ärzte noch Morbus Bechterew und Asthma diagnostiziert. Hast du nicht gedacht, es müsste mal vorbei sein mit den Diagnosen?
Einerseits ist es nie schön, eine weitere Diagnose zu bekommen, aber ich war auch irgendwo dankbar, dass das Kind jetzt einen Namen hatte. Denn nun konnte mir geholfen werden. Ich erhoffe mir bei meinem Glück aber noch einen großen Lottogewinn 😊!
Erinnerst du dich an die Momente der Diagnosen und wie unterschiedlich sie sich angefühlt haben? Welche Diagnose ist dir am stärksten im Gedächtnis geblieben und warum?
Meine erste Diagnose „MS“ war, glaube ich, für mich das Schlimmste. Alles war neu und ich war noch nicht so stark wie ich es heute bin. Die anderen Diagnosen waren natürlich auch kein schönes Gefühl, aber ich wusste, wie ich damit umzugehen habe. Ich denke, je öfter man eine Situation meistert, desto leichter fällt es einem.
War dir bei der ersten Diagnose sofort bewusst, was das für dich und deine Familie bedeutet?
Nein, absolut nicht. Ich war gerade 28 Jahre alt, frisch verheiratet und hatte noch einen Kinderwunsch. Ich war mit der Gesamtsituation total überfordert. Mir wurde am Ende auch einfach nur Info-Material in die Hände gedrückt. Daraufhin habe ich erstmal zwei Jahre lang versucht, alles zu verdrängen. Aber das hat sich im Nachhinein natürlich gerächt.
Wie weit ist sind deine einzelnen Krankheiten bereits fortgeschritten?
Ich habe alle Krankheiten ganz gut im Griff und noch nicht viele Einschränkungen.
Wie verlief dein bisher schlimmster MS-Schub und was hast du getan, um da wieder einigermaßen rauszukommen?
Bislang waren die Symptome der MS-Schübe recht gleich: Kopfschmerzen, Schwindel, Müdigkeit, Sensibilitätsstörungen, Gangunsicherheit. Zuletzt hatte ich das erste Mal, dass ein Schub auch auf mein Auge ging. Da hatte ich dann Doppelbilder und sah alles verschwommen. Bei einem Schub gehe ich immer in die Neurologische Klinik und bekomme hochdosiert Cortison intravenös. Das wirkt bei mir immer noch super. Die Ausfälle sind nach ein paar Tagen wieder weg und ich habe eigentlich nur noch mit den Nebenwirkungen vom Cortison zu kämpfen.
Wenn der Körper ständig unter Strom steht und schmerzt, leidet die Psyche automatisch. Auf deinem Insta-Account @mittendrin_sein steht als Krankheitsbild ebenfalls Depressionen. Hattest du schon vor deinen Erkrankungen mit Depressionen zu kämpfen oder hat sich die Krankheit still und heimlich nebenbei eingeschlichen?
Ich glaube die Depression ist schon lange da gewesen aufgrund vieler privater traumatischer Erlebnisse. Ich habe nur mit den Diagnosen angefangen, mehr Gefühl für mich und meinen Körper zu bekommen. Und man kann nicht heilen, wenn man nur den Körper behandelt und die Seele nicht. Jeder chronisch kranke Mensch erlebt jeden Tag unschöne Erlebnisse, die verarbeitet werden müssen.
Welche Depressions-Symptome begleiten dich? Wie schaffst du es, die Depressionen in Schach zu halten und dich immer wieder neu zu motivieren?
Ich musste leider miterleben, wie sich meine beste Freundin aufgrund von Depressionen das Leben nahm. Da war für mich der Zeitpunkt, wo ich sagte, soweit darf es niemals kommen. Ich wollte wieder glücklich sein. Ich wollte leben und das Leben genießen, wenn auch vielleicht anders. Mein Wunsch war es, Menschen zu helfen mit ihrer Krankheit klarzukommen und habe dadurch mir selber geholfen.
Deine neunjährige Tochter hat Diabetes Typ1 und Zöliakie. Das sind Autoimmunerkrankungen, die Erwachsenen schon viel abverlangen – und Kindern umso mehr. Wie schaffst du es, deiner Tochter ein buntes Kinderleben zu ermöglichen? Sie ist bestimmt viel in Kliniken und bei Ärzten, wenn man sich als Mutter wünscht, sie eigentlich auf dem Spielplatz zu sehen.
Hart gesagt: Aber ich habe keine andere Wahl, also mach ich das Beste draus. Die Diagnose Diabetes Typ 1 hat meine Tochter mit sechs Monaten bekommen. Damals hatte sie mehr als einen Engel. Mit einem Blutzucker von 720 ist sie dem Tod von der Schippe gesprungen. Ab da begann ein neues Leben. Ich war einfach nur froh, dass meine Tochter noch am Leben war. Die Diagnose war in meinen Augen irrelevant.
In der heutigen Zeit ist die Technik mit Insulinpumpe, Transmitter und Handy schon so weit fortgeschritten, dass es das Leben mit dieser Diagnose schon vereinfacht. Nichtsdestotrotz bringt es seine Hürden mit sich. Aber Mia kennt nichts anderes. Für sie ist es ein Normalzustand. Sie hat Gott sei Dank nicht viele schlechte Erfahrungen als chronisch kranker Mensch gemacht. Die Kinder waren immer sehr nett zu ihr und haben sogar auf sie aufgepasst, wenn ihre Pumpe mal piepste. Der Tag an dem Mia ein zweites Leben geschenkt bekommen hat, feiern wir immer. Da ist Pumpi-Geburtstag. Dann gibt es Kuchen und Geschenke. Da freut sie sich immer sehr drauf.
Zöliakie bekam sie mit sechs Jahren. Das war leider etwas schlimmer für sie. Denn jetzt wusste sie ja, wie es vorher war und wie glutenhaltige Speisen zum Beispiel Brötchen vom Bäcker schmecken. Vorher musste sie nur in Maßen essen und ihren Blutzucker kontrollieren, aber jetzt durfte sie Sachen nicht mehr essen die sie vorher durfte.
Wie stark haben dich deine Krankheiten im Leben geprägt und vielleicht auch verändert im Vergleich zur der Kara, die du vor der ersten Diagnose warst?
Ganz ehrlich, ich mag mich jetzt viel mehr als vorher. Kein Mensch ist gerne krank aber durch die ganzen Krankheiten und Erfahrungen habe ich so viel gelernt und einfach eine ganz andere Wertschätzung fürs Leben. Zudem habe ich jetzt so viele tolle Menschen in meinem Leben, die ich sonst nie kennengelernt hätte.
Vor welche großen Herausforderung stellen dich deine Krankheiten in deinem Tagesablauf? Welche Tricks hast du entwickelt, um damit möglichst stress- und schmerzfrei durchzukommen?
Ich liebe es zu planen, auch wenn die Krankheiten einem einen Strich durch die Rechnung machen können. Ich versuche, alles ein bisschen in Balance zu halten und mir immer wieder Pausen zu gönnen. Ich habe Menschen um mich herum, die mich in allem unterstützen und vor allem auch helfen, wenn ich selber Hilfe benötige. Und vor allem habe ich etwas Wichtiges gelernt: Nach Hilfe zu fragen!
Wie geht es dir aktuell? Therapierst du gerade und nimmst Medikamente für eine oder mehrere der Krankheiten? Welche Erfahrungen hast du bereits mit deiner/n Therapie/n gemacht?
Medikamente und ich stehen auf Kriegsfuß. Ich bin tatsächlich ein Freund von Alternativmedizin. Ich habe mal eine Basistherapie für die MS gemacht, die jedoch sehr starke Nebenwirkungen hatte und mich psychisch sehr belastet hat. Ich habe mich mit den Medikamenten kranker gefühlt als ohne. Zurzeit nehme ich nur etwas für meine Schilddrüse, ein Asthmaspray und Schmerzmittel bei Bedarf. Etwas, was mir hilft, ist medizinisches Cannabis. Für die Spastiken und das Kribbeln bei der MS und gegen Schmerzen beim Rheuma. Auch das nehme ich nur bei Bedarf.
Kannst du die begleitenden Therapien, die du neben den regulären Behandlungen gemacht hast, empfehlen oder auch abraten?
Was ich empfehlen kann, ist sich nicht verrückt zu machen. Das Angebot ist so riesig, aber jeder muss für sich selbst herausfinden, was ihm oder ihr guttut. So hilft mir zum Beispiel Yoga, Schröpfen und Physiotherapie. Meine Ernährung habe ich auch umgestellt, mache mich da aber auch nicht verrückt, wenn ich den Drang verspüre, einen Döner essen zu wollen. Auch hier gilt, man muss seine Balance finden. Wenn man sich immer sagt: Ich muss meine Ernährung umstellen, ich muss Sport machen, ich muss Medikament xy nehmen, sagt dir dein Körper irgendwann: Ich muss gar nichts mehr. Man setzt sich oft viel zu sehr unter Druck. Das Wichtigste ist ein positives Mindset. Und ich weiß, es ist schwierig immer alles positiv zu sehen und es ist auch wichtig, den Schmerz und Frust zuzulassen. Aber das Leben hat viel zu geben, auch mit chronischen Erkrankungen.
Was wünscht du dir in Bezug auf jede einzelne deiner Krankheiten oder auch alle zusammen?
Ich wünsche mir das meine Krankheiten und ich weiter so eine gute Beziehung miteinander führen. Und ich hoffe, dass sie sich nicht weiter vermehren 😀
Dein Schlusswort:
Das Leben ist zum Leben da.