Mein Name ist Kai, ich bin 41 Jahre alt und 2018 bekam ich die Diagnose Morbus Crohn gestellt.

Mut-Mach-Geschichte-Kai

Wie verlief dein Weg von den ersten Symptomen bis zur Diagnosestellung von Morbus Crohn?

Zehn Jahre lang hatte ich Krämpfe und Schmerzen, musste acht Abszess-OPs und eine Fisteloperation über mich ergehen lassen, ohne dass die Ärzte etwas gefunden hätten. Ich bin immer wieder mit Schmerzen zusammengebrochen und habe am Ende nur noch 50 Kg bei einer Körpergröße von 1,70 Meter gewogen. Mit dem Thema CED kannte ich mich gar nicht aus. Irgendwann sollte ich dann eine Kapsel schlucken, die mir leider stecken geblieben ist. Aber sie hat bei mir Morbus Crohn bestätigt. Drei Wochen später ist mein Dünndarm gerissen.

 

Wie war es für dich, die Diagnose zu erfahren?

Ich habe gefeiert! Das klingt komisch, war aber genauso. Nach zehn Jahren war es eine Erleichterung für mich zu wissen, was die Ursache meiner Schmerzen ist. Mir wurde von Ärzten oder meinem Umfeld so oft das Gefühl gegeben, das meine Symptome psychischer Natur oder gar vorgeschoben sind, dass ich einfach froh war, eine Diagnose zu haben. Was genau diese Krankheit für mich bedeuten würde, wusste ich da allerdings noch nicht.

 

Du bist ein Freund der Menschen: Als Sozialarbeiter und systemischer Coach hast du ständig mit ihnen zu tun. Wie offen gehst du mit deiner Erkrankung im Job um?

In meinem Coaching geht es heute darum, Menschen hin zu einem authentischen Leben mit ihrer CED zu begleiten. Das gleiche lebe ich auch selbst. Ich habe zehn Jahre lang mit meinem Körper einen Streit geführt und habe ihm übel genommen, dass er nicht funktioniert, zum Beispiel, wenn ich einen Termin hatte, den ich wegen der Symptome nicht wahrnehmen konnte. Nicht offen mit seiner CED umzugehen, löst so einen unfassbaren Druck und Stress auf den Körper aus, dass es am Ende gar nicht zu einer Verbesserung der Symptome kommen kann. Also ja, ich lebe mittlerweile in all meinen Lebensbereichen offen mit dieser Erkrankung, auch in meinem Job. Und es fühlt sich so befreiend an, gegenüber meinen bisherigen Lebensjahren.

 


Wie fallen die Reaktionen der Personen aus dem beruflichen Umfeld aus, wenn sie erfahren, dass du Morbus Crohn hast?

Ich bin mittlerweile als Freelancer und Selbstständiger im Nebenerwerb tätig und will das weiter ausbauen. Ich gestalte mir gerade mein berufliches Umfeld so, dass ich mit meiner Erkrankung gut arbeiten kann. Will man Menschen helfen, muss es einem selber gut gehen. Bei Videokonferenzen oder Terminen kläre ich immer schon im Vorfeld ab, dass es sein kann, dass ich eine kurze Auszeit brauche. Bislang habe ich da immer Verständnis und Respekt erfahren. Auch wenn Menschen zu mir in ein Coaching kommen, haben sie jederzeit die Möglichkeit, auf die Toilette zu gehen oder sogar das komplette Gespräch abzubrechen. Das zu wissen, nimmt gleich am Anfang viel Druck raus.

Ich bin derzeit zusätzlich mit einem Arbeitgeber im Gespräch für eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung und habe das große Glück, dass er auf alle Belange eingeht. Bei mir ist tatsächlich die individuelle Zeiteinteilung ein ganz wichtiges Thema und momentan sieht es gut aus, dass wir meine Vorstellungen eins zu eins umsetzen können.

Ich stehe heute mehr für mich und mein Wohlbefinden ein, als ich das früher getan habe. Ich komme aber auch aus der freien Wirtschaft und weiß sehr wohl, dass man da nicht immer auf Verständnis stößt.

 

Wie gehen Menschen generell mit dir als CED-Betroffenen um? Hast du Vorschläge, diese Reaktionen zu optimieren?

Ich war früher immer ein Perfektionist und als solcher ist es unfassbar schwer, Termine zu canceln. Meinen besten Freunden und deren Familien habe ich immer in letzter Sekunde abgesagt, wenn es mir nicht gut ging. Dann habe ich mich sehr schlecht gefühlt und mir ausgemalt, alle würden glauben, ich hätte keine Lust auf sie. Seit meiner Diagnose ist das anders. Ich habe alle mir wichtigen Personen zur Seite genommen und ihnen Folgendes ganz deutlich gesagt: „Wenn wir uns verabredet haben und ich sage ab, dann geht es mir wirklich nicht gut und wir beide haben von einem Treffen nichts. Ich werde niemals absagen, weil ich keine Lust habe. Und bitte behaltet immer im Hinterkopf, dass ich absagen könnte.“

Seitdem das einmal ausgesprochen und besprochen wurde, lebt es sich viel leichter für alle Seiten und ich stoße da auch wirklich auf Verständnis. Daher wäre das mein Vorschlag: Geh’ offen mit der Erkrankung um und wenn irgendjemand nicht damit klarkommt, dann störe ihn nicht dabei. 😉

 

Neben deiner regulären Arbeit weihst du andere Menschen als Lomtro auf YouTube in die Geheimnisse der analogen Fotografie ein und auf deiner Website www.ichundmeincrohn.de mit Blog und dem gleichnamigen Podcast unterstützt du Menschen, indem du über deine persönlichen Erfahrungen mit der Krankheit sprichst. Wie machst du das alles? Was ist dein Geheimnis, um Energie zu tanken?

Ich bin ein sehr symptomsensibler Mensch und spüre sofort, wenn irgendwas in meinem Körper ins Ungleichgewicht gerät. Das hat Vorteile, ist aber auch sehr anstrengend für mich. Was mir hilft, ist Zeit und Ruhe am Morgen, um in den Tag zu starten. Wenn ich morgens Stress habe, dann wirkt sich das negativ auf meinen ganzen Tag aus.

Ich habe die Meditation in mein Leben gebracht, die mir hilft, immer wieder bei mir zu bleiben und meine Ruhe zu finden. Außerdem ernähre ich mich komplett vegan, was mir auch immer wieder hilft, mehr Energie zu bekommen.

Seit nun fast einem halben Jahr habe ich eine neue Routine: kalt duschen. Als ich diese Info in meinem Podcast Ich und mein Crohn erwähnt habe, gab es so viele Rückmeldungen, wie sonst nie. 95 Prozent meiner Hörer brachten Gründe hervor, warum kalt duschen morgens für sie nicht umsetzbar ist. Und ja, ich konnte das total nachvollziehen, weil es auch für mich heute noch jeden Tag echt eine Herausforderung ist. Aber was guttut, darf bleiben und ich habe gemerkt, dass ich seitdem wirklich energiegeladener in den Tag starte und mein Immunsystem stärker ist. Schon ein Pflegedienst, den ich mal hatte, wusste genau, dass Kälte bei CED hilft. Während meiner schlimmsten Zeit wurde ich morgens um 6.00 Uhr ins Bad geschliffen, um meine Arme in Eiswasser zu legen. Was habe ich geflucht! Heute springe ich direkt unter die kalte Dusche und kann das nur immer wieder jedem empfehlen, es selbst auszuprobieren. Am besten mehr als einmal.

Fazit: Ein ruhiger Morgen mit einer kalten Dusche und immer wieder Pausen machen, ist für mich sehr wichtig 🙂

 

Wann fällt es dir besonders schwer, mit der Krankheit zu leben?

Das ist eine schwierige Frage, die hat mir tatsächlich auch noch keiner gestellt. Danke dafür. Als erstes fallen mir Menschenansammlungen ein. Ich habe gesagt, dass ich hypersensibel in meinen Symptomen bin und das ist wirklich nach meinem Darmriss schlimmer geworden. Ich spüre teilweise den Stress anderer Menschen, wenn ich in einer Innenstadt laufe. Das macht sich dann bei mir sofort im Darm bemerkbar. Da ich leidenschaftlich gerne ins Theater oder auf Konzerte gehe, ist das tatsächlich etwas, woran ich noch arbeiten möchte und wo mir die Krankheit noch Schwierigkeiten macht.

 

Wann fällt es dir besonders leicht, mit der Krankheit zu leben?

Wenn ich in meinem gewohnten Umfeld lebe, ich mit angenehmen und gewohnten Menschen zusammen Zeit verbringe und je mehr ich die Möglichkeit habe, frei über meine Zeit und Energie zu bestimmen.

 

Wie geht es dir aktuell?

Momentan geht es mir sehr gut. Ich habe Blutwerte erreicht, auf die ich wirklich stolz bin. Ich habe in den letzten zwei Jahren mein gesamtes Leben umgekrempelt. Jeder Stein wurde umgedreht, Freundschaften, Lebenssituationen und Gewohnheiten hinterfragt. Fast überall habe ich etwas verändert, was super anstrengend war, aber ich mich damit so viel besser fühle. Und ich muss seit zwei Jahren, trotz der Schmerzen durch die Operationen, nicht mehr mit solchen Schmerzen leben, wie ich sie früher hatte. Und ich möchte für mich und meinen Körper alles dafür tun, um da nicht mehr hinzukommen.

 

Therapierst du gerade? Was sind deine Erfahrungen hier?

Bei dem Wort Therapie denkt man, glaube ich, sofort an eine Psychotherapie. Die musste ich bislang nicht in Anspruch nehmen. An Medikamenten nehme ich gerade Entocord, doch meine Ärzte und ich wollen das nun Schrittweise rausnehmen.

Ansonsten supplementiere ich viele Stoffe und lasse immer wieder mein Blut untersuchen.  Ab und zu gönne ich mir auch einen Ultraschall für den Bauch, um nachzuschauen, ob alles in Ordnung ist. Bislang konnten keine Entzündungen mehr nachgewiesen werden und das bezeichne ich als vollen Erfolg, auch wenn ich natürlich im Hinterkopf habe, dass der Crohn noch weiterarbeiten kann und es sicher auch tun wird. Ich habe mir ein sehr gutes Team um mich herum aus Ärzten und Ernährungsexperten aufgebaut und kann auch heute immer noch meinen früheren Pflegedienst um Rat bitten. Ohne Hilfestellung von anderen geht es manchmal einfach nicht und ohne Medikamente auch nicht.

 

Was wünscht du dir in Bezug auf die Krankheit?

Darmerkrankungen müssen aus meiner Sicht mehr in der Öffentlichkeit thematisiert werden. Ein Buch wie „Darm mit Charme“ hat sich aus meiner Sicht so gut verkauft, weil die Menschen mit keinem anderen darüber reden wollen. Da kauft man sich lieber ein Buch, statt mit einem Arzt über seinen Durchfall zu sprechen. Es ist meine feste Überzeugung, dass wir mit unserer Diagnose vorangehen müssen, in dem wir offen unsere Symptome kommunizieren. Es ist eine Win-Win Situation: Wir fühlen uns besser, wenn wir darüber gesprochen haben und andere bekommen vielleicht das Gefühl, frei über ihre Symptome reden zu können. Ich glaube, niemand kann sich vorstellen, wie viele Menschen nach meinem Darmriss auf mich zugekommen sind, um mir im Vertrauen über ihre Darmprobleme zur berichten. Meine Geschichte hat ihnen Angst gemacht. Genau darum möchte ich Menschen dabei begleiten, authentisch mit ihrer CED zu leben und ich habe bislang noch keinen in meinem Coaching erlebt, der es am Ende bereut hat, offen mit seiner Erkrankung umzugehen.

 

Schlusswort:

Fazit, Rat an Betroffene, Motto etc.

Lass dir von keinem, schon gar nicht von dir selbst einreden, dass deine CED eine Schwäche für dich ist. Du hast wahrscheinlich eine bessere Kommunikation zu deinem Körper, als manch ein scheinbar gesunder Mensch. Deine CED ist deine Stärke und niemals deine Schwäche. Das ist für manchen vielleicht provozierend, aber es lohnt sich, sich diesem Gedankengang zu widmen.

 

Stand 2020