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Chronisch entzündliche Darmerkrankung: Die Geschichte von Marcel

Chronisch entzündliche Darmerkrankung: Mut-Mach-Geschichte von Marcel

EINE WAHRE GESCHICHTE: DIAGNOSE MORBUS CROHN

Ich heiße Marcel und bin 33 Jahre alt. Ich habe als Kind die Hauptdiagnose Morbus Crohn mit Dickdarm und teilweiser Dünndarm Entfernung erhalten. Zudem habe ich eine Primäre sklerosierender Cholangitis sowie verschiedene Perianale Fisteln.

Wie verlief dein Weg von den ersten Symptomen bis zur Diagnosestellung? Gab es Besonderheiten oder Schwierigkeiten?

Der Weg zu meiner Diagnose war sehr harzig. Ich kann mich nur noch vage daran erinnern, da es schon sehr lange her ist und ich damals erst 7 Jahre alt war.

An was ich mich aber noch erinnere, ist, dass ich von einen Tag auf den anderen plötzlich starke Bauchschmerzen hatte und sich Blut in meinem Stuhl befand. Daraufhin hat mich mein Hausarzt direkt ins Krankenhaus geschickt.

Der Verdacht lag auf einer Blinddarmentzündung. Und nach etwa 3 Wochen im Krankenhaus ganz alleine in einem 8-Bett Zimmer und mit großer Angst, weil ich das erste mal alleine von Zuhause weg war, bekam ich dann schlussendlich die Diagnose Morbus Crohn.

Du warst noch sehr jung, als du die Diagnose erfahren hast. Hast du verstanden, was da auf dich zukommt?

Ganz klar: Nein! Das war für mich als Siebenjähriger, glaub ich, gar nicht möglich. Die Krankheit kam von Null auf 100. Plötzlich war ich mehrmals im Jahr stationär im Spital, weg von Zuhause und musste, wenn möglich, während des Krankenhausaufenthaltes zur Schule gehen, damit ich nicht allzu viel Schulstoff verpasse. Es war eine große Umstellung für mich.

Auch die Ärzte waren damals unsicher und überfordert mit mir und der Krankheit. Morbus Crohn war noch nicht so gut erforscht wie heute. Aber im Nachhinein betrachtet war es gut, dass ich nicht wusste, was alles noch auf mich zukommen würde. Denn bekäme ich Morbus Crohn jetzt als erwachsene Person und könnte selber entscheiden, was mit mir und meinem Körper geschehen sollte, würde ich bestimmt einiges anders machen.

Zum Beispiel ließe ich nicht zu, dass mein Dickdarm entfernt würde, denn das nützt bei Morbus Crohn nicht so viel wie beispielsweise bei Colitis ulcerosa. Außerdem hat der Dickdarm sehr wichtige Funktionen, die dann natürlich nicht mehr vorhanden sind. Ich mache jedoch niemandem einen Vorwurf. Sowohl meine Eltern als auch die Ärzte wollten nur das Beste für mich.

Wie haben es deine Eltern geschafft, dir das Leben mit Morbus Crohn kinderfreundlich zu gestalten? Hattest du starke Einschränkungen als Kind?

Ich hatte schon einige Einschränkungen als Kind. Übernachtungen bei Freunden, Skilager oder Schulausflüge waren nicht möglich, da ich teilweise wochenlang im Krankenhaus sein musste. Dort jedoch setzten meine Eltern alles daran, mein Krankenhauszimmer so zu dekorieren und mich zu unterhalten, dass ich mich wohl fühlte. Meine Mutter war auch fast täglich bei mir. Dafür bin ich ihr sehr dankbar.

Später in der Pubertät war ich viel alleine Zuhause, weil ich mich auch nicht traute, in den Ausgang zu gehen. In dieser Zeit bekam ich mein erstes Stoma. Ein paar Mal ist es anfangs in der Schule aufgeplatzt, weswegen ich viel gehänselt und teilweise auch verprügelt wurde. Daher fühlte ich mich nur Zuhause wirklich sicher. Diese schrecklichen Erlebnisse haben mich sehr geprägt und sind der Grund, warum mir heute so wichtig ist, dass Mobbing nicht zugelassen wird.

Sonst haben meine Eltern so gut es ging probiert, alles mit mir zu unternehmen, was andere Kinder auch machten.

Keine Frage: ich hatte eine andere Kindheit als gesunde Kinder. Aber ich hatte trotzdem eine schöne Kindheit.

Du bist ein wahrer Strahlemann. Auf deinem Instagram-Account my_little_morbus_crohn sieht es so aus, als würdest du das Leben umarmen und in vollen Zügen genießen. Hast du einfach eine positive Persönlichkeit oder hat dir die chronische Krankheit den Wert des Lebens frühzeitig gezeigt?

Danke =) Einerseits bin ich schon immer ein positiver Mensch gewesen und habe auch gerne mal den Clown gespielt. Außerdem umgebe ich mich am liebsten mit genauso aufgestellten Personen, lache gerne und bringe auch die Leute um mich herum zum Lachen. Anderseits hat mir meine Krankheit, aber vor allem auch von meiner Mutter aufgezeigt, wie wertvoll das Leben ist. Darum will ich mein Leben mit einem Lächeln beginnen, es mit einem Lächeln beenden und auch dazwischen ganz viele Lächeln verteilen.

Aber natürlich musste ich schon viele Male aus einem tiefen, schwarzen Loch aufsteigen. Wichtig ist da nur, sich dann Hilfe zu holen und nicht zu vergessen, sich die schönen Seiten des Lebens wieder vor Augen zu führen. Außerdem ist es erwiesen, dass eine positive Einstellung viele Vorteile mit sich bringt: So wird das Schmerzempfinden herabgesetzt oder Entzündungen nehmen ab. 

Du bist Stomaträger. Welche Stomaart trägst du?

Ich habe ein Dünndarm Stoma. Jetzt komme ich recht gut klar damit. Ich habe es jetzt akzeptiert und sehe auch die Vorteile meines Stomas. Ich würde es jetzt nicht mehr rückgängig machen.

Was bedeutet es, mit einem Stoma zu leben – beim Reisen, im Beruf, bei Hobbys, beim Essen etc…?

Im Alltag spüre ich das Stoma, weil sich nach dem Essen der Beutel einige Male rasch füllt. Dann muss ich es leeren. Vorteil: Die Beutelleerung ist schnell erledigt. Kritisch wird es, wenn es nur wenige Klo‘s gibt und ich anstehen muss, wie im Flugzeug, in der Disko oder bei Outdoor-Veranstaltungen.

Bin ich zum Beispiel auf einem Sommerfest stehe ich zusammen mit den Frauen fürs Toi Toi, den mobilen Toiletten an. Dabei kam es schon häufiger zu blöden Blicken der Frauen. Einige sagten sogar: „Gehe doch aufs Pissoir oder ins Gebüsch wie die anderen Männer.“ Das ist mir dann unangenehm, allen Leuten, auch denen, die nur zugehört haben, zu erklären, dass ich jetzt aus gesundheitlichen Gründen aber ein WC brauche.

Eines meiner Hobbys ist das Unihockey, eine Mischform aus Eis- und Feldhockey. Bei diesem doch rasanten Sport hat mich das Stoma bisher nicht sehr eingeschränkt. Ich bin der Goalie, also der Torhüter und ziemlich gut geschützt, so dass die Bälle, die direkt aufs Stoma prallen, nicht allzu sehr schmerzen. Es kann vielleicht etwas in den Beutel bluten, aber den Schmerz spüre ich fast nicht – auch wegen des Adrenalins. Ausserdem schaue ich, dass der Beutel dabei immer leer ist. Beim Schwimmen trage ich einen Bauchgurt. Da können sich die Leute dann selber etwas zusammen reimen =)

Welche Tipps würdest du jemanden geben, der gerade im Begriff ist, ein Stoma zu erhalten?

Ich würde allen empfehlen, sich als erstes eine Stomatherapeutin zu suchen, der man vertraut. Was hilft, um zu erkennen, auf was man mit einem Stoma alles achten muss, ist es von Vorteil, schon vorher einen Tag lang einen Beutel auf den eigenen Bauch zu kleben und so ein Gefühl für das Stoma zu bekommen.

Ich weiß, es ist leicht zu sagen: „Akzeptiere das Stoma“, denn natürlich schränkt es einen anfangs ein, wird auch mal auslaufen, schmerzen und unangenehm sein. Eigentlich stellt es das Leben zu Beginn auf den Kopf, aber mit der Zeit wird es besser, vor allem wenn man weiß, damit umzugehen.

Ist erst der passende Beutel gefunden, verläuft auch die Pflege irgendwann einfacher und schmerzfrei. Wichtig für die Akzeptanz ist, zu erkennen, dass das Stoma einem die Unabhängigkeit zurückbringt. Ich saß früher stundenlang auf dem Klo und bin auch schon mal vom WC gefallen, weil ich vor Erschöpfung eingeschlafen bin.

Wie geht es dir aktuell?

Seit circa 3 Jahren geht es mir recht gut. Damals wurden meine Medikamente umgestellt bzw. wurde ich neu eingestellt und habe mit dem Rauchen aufgehört.

Davor ging es mir zehn Jahre lang sehr schlecht. Deshalb genieße ich heute jeden Tag, an dem es mir so gut geht. Eigentlich genieße ich mein Leben im Moment doppelt, auch weil ich weiß, dass es mir morgen wieder schlechter gehen könnte.

Mein Selbstbewusstsein ist gestärkt und auch mein Körper hat wieder Energie. Ich kann jetzt wieder Sport und Ausflüge machen. Vorher brauchte ich danach 2 bis 3 Tage Erholungszeit. Meine Energie nutze ich darum heute auch, um andere kranke Personen zu unterstützen und ihnen Mut zu geben, zum Beispiel durch meinen Instagram-Account.

Was hast du gerade für eine Therapie? Was sind deine Erfahrungen hier?

Ich nehme sehr viele Medikamente: Vitamine und Spurenelemente, weil mein Kurzdarm nicht mehr genügend davon aufnehmen kann und Stelara, das mein Immunsystem unterdrückt, damit mein Körper nicht gegen meinen eigenen Darm ankämpft. Dem ganzen habe ich es zu verdanken, dass es mir ziemlich gut geht.

Ein geschwächtes Immunsystem birgt aber andere Risiken. Wir chronisch Kranken sind beispielsweise anfälliger für Infekte, wie Grippe oder die momentan überall kursierende Coronaviren. Aktuell ist es für mich noch wichtiger eine strenge und gründliche Hygiene einzuhalten. Außerdem bin ich auch darauf angewiesen, dass die Personen in meinem Umfeld und auch die darüber hinaus, die Vorschriften der Behörden einhalten und uns Kranken Dinge wie Desinfektionsmittel und Masken überlassen.

Was wünscht du dir in Bezug auf die Krankheit?

Die Akzeptanz in der Gesellschaft darf gerne noch mehr werden. Der Darm und auch seine Ausscheidungen sollten kein Tabuthema mehr sein. Auch die psychischen Auswirkungen, die chronische Krankheiten auf Betroffene ausüben, sollten von Ärzten und auch dem familiären Umfeld ernster genommen werden. Arbeitgeber sollten besser informiert und stärker desensibilisiert werden, um die Angst zu verlieren, eine an Morbus Crohn erkrankte Personen einzustellen.

Außerdem wäre es wünschenswert, wenn überall im öffentlichen Raum mehr Wert auf Toiletten gelegt würde und sich deren Anzahl deutlich erhöhen würde.

Schlusswort:

Mit einer chronischen Krankheit stößt du auf viele Hindernisse. Aber schäme dich nicht, Hilfe in Anspruch zu nehmen – sei es bei körperlichen und psychischen Problemen, aber auch bei Behördenangelegenheiten.

Akzeptiere dich und dein Leben. Dein Leben ist auch mit einer Krankheit lebenswert. Genieße deshalb jeden Tag wie er kommt und freue dich auch über die kleinen, positiven Dinge, die dir ein Lächeln ins Gesicht zaubern.