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Multiple Sklerose: Die Geschichte von Nicole

Mut-Mach-Geschichte von Nicole - Multiple Sklerose

Name: Nicole Kraß
Alter: 52
Diagnose: Multiple Sklerose 2017

 

Wie verlief dein Weg von den ersten Symptomen bis zur Diagnosestellung?

Über Umwege. Ich hatte gerade eine Knie-OP hinter mir, lag noch im Aufwachraum, als ich zum ersten Mal ein seltsames Kribbeln in den Händen spürte. Mit Verdacht auf Karpaltunnel-Syndrom wurde ich zum Neurologen geschickt, der das ziemlich schnell ausschließen konnte. Während sich das operierte Knie schnell erholte, verschlimmerte sich das Kribbeln, wanderte über die Arme, den Rücken bis zu den Beinen und ich ging wie auf Watte. Der Neurologe tippte auf einen Bandscheibenvorfall in der Halswirbelsäule und überwies mich ins MRT und direkt zum Neuro-Chirurgen.

Während ich mich also schon auf eine HWS-OP eingestellt hatte, sprachen die MRT-Bilder eine ganz andere Sprache. Der Neuro-Chirurg schickte mich mit dem Ergebnis umgehend zum Neurologen zurück, der wiederum veranlasste schnellstens ein Schädel-MRT und eine Lumbalpunktion. Da wusste ich schon – hier stimmt etwas nicht.

Erinnerst du dich an den Moment, an dem du deine MS-Diagnose erhalten hast?

Den einen Moment gab es nicht, vielmehr waren es hier und da Andeutungen. So rief mich der Radiologe persönlich an, als ich auf dem Heimweg vom Schädel-MRT war. Ich hätte eine akute Hirnentzündung, bräuchte umgehend Kortison und sollte mich direkt an meinen Neurologen wenden. Ich fuhr dann schon langsamer. Im nächsten Ort, kurz vor meinem Zuhause, dann erneut der Radiologe am Telefon. Er schlug mir vor, direkt bei ihm im Klinikum mit dem Neurologen die MRT-Bilder zu besprechen. Er wirkte sehr besorgt. Ich also heim, meinen Kindern Mittagessen gemacht, wieder ins Auto, zurück zur Klinik.
Es war zwar noch nicht der Moment der finalen Diagnose. Aber der Blick des Arztes in Kombination mit den vielen weißen Flecken in meinem Hirn, die da auf den Bildern zu sehen waren, haben sich dennoch in mein Gedächtnis eingebrannt. Es folgte umgehend die Lumbalpunktion, eine Nacht in der Klinik, die ersten Kortison-Infusionen. Immerhin hatte ich noch kurz Zeit, meine beiden, damals noch kleineren, Kinder bei Freunden unterzubekommen.

Mein Mann war ausgerechnet in dieser für mich sehr schwierigen Zeit auf einer Dienstreise. Ich musste da also alleine durch. Bei der Übergabe von Arzt zu Arzt hörte ich dann „Verdacht auf MS“. Mir wurde zunächst nichts gesagt, man wollte erst alle Ergebnisse abwarten. Ein paar Tage und insgesamt fünf Infusionen später erhielt ich dann die endgültige Diagnose. Und, zugegeben, zunächst war das schon ein richtiger Schock.

War dir sofort bewusst, was die Diagnose für dich und deine Familie bedeutet?

Die MS-Diagnose reihte sich in eine lange Kette von Erkrankungen. Ich dachte daher zunächst: „Oh nein, nicht auch das noch“, bevor ich dann beim nächsten Gedankengang über die möglichen Folgen für mich und natürlich auch für meine Familie nachdachte. Dabei sollte es eigentlich nach einer längeren Pechsträhne endlich wieder zum Tauchen gehen. Ein Traumurlaub war geplant, nach fast zwei Jahrzehnten Tauchabstinenz alles vorbereitet, Kenntnisse aufgefrischt. Daher war dann meine erste Frage an den Neurologen, ob ich denn trotz MS tauchen könne.

Wie weit ist deine MS bereits fortgeschritten?

Sichtbar kaum, unsichtbar hingegen mehr als ich zugeben möchte. Die Muskelkraft in den Beinen lässt immer mehr nach, Greifen geht mit beiden Händen immer schlechter, mir fällt häufig etwas runter, Flaschen aufdrehen fällt mir zunehmend schwer. Ich brauche für alles einfach viel länger, kann mich schlecht konzentrieren und bin über die Maße müde.

Dein Instagram-Kanal @tauchenmithandicap und deine Website www.tauchen-mit-handicap.de/ machen Mut, das Unmögliche zu wagen. Wie ist diese Idee geboren, Menschen mit Behinderung das Tauchen beizubringen oder mit ihren gemeinsam tauchen zu gehen?

Unter Wasser bin ich frei – von Schmerzen, von Sorgen und Ängsten, die eine chronische Erkrankung eben mit sich bringt. Es war wohl kein Zufall, dass ich ausgerechnet dann wieder tauchen wollte, als die MS in mein Leben getreten ist. Und ich habe es trotzdem gemacht, habe diesen lange geplanten Urlaub durchgezogen. Und das, obwohl ich von der MS-Diagnose bis zur Tauchreise schwierige Monate erleben musste: ständige Blutkontrollen, schlechte Werte, weitere Diagnosen bei mir und leider auch in der Familie, unzählige Arzttermine, Physio, Ergo etc. Beim Tauchen war das plötzlich alles so weit weg, es ging mir besser.

Ein Jahr später war ich wieder im Tauchurlaub, diesmal auf einer Tauchsafari. Und in dem Moment als ich auf dem neben uns liegenden Boot einen Taucher im Rolli dabei beobachtet habe, wie er sich ganz alleine fürs Tauchen vorbereitete, da war mir klar: Du kannst alles schaffen, egal, was kommt. Leider kam dann doch einiges: Folgeschübe, verschiedene Operationen, die Corona-Pandemie.

Auch wenn ich zunehmend Hilfe brauche und lernen musste, diese anzunehmen, so werde ich weiterhin tauchen. Damit ich selbst weiß, wie Helfer mich bei Bedarf beim Tauchen unterstützen, habe ich mich zum Adaptive Support Taucher, also zum Begleiter für Taucher mit Behinderung, ausbilden lassen. Und wenn mir schon das Tauchen so guttut, dann geht es anderen vielleicht ja genauso. Viele wissen gar nicht, was alles möglich ist. So reifte die Idee, über das Tauchen mit Einschränkungen einen Blog zu starten.

Würdest du deine MS auch als Behinderung sehen?

Ja, selbstverständlich. Ich werde sie ja nicht mehr los und sie hindert mich daran, leichtfüßiger durchs Leben zu gehen.

Wie unterstützt dich das Tauchen und die Menschen, die du dabei triffst, mit der MS umzugehen?

Ich nenne es mein Herzensprojekt, dabei ist das Tauchen für mich noch viel, viel mehr: Es ist für mich wie Therapie, die beste überhaupt. Ich tauche ein in eine andere Welt, bin fokussiert und konzentriert, mehr als mir das über Wasser gelingt. Sich mit anderen über die gemeinsamen Taucherlebnisse auszutauschen, tut einfach gut und lenkt mich ab vom Alltag und meinem Leben mit MS. Beim Tauchen bin ich glücklich.

Welche hilfreichen Tipps aus deinem Alltag mit Multiple Sklerose kannst du unseren NIK e.V.-Leser*innen geben?

Lerne, „nein“ zu sagen und Hilfe anzunehmen.

Als Taucherin bist du viel in der Welt unterwegs. Was sind deiner Meinung nach No-Gos, die man als MS-Betroffene*r unbedingt auf Reisen oder in anderen Ländern vermeiden sollte?

Ich maße es mir nicht an, andere MS-Betroffene davon abzuhalten, ihre Träume zu leben. Warum nicht reisen, wohin das Herz uns trägt? Die einzige Einschränkung, die ich mir selbst inzwischen auferlegt habe: Ich vermeide es, in Malaria-Gebiete oder Länder zu reisen, die zusätzliche Impfungen erfordern. Da möchte ich mein Glück einfach nicht herausfordern, da jede Infektion ja einen Schub verursachen kann.

Wie geht es dir aktuell?

Danke, mir geht es recht gut. Noch besser würde es mir gehen, wenn ich in meinen Alltag wieder mehr Bewegung einbauen könnte, denn meine Beweglichkeit lässt jetzt doch immer mehr nach. Das stört mich.

Therapierst du gerade?

Ja und nein. Meine aktuelle immunsupprimierende Therapie erstreckt sich über vier Jahre, wobei die Behandlung nur in den ersten beiden Jahren erfolgt. Konkret wurden dabei die T- und B-Zellen stark dezimiert, die mein Körper jetzt in möglichst „braver“ Form neu produzieren soll.

Welche Erfahrungen hast du bereits mit deiner/n Therapie/n gemacht?

Ich bin jetzt im dritten Jahr. Seither keine Schübe, aber schleichende Verschlechterungen. Zuvor hatte ich eine andere, leichtere Medikation, allerdings mit Nebenwirkungen wie sehr starkem Haarausfall, erhöhtem Blutdruck sowie Schüben unter der Behandlung.

Hast du schon alternative bzw. begleitende Therapiemethoden ausprobiert, die dich bei deinen regulären Behandlungen unterstützen konnten?

Zusätzlich zur Basistherapie habe ich eine Zeit lang Weihrauchkapseln geschluckt. Viele MS-Betroffene schwören darauf, da die enthaltene Boswelliasäure dafür bekannt ist, Entzündungen zu hemmen. Für mich ist es nur beim Versuch geblieben.

Was wünscht du dir in Bezug auf deine Multiple Sklerose?

Von meiner MS wünsche ich mir, dass sie sich weiter schön ruhig verhält. Im Allgemeinen wünsche ich mir noch viel mehr Aufklärung über unsere Erkrankung. Zum einen darüber, dass ein Leben mit Multipler Sklerose absolut lebenswert ist und weit mehr geht, als manche glauben (Tauchen zum Beispiel). Zum anderen auch darüber, dass wir MS-Betroffene oft einfach müde sind, mehr Zeit oder auch mal Hilfe brauchen – auch wenn man uns das nicht immer ansieht.

Dein Schlusswort:

Stelle nicht deine Erkrankung an die erste Stelle und nutze sie auch nicht als Ausrede, etwas nicht zu tun. Du bist viel mehr, du kannst mehr, du darfst mehr. Lebe dein Leben, du hast nur dieses eine!