
Was ist die Darm-Hirn-Achse?
Vielleicht hast du schon Schlagzeilen gelesen wie „Eine vorwiegend auf Fertigprodukten basierende Ernährung hat einen negativen Einfluss auf unser psychisches Wohlbefinden‟ oder „Gezielte Atemübungen haben Auswirkungen auf unsere Verdauung.“ Hinter diesen scheinbar überraschenden Aussagen steckt die Entdeckung der sogenannten Darm-Hirn-Achse. Sie beschreibt die bidirektionale (in beide Richtungen verlaufende) Kommunikation zwischen Darm und Gehirn.
Erstaunlicherweise werden die meisten Signale (ca. 90%) vom Darm an das Gehirn gesendet – und nicht umgekehrt. Wie genau diese Kommunikationswege aussehen, wird aktuell intensiv erforscht. Sicher ist jedoch, dass Nerven, unser Immunsystem, Hormone sowie unsere intestinale Mikrobiota (Darmflora) eine große Rolle spielen.
Gerade für Menschen mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa ist dieses Wissen bedeutsam. Denn entzündliche Prozesse, Stress, Ernährung und mentale Gesundheit beeinflussen sich wechselseitig – und die Darm-Hirn-Achse bildet dabei ein wichtiges Bindeglied. Obwohl diese Achse auch bei anderen Erkrankungen wie dem Reizdarmsyndrom eine zentrale Rolle spielt, zeigt die Forschung zunehmend, dass sie auch bei CED für Symptome, Krankheitsverlauf und allgemeines Wohlbefinden relevant ist.
Damit du dir dieses komplexe Netzwerk besser vorstellen kannst, stelle dir vier Telefonleitungen vor, die den Darm und das Gehirn verbinden.
Telefonleitung: Die nervliche Darm-Hirn-Achse
Hast du schon vom Nervus Vagus (N. vagus) gehört? Er ist einer der wichtigsten Nerven unseres Körpers, wirkt beruhigend (parasympathisch) und verbindet unser Gehirn mit vielen inneren Organen – unter anderem dem Darm.
Er schafft eine Verbindung zwischen Bewusstem und Unbewusstem: So können wir zum Beispiel durch gezielte Atemübungen, Summen oder Entspannungsübungen bewusst Einfluss auf unbewusste Prozesse wie die Verdauung nehmen. Ist das nicht faszinierend?
Der N. vagus wird auch als sozialer Vagus bezeichnet, da er emotionale Regulation, Mimik, Stimme und soziale Interaktion beeinflusst. Gleichzeitig überwacht er wie ein hochsensibles Sensorsystem die Vorgänge im Darm und übermittelt diese permanent ans Gehirn.
Bei CED ist die Regulation dieses Nervs besonders interessant, da Stress, Schmerzen und Entzündungen die Vagusfunktion beeinflussen können – und umgekehrt vagusfördernde Maßnahmen wie Atmung, Entspannung und bewusstes Essen das Nervensystem beruhigen und die Verdauung unterstützen können.
Telefonleitung: Die hormonelle Darm-Hirn-Achse
Chronischer Stress ist ein wesentlicher Einflussfaktor bei vielen gesundheitlichen Prozessen und spielt auch bei CED eine Rolle. Stress beeinflusst den Darm über das Zusammenspiel von Nerven und Hormonen – insbesondere Cortisol und Adrenalin.
Unter anhaltendem Stress passiert Folgendes:
- Verminderte Verdauungsfähigkeit: Durch reduzierte Durchblutung und weniger Verdauungsenzyme.
- Gestörte Darmbarriere („Leaky Gut“): Die Darmschleimhaut wird durchlässiger – entzündliche Reaktionen können begünstigt werden.
- Veränderte Darmflora (Dysbiose): Stress kann die Vielfalt und Stabilität der Mikrobiota beeinträchtigen.
Bei CED-Patient*innen kann Stress dadurch Schübe begünstigen oder Symptome verstärken, da Immunsystem, Entzündungsprozesse und Mikrobiom sensibel darauf reagieren. Stressmanagement – ob durch Atemtechniken, Schlaf, Bewegung oder psychologische Unterstützung – ist daher ein zentraler Bestandteil der CED-Therapie.
Merke:
Stress verändert zum einen unsere Darmflora und führt gleichzeitig zu der Ausbildung einer gestörten Barrierefunktion des Darms. Diese beiden Gegebenheiten führen zu einer chronischen Aktivierung des Immunsystems, das wiederum mit einer erhöhten Entzündungsneigung im Körper einhergeht. Gleichzeitg wissen wir, dass einige Reizdarmpatient*innen in Studien sowohl eine gestörte Barrierefunktion als auch eine erhöhte Aktivität des darmassoziierten Immunsystems aufweisen. Wie genau diese Aktivierung des Immunsystems aussieht, schauen wir uns in der nächsten Telefonleitung an.
Telefonleitung: Die immunologische Darm-Hirn-Achse
Wusstest du, dass etwa 70% unseres Immunsystems im Darm sitzt? Das sogenannte darmassoziierte Immunsystem arbeitet wie ein hochintelligenter Türsteher: Es unterscheidet ständig zwischen harmlosen und potenziell gefährlichen Stoffen.
Bei CED ist dieses System dauerhaft aktiviert, was immer wieder zu Entzündungsreaktionen führt. Gleichzeitig kann bei entzündlichen Prozessen die Darmbarriere geschwächt sein. Dann gelangen Stoffe aus dem Darm leichter in den Körper und treffen dort auf Immunzellen – was wiederum Entzündungen verstärken kann.
Die ausgeschütteten Botenstoffe (Zytokine) haben nicht nur Auswirkungen im Darm, sondern können auch das Gehirn beeinflussen. Das erklärt, warum Menschen bei Entzündungen oft Symptome wie Müdigkeit, gedrückte Stimmung oder Appetitlosigkeit erleben – ein Phänomen, das auch Sickness Behavior genannt wird.
Bei CED ist dieser Zusammenhang besonders relevant: Entzündungen im Darm können sich auf das Gehirn und emotionale Prozesse auswirken, was wiederum das Stressempfinden und die Krankheitsbewältigung beeinflusst.
Telefonleitung: Die Mikrobiota-Darm-Hirn-Achse
Billionen von Mikroorganismen (ca. 1–2 kg) leben in unserem Darm. Sie helfen uns bei Verdauung, Nährstoffaufnahme, Vitaminproduktion und beeinflussen Immunsystem und Hirnfunktion. Besonders wichtig sind kurzkettige Fettsäuren (SCFA) wie Buttersäure, die:
- die Darmschleimhaut ernähren,
- die Darmbarriere stärken,
- das Immunsystem regulieren.
CED-Patient*innen weisen häufig Veränderungen der Darmflora (Dysbiose) auf. Diese Veränderungen beeinflussen nicht nur die Entzündung im Darm, sondern auch Stressreaktionen und emotionale Gesundheit. Umgekehrt können Ernährung, Probiotika, Bewegung und Lebensstil die Darmflora positiv beeinflussen – und damit möglicherweise auch die Darm-Hirn-Kommunikation.
Zusammenfassung:
Die Darm-Hirn-Achse zeigt eindrucksvoll, wie eng Körper und Psyche miteinander verbunden sind. Nerven, Immunsystem, Hormone und Darmflora bilden ein komplexes Netzwerk, das sich gegenseitig beeinflusst.
Für Menschen mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen bedeutet das:
- Entzündung beeinflusst das Gehirn
- Stress beeinflusst die Entzündung
- Darmflora, Ernährung und Emotionen spielen zusammen
Das Verständnis dieser Zusammenhänge kann helfen, Therapien besser zu verstehen und langfristig zu unterstützen. Die Forschung entwickelt sich rasant – und wir stehen erst am Anfang dessen, was wir über diese faszinierende Verbindung lernen können.
































