„NIK

Chronisch entzündliche Darmerkrankung: Die Geschichte von Jana

Bild zur Mut Mach Geschichte von Jana - CED

Name: Jana Sophie Gottert aka „@nocolon.stillrollin
Alter: 27 Jahre alt
Diagnose (welches Jahr gestellt bekommen):
2015 Diagnose Colitis Ulcerosa (Chronisch Entzündliche Darmerkrankung)
2017 Kolektomie (Dickarmentfernung)
2018 J-Pouch-Anlage
2021 chronische Antibiotika-resistente Pouchitis
2024 J-Pouch-Extransplantation und erneute Stoma Anlage?

Interview:

Jana, du bekamst 2015, mit gerade mal 18 Jahren, die Diagnose Colitis Ulcerosa. Rückblickend: War dir damals klar, was da auf dich zukommt?

 Nein, ich hatte keine Ahnung. Viele Studien1 und auch Erfahrungsberichte aus der CED-Community zeigen, dass viele Betroffene jahrelang auf eine Diagnose und somit auch eine Behandlung warten.

Bei mir ging irgendwie alles ganz schnell. Anfang 2015 fing alles mit extremer Fatigue (Erschöpfung, bei der durch Schlaf trotzdem keine Erholung eintritt), es folgten die klassischen Symptome: Durchfall, dann blutiger Durchfall, dann nur noch Blut – teilweise bis zu 35 Mal am Tag. Alles natürlich gepaart mit extremen Bauchschmerzen und Schmerzen direkt hinterm Rektum. Aufs Klo zu müssen, war die Hölle. Und das 35 Mal am Tag und in der Nacht natürlich auch.

Mitte 2015 erhielt ich verhältnismäßig einfach und schnell meine Diagnose Colitis Ulcerosa und wurde direkt eingestellt. Ich hatte lediglich Glück, dass meine damalige Hausärztin auch Internistin war und direkt den Ernst der Lage verstand, bereits die Verdachtsdiagnose Colitis äußerte und mich zu einem sehr renommierten und befreundeten CED-Spezialisten überwies.

Mein Gastroenterologe stellte mich erstmal auf leichtere Medikamente ein, denn er wollte damals nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen, wie er so schön sagte…

¹ Wilson BS et al. Life impact study. GUT 2012; 61 (Suppl 3):A157.

Aber deine Colitis Ulcerosa war kein Spatz? Wie ging es dir damals?

 Leider nein. Es gibt unterschiedlichste Verlaufs-Stärken und Verlaufs-Arten. Es stellte sich heraus, dass ich nicht nur einen schweren, sondern auch einen kontinuierlichen Verlauf habe. Dazu war ich Cortison-abhängig und resistent auf jedes Medikament auf dem Markt. Auch komplementäre Verfahren halfen mir nicht, wie eine Ernährungsumstellung oder Meditation oder, oder, oder. Ich probierte alles. Nichts half. Ich wurde immer kränker und gefühlt hatte man mich ab dem Zeitpunkt meiner Diagnose, in die reißerischen eiskalten Fluten des Meeres geworfen, obwohl ich gar nicht schwimmen konnte. Ich war hilflos und kämpfte jeden Tag mit der enormen Krankheitslast.

2017 wärst du fast gestorben auf Grund deiner Colitis Ulcerosa. Eine CED ist doch angeblich so gut behandelbar?

Bei den meisten Betroffenen trifft das auch absolut zu. Für meine Erkrankung ist das Wort „Remission“ aber eigentlich ein echtes Fremdwort… Nachdem wir zwei Jahre alles taten, um den Schub irgendwie in den Griff zu bekommen, hörte ich schlichtweg aus Verzweiflung auf zu essen. (Bitte nicht nachmachen!!) Dazu bekam ich eine Gürtelrose und eine Magenschleimhautentzündung obendrauf. Mein Gastroenterologe intervenierte Ende 2017, nachdem ich sechs Wochen nicht gegessen hatte. Ich durfte nicht mal mehr nach Hause, um meine Tasche fürs Krankenhaus zu packen. Er rette mich quasi eigenhändig vorm Ertrinken und wies mich direkt zur Kolektomie (Dickdarm-Entfernung) ins Krankenhaus ein. Ich bin ihm bis heute dankbar, denn man merkt nicht, wenn man erfriert… Ich hatte damals keine Ahnung, wie nah ich doch meinem Ableben war…

Foto: Wolfgang Skroch
Instagram: @kastaven_w
www.kastavenw.com

Deine CED hat dir deinen Dickdarm genommen und einen künstlichen Darmausgang (Stoma) beschert. Aber du hast dich noch für zwei weitere Operationen entschieden. Wie ging es für dich weiter?

Genau, denn beim Stoma wollte ich es nicht belassen. Ich wollte einen J-Pouch! Das ist eine Körper-innenliegende Verbindung zwischen Dünndarm und Anus, inklusive eines kleinen Reservoirs. Dafür waren zwei weitere OPs notwendig, aber das war es mir wert! Man sagte mir, mit J-Pouch fühle man sich wie geheilt und ich war so voller Hoffnung! 2018 ging ich zum ersten Mal wieder „normal“ aufs Klo. So hart all die OPs und die Zeit waren, ich dachte wirklich, ich habe es nun geschafft! Ich war so unglaublich glücklich und voller Tatendrang!

Dein Instagram-Profil heißt @nocolon.stillrollin und besteht aus den Wörtern „no colon“, also „kein DickDarm“ und „still rollin‘“,  also „immer noch am rollen – bzw. weitermachen. Ist das dein Motto: Du und deine Leben laufen weiter, auch ohne Dickdarm? Wie hast du es geschafft, dich wieder ins Leben zurückzukämpfen?

Ich glaube viele (gesunde) Menschen stellen sich das falsch vor… Wenn du chronisch krank bist, unheilbar krank, mit einem Verlauf wie meinem, kämpfst du dich nicht zurück ins Leben… Das hier ist kein Superheldenfilm. Das ist meine Lebensrealität. Jeden Tag. Und leider wurde ich wieder enttäuscht, denn bereits wenige Monate nach meiner letzten OP entzündete sich mein J-Pouch zum ersten Mal. Und dann wieder und wieder und wieder… Doch ich hatte den Kickstart ins Leben bereits gewagt, war ausgezogen bei Mama, steckte mitten in meiner Ausbildung und war stinksauer auf das Leben und die CED und die fehlende Unterstützung. Mir ging es wieder nicht gut. Nicht ein bisschen besser als vor den OPs. Das Einzige, was mir immer half, war psychische Unterstützung. Am besten von Betroffenen selbst oder von spezialisierten Psychotherapeuten. Also fing ich an, zu bloggen. Sichtbar zu werden und über meine erbarmungslose Erkrankung zu schreiben. Ich fing an Aufklärung zu betreiben und laut zu werden, vor allem gegen die Falschinformation, eine Colitis Ulcerosa sei heilbar durch die Kolektomie!

Auf deinem Instagram-Profil berichtest du schonungslos, wie es ist mit einer CED zu leben. Welche Erfahrung hast du mit deiner Community gemacht und wie wichtig ist dir deine Arbeit dort?

Was klein anfing wurde relativ schnell ziemlich groß! Ich wurde nach und nach immer mehr zur Kapitänin meines Schiffs, egal wie rau die See (meine Erkrankung) um mich stürmte. Und ich half Betroffenen metaphorisch nach und nach an Board. Deswegen bezeichne ich mich heute als einen Prototyp einer CED-Lotsin, als Aktivistin gegen Ableismus und für Menschen mit chronischen Erkrankungen und*oder Behinderung und als CED-Patient*innen-Expertin. Für mich gehört eben auch dazu, dass ich meine Lebensrealität so echt, wie möglich darstelle. Viele Betroffene fühlen sich dadurch weniger allein und validiert. Ich sage immer, ich spreche über Kacke und Gefühle auf meinem Account und ich glaube das ist wirklich das Wichtigste! Genau darüber zu sprechen, damit man nicht allein ist, dort im eiskalten Meer, voller Symptome und keine Hilfe in Sicht ist! Für viele bin ich dort das kleine Rettungsbot in der Not, auch wenn ich natürlich nur Hilfe vermitteln kann.

Wie geht es dir aktuell?

Seit Ende 2021 steht die Diagnose chronisch Antibiotika-resistente Pouchitis. Das war nochmal eine richtige schwere Zeit für mich. Mein Gastroenterologe und ich haben natürlich seit 2018 wieder alles versucht, was nur so geht. Aber keine Chance. Aktuell plane ich, mir den J-Pouch wieder entfernen zu lassen und wieder ein Stoma zu bekommen. Diesmal für immer. Ich befinde mich mit meinem kleinen Kutter also wieder in wirklich stürmischen Gewässern. 2023 war ein Jahr, in dem ich völlig in den Krankheits-Burnout gerutscht bin, weil meine Erkrankung einfach immer mehr von mir abverlangt. Seit meiner Diagnose gab es nicht eine einzige Pause und immer nur noch mehr Komplikationen.Auch die Stärksten unter uns, samt einem kompletten Supportsystem, können irgendwann nicht mehr. Es wurde Ende 2023 sogar Palliativversorgung gesprochen. Aber irgendwie habe ich es jetzt (2024) geschafft, wieder das Steuerrad an mich zu reißen, zumindest mental. Ich glaube, manchmal wird man einfach von selbst wieder zuversichtlich und vielleicht sogar glücklich. Der Mensch ist nicht darauf programmiert, traurig, wütend und verzweifelt sein zu wollen. Wir wünschen uns doch alle nur Sicherheit und Ruhe und Zufriedenheit.

Kannst du deiner doch schweren Chronisch Entzündlichen etwas Positives zuschreiben? Was wünscht du dir für Betroffene von Chronisch Entzündlichen Erkrankungen?

 Ja, auf jeden Fall! Auf der einen Seite wird man enorm darauf sensibilisiert, dass egal, wie gesund und toll ein Mensch dorch aussehen mag, er*sie vielleicht genauso schwer zu kämpfen hat, wie man selbst… Man wird viel empathischer, hilfsbereiter und versteht vielleicht, worauf es im Leben wirklich ankommt. Nämlich nicht auf „Hauptsache gesund!“, sondern, dass man glücklich und zufrieden sein kann, egal wie die Lebensrealität doch aussehen mag.

Meine Erkrankung hat sich in meine Berufung gewandelt. Ich blogge nicht mehr nur, ich bin selbstständige Aktivistin. Stehe der Pharmaindustrie und anderen Unternehmen beratend zur Seite, damit sie die Patient*innen Seite besser verstehen können, halte Vorträge oder gebe Workshops.

So stürmisch es auch gewesen sein mag und so sehr ich in meiner kleinen Nussschale durchs Meer gewirbelt wurde und werde, meine CED hat mich gefühlt erst auf die Idee gebracht, eine Art See-Not-Rettung für Patient*innen ins Leben rufen zu wollen. Dafür möchte ich dieses Jahr auch nochmal studieren. Damit dann hoffentlich eines Tages, kein*e Betroffene*r mehr lange im eisigen Meer aushalten muss, sondern der Rettungsring viel früher einen daraus holt und man erstmal eine Decke und einen heißen Tee an Board angeboten bekommt. Und dann noch so viel mehr…

Janas Beitrag zu Colitis Ulcerosa