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Morbus Bechterew: Die Geschichte von Helene

Bild zur Mut Mach Geschichte von Helene - Rheuma

Name: Marie Helene Anschütz
Alter: 38
Diagnose: : Morbus Bechterew, Migräne, Neurodermitis und Acne inversa
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Vor kurzem sagte meine Mama es: „Seit du sieben Wochen alt warst, hast du dir seltene und ernste Krankheiten zugelegt!“
Klingt so als hätte ich die im Restaurant bestellt und dann auch ein herrlich aufwendiges Menü serviert bekommen.
Aber tatsächlich fühlt es sich ein bisschen so an.
Damals hatte ich als Säugling Verdacht auf Meningitis und extrem erhöhte Entzündungswerte, die damals keiner erklären konnte.
Mit drei Jahren folgte Neurodermitis und als Teenie Migräne mit Aura und Erbrechen.
Im Alter von 20 lahmte mein linkes Bein ohne verständlichen Grund…

Die Diagnose Morbus Bechterew kam aber trotzdem eher zufällig im Jahr 2006. Im Studium litt ich damals unter extremen Rückenschmerzen. Trotz Bewegung und Medikamenten wurde es nicht besser.
Von Köln über Frankfurt bis Darmstadt ging die Ursachensuche weiter. Irgendwann kam mein Vater (Internist und Nephrologe) auf die Idee, den Blutwert HLA B27 positiv testen zu lassen, da bereits mein Großvater an einer verwandten rheumatischen Erkrankung litt. So war sie plötzlich da: eine Diagnose!
Der Schock hielt sich damals in Grenzen, da ich mir nicht vorstellen konnte, dass diese Krankheit mal mein Leben bestimmen würde.
In den kommenden Jahren allerdings gingen ein paar Symptome immer wieder vor und zurück. Versteifungen wurden im MRT als minimal eingestuft und bis zu meiner ersten Schwangerschaft mit 24 Jahren verlief die Krankheit still und ohne besondere Schübe.

In der Schwangerschaft begann das Drama: Die ersten Fisteln und Zysten bildeten sich am Steißbein. Einige mussten noch mit Babybauch operativ entfernt werden. Das diffuse Bitzeln am Steißbein blieb bis heute.
In der zweiten Schwangerschaft war ich durch frühe Komplikationen zur dreimonatigen Bettruhe gezwungen und dadurch ziemlich beansprucht. Aber wen hätten 12 Wochen Bettruhe nicht körperlich beansprucht?
Beide Töchter haben per Kaiserschnitt gesund das Licht der Welt erblickt und sind heute 10 und 13 Jahre alt.

Erst viele Jahre später kamen die ersten Schübe mit entzündlicher Veränderung in den Gelenken. Da ich als freischaffende Künstlerin
mehrere Jahre selten klassische 9 to 5 Büroarbeit leistete, war ich viel unterwegs, sehr aktiv und dadurch lange körperlich sehr fit. 2019 trat ich einen neuen Job an, der mit mehr Büroarbeit verbunden war.

Im Winter 2020 begann es mit heftigen Schüben mit erhöhtem CRP und ersten Versteifungen im Steißbein. Nach ersten schlimmen Phasen unter hochdosierten Schmerzmitteln, Unbeweglichkeit und Nächten ohne Schlaf suchte ich eine Rheumatologin auf. Kurz danach begann die Therapie zunächst durch einen Kortisonschub, darauf folgte Benepali Eternacept als Pen einmal wöchentlich und dauerhaft NSAR.
Mit zwei Kindern und einem Vollzeitjob am Theater wurde der Zustand immer prekärer und nach zwei Jahren, einer Sport-Reha, Biologikum und 3 IBU800 täglich, musste ich die Reißleine ziehen.
Regelmäßig tauchten weitere Zysten auf: am Steißbein, am inneren Beckenknochen, an der Gebärmutter, am Eierstock in der Brust, die oftmals operativ entfernt werden mussten. Die Ursache für die schnell wachsenden Zysten ist bis heute ungeklärt. Gemeinsam mit einem Endokrinologen habe ich auf Unverträglichkeiten getestet und bei dem Verzicht auf Gluten konnte man eine kleine Verbesserung der Werte erkennen. Die Zysten entwickeln sich dennoch.

Seitdem versuche ich im Alltag – so gut es geht – auf Zucker, Gluten und entzündliche Stoffe zu verzichten. Gilt nicht für den Urlaub am Gardasee oder besondere Anlässe wie Geburts- oder Feiertage. Die Werte wurden besser, die Beschwerden leider nicht. Mit Sport-Reha und vielen Übungen zur Stärkung des Rumpfes habe ich mich langsam durch die Schmerzen gekämpft. In den warmen Monaten bin ich weitestgehend symptomfrei. Kommt der Oktober und der nasskalte Regen, kommt der Schub ganz bestimmt. „Lifestyle ist zuträglich, heilt die Krankheit aber nicht!“ – auch das musste ich schmerzlich lernen.

In meinem Fall kommen Schmerzschübe auch ohne Entzündung im Gelenk: Unruhe ab 5:00 früh, Versteifung im gesamten Rumpf, dumpfe pulsierende Schmerzen im unteren Rücken, kribbeln und brennen im Steißbein und unbewegliche Gliedmaße wie Hüfte, Bein und Ferse.

Nach der Covid-Infektion im Jahr 2022 ging es steil bergab. Eine weitere Entzündung wütete wie ein Sturm durch meinen Körper. Zehn Tage Covid-positiv und im Anschluss eine Lungenentzündung, die mich so sehr umhaute, dass ich ein Antibiotikum brauchte und ich fast sechs Wochen ausgeknockt war.
Danach kam eine weitere Diagnose: Acne inversa. Eine entzündliche Hauterkrankung, die bei mir vor allem an Oberschenkeln, Bauch und Bikinizone auftaucht. Von eitrigen Stellen, die aufgeschnitten und behandelt werden mussten, bekam ich dann noch eine Venenthrombose, die mich ans Bett fesselte. Eher unpassend für eine Patientin mit chronischem Rückenleiden.
Eine Autoimmunerkrankung kommt ja bekanntlich selten allein- so setzen sich nach Jahren mit neuen Diagnosen einige Puzzlestücke zusammen: Seit meinem 2. Lebensjahr litt ich an Neurodermitis, mit 13 folgten heftige Migräneattaken mit Aura und Übelkeit. Die Liste an chronischen Erkrankungen wurde immer länger. Vieles davon passt aber lehrbuchartig zusammen und erklärt mir täglich mehr über mich und meine Beschwerden.

Seit Oktober letzten Jahres habe ich – nach weiteren Verknöcherungen im Gelenk – den Kreislauf durchbrochen und mich auf unbestimmte Zeit krankschreiben lassen, war in stationärer Reha und habe mein Leben umgekrempelt. Gesünder leben und Druck rausnehmen! Für mich bedeutete das eine große Umstellung: keine täglichen Termine außer Krankengymnastik, Psychotherapie und Bewegung. Nur noch Verantwortung für meine Kinder, meinen Körper und mich. Zunächst tat es nicht nur körperlich weh. Ich definiere mich (seit ich ins Berufsleben einstieg mit Anfang 20) darüber, was ich tue. Habe eine starke Meinung, den Drang mich mitzuteilen und glaube an mich und meine Fähigkeiten. Da war die Ablösung von einem sehr erfüllenden Job mit viel kreativem Output und Verantwortung ein großer Einschnitt.
Ohne jemandem Ratschläge erteilen zu wollen, kann ich trotzdem zu 100% bestätigen, dass es mit derlei Diagnosen nur richtig war, sich selbst aus dem Verkehr zu ziehen, bevor es die Krankheit tut…

Und da ich nie Sätze wie „Das hat mein Leben verändert!“ sagen würde, bleibt mir nichts anderes zu sagen als: Es war die richtige Entscheidung! Denn seitdem lerne ich täglich Neues über mich, meinen Körper und darüber, wie ich mich mit den chronischen Erkrankungen im Alltag besser zurechtkomme.

Durch die Reha habe ich außerdem spüren gelernt, dass Bewegung trotz Schmerz und Erschöpfung ein wesentlicher Teil meines Schmerzmanagements ist. Die Anfänge sind hart und kosten Überwindung, ja, das ist so!
Eine schmerzende Hüfte oder Schulter einem Pilates-Workout zu unterziehen, fühlt sich zunächst nach Folter an.
Mit einem sanften YouTube-Workout habe ich mich langsam zur Mobilität zurück gesportelt. Unter Anleitung mit Yogamatte und einem Sportdress habe ich jeden zweiten Tag 30-40 Minuten Pilates, Bauch-Beine-Po und Co. absolviert. Nach 28 Tagen war es manifestiert: Der Sport gehört nun zu meinem Alltag. Vier bis fünfmal pro Woche entfalte ich die Matte, weiß mittlerweile welche Übungen bei Nackenschmerzen und müder Hüfte helfen und empfinde nach dem Workout ein wirkliches Gefühl von Beweglichkeit und Leichtigkeit. Aus den Anleitungen und Challenges habe ich mir mein eigenes Programm zusammengebastelt und ziehe dieses bis zu einer Stunde am Tag durch. Auch hier: loslegen und unbedingt durchziehen. Mir hilft es!

Ein wichtiger Faktor für die innere Heilung, die Akzeptanz war der Austausch und das öffentliche Bekenntnis meines Zustands. Auf Instagram versuche ich so ehrlich und offen wie nur möglich über meine Erkrankungen zu berichten und stelle fest, dass ich so angefangen habe die chronischen Krankheiten anzunehmen. Bis vor einem Jahr habe ich zwanghaft gegen die Symptome angekämpft, verdrängt und in allem die sofortige Heilung gesucht. Seitdem ich mit der Öffentlichkeit spreche, nehme ich mich und die Beschwerden ernster, lerne Pausen einzuplanen und habe akzeptiert, dass diese Diagnosen zu mir gehören.

Außerdem ist der Austausch mit anderen Betroffenen so viel wert. Zu wissen, dass die anderen genau wissen, wovon ich spreche, ich so vieles nicht erklären muss und wir gemeinsam hassen und lachen können, tut so gut!

Ich bin eine Rampensau und genieße die Aufmerksamkeit von 10.000 Followern. Ich verstehe, dass das vielen zu privat, zu extrovertiert vorkommt– so mache ich es eben gern – ich empfehle Euch trotzdem, Euch mitzuteilen. Es gibt ja nicht nur Instagram. Überall finden wir Selbsthilfegruppen, Foren oder Reha-Plätze, wo wir Betroffene uns treffen und austauschen können. Es tut so gut und hilft!