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Multiple Sklerose: Die Geschichte von Sissy

Bild zur Mut Mach Geschichte von Sissy - Multiple Sklerose

Name: Sissy Angouras
Alter: 39
Instagram: @mysparkles
Diagnose: Multiple Sklerose, seit 2003

Gerade hattest du 20-jährigen MS Geburtstag. War dir da zum Feiern zumute?

Ich habe nicht gefeiert, aber ich bin froh und auch ein wenig stolz, dass ich die kleineren und größeren Stolpersteine in den 20 Jahren so gut gemeistert habe.

Erinnerst du dich an den Moment, an dem du deine MS-Diagnose erhalten hast? Wie hat er sich angefühlt? War dir und deiner Familie sofort klar, was die Diagnose bedeutet?

Ich habe die Diagnose MS mit 19 Jahren bekommen, als ich während des Abiturs plötzlich immer schlechter gesehen habe. Ich bin damals mit meiner Mama zum Augenarzt gegangen, der aber nur sagte, dass ich keine Lust hätte zu lernen. Meine Mama bestand damals auf ein MRT, in dem der Radiologe gleich feststellte, dass da etwas nicht stimmt. Ich kam in die Klinik, wo man sofort eine Lumbalpunktion durchführte und schon bald stand das Ergebnis fest: Multiple Sklerose. Meine Mama wurde weiß, aber mir sagte der Begriff gar nichts. Kaum daheim angekommen, stürzte ich mich auf Google. Nach kurzer Zeit schaltete ich, in Tränen aufgelöst, den Computer aus und beschloss, dass das einfach nicht stimmen könne. Danach habe ich mein Leben weitergelebt, wie ich es auch ohne die Diagnose gemacht hätte. Ich glaube, dass sich da meine Familie mehr Gedanken gemacht hat (und sicher auch oft den Kopf geschüttelt hat).

Seit wann sitzt du im Rollstuhl und wie verlief der Prozess des Umstellung von „gehen“ zu „fahren“?

Ich bin seit ca. 1,5 Jahren auf den Rollstuhl angewiesen. Der Prozess war tatsächlich sehr schwierig für mich. Damals hatte ich schon längst ein Rezept für den Rollstuhl, aber ich konnte mich einfach nicht überwinden, mich wirklich in einen Rollstuhl zu setzen. Erst nach diversen Stürzen und einem kurzen Ausflug ins „Rolalalatorland“ habe ich mich etwas mit dem Thema Rollstuhl angefreundet. Anfreunden müssen. Also stand ich mit mehr als einem halben Jahr Verspätung und diversen blauen Flecken im Sanitätshaus und schaute mir die rollenden Stühle an. Mit meinem freundlichen Betreuer im Sanitätshaus habe ich dann einen Rollstuhl ausgesucht, der meinen Bedürfnissen und Wünschen entspricht. In der darauf folgenden Zeit habe ich ziemlich schnell gemerkt, dass ich wieder mehr Sachen machen und am Leben mehr teilnehmen kann und die Beziehung zu meinem „Black Devil“ fing an, sich zu verbessern…

Welche inneren und äußerlichen Veränderungen waren für den Rollstuhl notwendig?

Zum Glück ist meine Wohnung barrierefrei, allerdings musste ich die Dusche umbauen lassen, und ich habe mir Handläufe im Flur anschrauben lassen. So kann ich mich immer mal wieder hinstellen und sogar ein paar Schritte (versuchen zu) gehen. Mein Waschbecken ist unterfahrbar und meine Schränke sind jetzt so sortiert, dass die Sachen, die ich häufig benutze auch bequem in Reichweite sind. Aber ich finde immer noch Sachen, die ich optimieren kann. Momentan arbeite ich zum Beispiel daran, mit Sprachsteuerung Lampen an-und auszuschalten.

In dieser Zeit kamen noch einige andere Herausforderungen hinzu, da zusätzlich zu der Problematik , dass ich nicht gehen kann noch weitere Symptome dazugekommen sind, die mich in meiner Bewegung noch weiter eingeschränkt haben. Aber der Körper lernt recht schnell, sich neuen Begebenheiten anzupassen.

Wie verliefen dein bisher schlimmster Schübe und was hast du getan, um da körperlich und seelisch einigermaßen gut rauszukommen?

Jeder Schub war an sich schlimm. Wenn man nur 30 Prozent sieht, fast nichts hört, oder einem die Beine nicht mehr gehorchen wollen, drängen sich einem Fragen auf wie:
„Bleibt das so?“, „Wird das wieder besser?”, „Was wenn nicht?“, „Was mache ich dann?“.

In den Zeiten der akuten Schübe habe ich stets hochdosiert Kortison bekommen. So eine hohe Dosis Kortison ist natürlich nicht förderlich für ein emotionales Gleichgewicht aber ich habe immer versucht, mich abzulenken. Eine größere Herausforderung ist es mit bleibenden Einschränkungen umzugehen. Dabei hat mir tägliche Meditation sehr geholfen, morgens beim Aufwachen habe ich mir drei Sachen überlegt, auf die ich mich freue, z.B. ein besonderes Essen, oder mit meinem Hund zu spielen. Und jeden Abend habe ich mir dann überlegt, wofür ich dankbar bin, beispielsweise die Menschen in meinem Leben, oder Sachen, die mein Körper machen kann. Mit zunehmender Behinderung macht es in meinen Augen keinen Sinn, sich ständig vor Augen zu halten, was nicht mehr geht. Das ist ja offensichtlich. Aber es gibt genug Sachen, die funktionieren und da ist es für das Seelenwohl das Beste, wenn man sich darauf konzentriert.

Auf deinem Instagram-Kanal @mysparkles.de strahlst und lachst du, als wäre die Multiple Sklerose nichts. Was hilft dir, dein Lachen nicht zu verlieren?

Das Wissen, dass es mir so gut steht. 😉

Nein, im Ernst: mir ist vollkommen bewusst, dass vieles suboptimal ist und glaub‘ mir, es gibt viele Tage an denen ich schon am Morgen vor dem Aufstehen die Zähne aufeinander beißen muss. Aber es gibt auch sehr vieles, für das ich sehr dankbar im Leben bin und in meinen Augen überwiegt das.

Welche ist deine größte Herausforderung, die du im Alltag mit deiner MS zu meistern hast? Und kannst du uns ein paar Tipps geben, was dir den MS Alltag im Rollstuhl erleichtert oder welche Dinge dich tagtäglich richtig gut unterstützen?

Die Herausforderungen im Alltag mit MS ändern sich fortwährend. Mir hilft regelmäßiges Training (Yoga, Krafttraining, Physiotherapie, Ergotherapie, Robotik, Hippotherapie), eine ausgewogene Ernährung und unbedingt genug Schlaf. Ich bin kein Anhänger von Verboten: wenn ich mal Lust auf Chips habe, dann esse ich auch mal eine ganze Tüte.
Und auch wenn ich ausgesprochen ungern um Hilfe bitte, gehört das auch dazu. Für andere sind manche Sachen kleine Handgriffe und für mich Riesenherausforderungen. Ich bin aber nicht besonders gut darin, nach Hilfe zu fragen. Ich lerne noch. 😉

Du hast den Exopulse Mollii Suit ausprobiert, der Menschen mit Muskelsteifheit mit ihrer Bewegung, Körperhaltung und dem Gleichgewicht hilft. Wie hat sich das im Mollii Suit angefüllt?

Der Mollii ist eine tolle Hilfe. Er löst Spastiken und hilft mir bei der physischen Fatigue. Denn wenn mein Körper nicht dauernd gegen Spastiken ankämpfen muss, hat er auch wieder mehr Energie im Alltag. Ferner bin ich oft beim Umsetzen gestürzt, was jetzt gar nicht mehr passiert, seit ich Mollii regelmäßig für eine Stunde trage. Ich nutze Mollii alle zwei Tage und kann nur jedem empfehlen, der mit Spastiken zu kämpfen hat, Mollii auszuprobieren.

Wie geht es dir aktuell?

Mir geht es gerade recht gut. Ich stehe kurz vor dem 2. Zyklus mit meinem Medikament, das ich seit einem Jahr bekomme. Ich habe vorher andere Medikamente genommen, die mir leider nicht geholfen haben. Demnach kann ich sagen, dass man unter Umständen mehrere Medikamente probieren muss, um das Passende für sich zu finden.

Was ist das Positivste, was du über die Multiple Sklerose sagen kannst?

Ich für meinen Teil kann nicht sagen, dass die MS irgendetwas Positives mit sich gebracht hat. Aber ich kann sagen, dass sie mich Geduld gelehrt hat, auf meinen Körper zu hören und fünf öfter mal gerade sein zu lassen.

Kannst du begleitenden Therapien, die du neben der regulären Behandlungen gemacht hast, empfehlen oder auch abraten?

Es gibt viele Stellschrauben, die man drehen kann. Osteopathie, Akkupunktur oder Hip-potherapie finde ich äußerst empfehlenswert. Bei der Osteopathie werden Verspannungen aufgelöst, die zwangsläufig durch Fehlhaltungen entstehen, Akkupunktur hat mir sehr mit den Augen geholfen und beim Reiten werden Muskeln angesprochen, die sonst nicht erreicht werden. Ich habe auch eine speziell auf MS bezogene Ernährungsberatung gemacht, die für mich persönlich aber nichts geändert hat, da ich mich ohnehin gesund ernähre. Bei Autoimmunerkrankungen spielt bekanntlich der Darm eine wichtige Rolle; daher nehme ich probiotische Nahrungsergänzungsmittel zu mir. Ich trainiere jeden Tag; das funktioniert für mich, weil ich mir sonst Vorwürfe machen würde, ob ich genug getan habe, aber das funktioniert nicht für jeden. Eine gesunde Lebensweise ist generell sehr wertvoll, aber man sollte, in meinen Augen, auch auf nicht all zu viel verzichten, sonst kann sich irgendwann das Gefühl einschleichen, dass man was verpasst hat.
Unabhängig vom physischen Aspekt, ist auch der emotionale Part sehr wichtig. Wenn man als MS Betroffener traurig, wütend oder gestresst ist, merkt man das relativ schnell, dass sich plötzlich vergessene Beschwerden wieder melden oder sich vorhandene Symptome verschlechtern. Demnach ist extrem wichtig, mit sich im Einklang zu sein.

Oft hört man, dass sich Freunde von Menschen mit Autoimmunerkrankungen abwenden. Wie ist deine Erfahrung?

Wahre Freunde sind mir sehr wichtig. Sie sind in meinen Augen die Familie, die man sich aussuchen kann. Natürlich musste auch ich die Erfahrung machen, dass sich vermeintlich „beste“ Freunde mit der Behinderung abgewandt haben. Aber im Grunde sehe ich das als Segen, da sie Platz gemacht haben für wahre Freunde. Und mal ehrlich: Will man Freunde, die plötzlich wie vom Erdboden verschluckt sind, wenn man sie bräuchte? Ja, mein Freundeskreis hat sich verändert. Aber definitiv zum Besseren.
Im Übrigen ist der Austausch mit anderen Patienten sehr erfreulich , da man auf sehr viel Verständnis trifft oder sogar wertvolle Tips bekommen kann.

Was wünscht du dir in Bezug auf deine Multiple Sklerose?

Ich wünsche mir, dass ein Weg zur Remyelinsierung gefunden wird. Aber wenn man bedenkt, dass es lediglich zwei Medikamente für MS gab als ich erkrankt bin und jetzt ein Fächer von circa 20 Medikamenten zur Auswahl steht, bin ich guter Dinge, dass man auch etwas zur Remyelinisierung findet.

Dein Schlusswort:
Für alle frisch diagnostizierte Patienten wünsche ich mir, dass sie Dr. Google meiden, ihr Leben leben und mit mir zuversichtlich in die Zukunft blicken.