Ich heiße Sarah und bin 28 Jahre alt. Die Diagnose Morbus Crohn habe ich 2007 gestellt bekommen und Ileostoma habe ich seit 2015.

Wie verlief dein Weg von den ersten Symptomen bis zur Diagnosestellung von Morbus Crohn?

Nach der Geburtstagsfeier meiner besten Freundin wachte ich mit einer enorm angeschwollen Lippe auf. Ich dachte erst es sei eine allergische Reaktion. Da die Schwellung aber nicht zurück ging, fuhr meine Mama mich ins Krankenhaus. Zwei Krankenhäuser waren überfordert mit der Diagnose, aber im dritten waren sich die Ärzte schnell sicher, dass es eine CED sein wird. Das Ganze bestätigte sich nach einer Darmspiegelung als Morbus Crohn.

Wie war es für dich, die Diagnose zu erfahren?

Mir ging es erstaunlicherweise gut mit der Diagnose. Ich hatte zwar anfangs nie Durchfall, dennoch war ich schon lange sehr dünn und hatte seit ich zwölf Jahre alt war immer eingerissene Mundwinkel, weswegen ich gehänselt wurde. Ich war erleichtert endlich zu wissen, woran es liegt.

 

Du bist Visagistin und magst es farbig, wie man auf deinem Instagram-Blog bellygirl_lifestyle verfolgen kann. Hilft dir Make-up, dich im Alltag besser zu fühlen?

Ursprünglich bin ich gelernte Tourismuskauffrau und arbeite noch immer Vollzeit bei einem Reiseveranstalter. Mit der Ausbildung zur Visagistin habe ich mir vor zwei Jahren einen kleinen Traum erfüllt und bin jetzt noch nebenbei selbständig.

Ich fühle mich auch ungeschminkt hübsch, aber wenn ich mich schminke habe ich das Gefühl, ich könnte die ganze Welt erobern. Das Schönste für mich ist es aber, andere Frauen zu schminken und zu sehen, wie sie endlich erkennen, wie wunderschön sie in Wirklichkeit sind. Menschen sind viel zu oft von Selbstzweifeln zerfressen und wenn ich ihnen mit ein bisschen Make-up einen Teil dieser Zweifel nehmen kann, ist das ein wunderbares Gefühl.

 

Was war bist jetzt die größte Herausforderung seit deiner Diagnose?

Die größte Herausforderung war tatsächlich die Akzeptanz, dass ich chronisch krank bin und nicht immer so kann, wie ich will. Als junger Mensch möchte man einfach dazu gehören. Man möchte „normal“ sein. Ich wollte normal sein. Aber das klappte nicht, wie ich beispielsweise an meiner Wundheilung merkte, die sich einfach nicht einstellen wollte – auch nach zwei Jahren nicht. Deshalb fing ich an, die Krankheit konsequent zu verdrängen: Ärzte, Medikamente, den Crohn und meine schlimmer werdenden Symptome ignorierte ich. Ich redete mir ein, dass, wenn ich nicht an den Crohn denke, er auch nicht da ist. Selbst als ich nahezu inkontinent wurde und den Durchfall eigentlich noch nicht mal mehr halten konnte, tat ich so, als wäre das vollkommen normal. Das war wohl das Dümmste, was ich je gemacht habe. Und die Quittung dafür bekam ich prompt. Mit Anfang 20 musste mein Dickdarm komplett entfernt werden. Ich war auf 32 Kg runtergehungert. Es hatte sich eine Fistel vom Magen zum Dickdarm gebildet und ich hatte eine Stenose in der Speiseröhre. Fast sechs Monate lag ich im Krankenhaus und in der Reha. Dreimal wurde ich totgesagt, lebe aber, wie ihr hier lest, immer noch. Seit der Zeit jedoch mit einem Stoma, das mir auch für immer bleibt.

 

Wie kommst du heute im normalen Alltag mit deinem Stoma zurecht?

Ich trage ein endständiges Ileostoma, also ein Dünndarm Stoma, das dauerhaft und nicht rückverlegbar ist. Mein Leben seit dem Stoma ist tausend Mal lebenswerter. Ich merke das Stoma im Alltag kaum und würde fast behaupten, dass ich mit dem Stoma endlich ein normales Leben führe.

 

Hast du Tipps und Tricks auf Lager, für ein Leben, in dem man so gut wie alles machen kann, was Nicht-CEDler auch machen?

Mein Tipp ist definitiv, offen mit der Krankheit umzugehen! Es gibt nichts, wofür wir uns schämen müssten. Und manchmal sollte man einfach mal aufhören, zu viel über alles nachzudenken. Das viele Nachdenken schlägt nämlich auch auf den Bauch. Glaubt mir, ich weiß wovon ich rede 😉.

Und wenn es um ganz praktische Dinge, wie das Reisen oder um Partyabende mit Freunden geht: Einfach eine Checkliste machen, Notfall Utensilien einpacken und einfach Spaß haben! Genau diese Gelassenheit und Lebensfreude versuche ich auch anderen chronisch Erkrankten auf meinem Instagram Blog bellygirl_lifestyle zu vermitteln.

 

Hast du häufiger mit Vorurteilen zu kämpfen? Was hörst du da am häufigsten?

Aufgrund des Untergewichts höre ich natürlich ganz oft, dass ich mehr essen soll. Auch Sätze wie “Du musst unbedingt zunehmen“ oder „Ich würde dir gerne ein paar Kilos von mir abgeben“ kommen häufig. Hätte ich immer einen Euro bekommen, wenn jemand einen dieser Sätze zu mir sagt, wäre ich heute definitiv schon Millionärin.

Die meisten Menschen denken nun mal in Schubladen: Dünne Menschen = Magersucht. Eigentlich ist das schade, aber ich nehme es mit Humor und mache mir mittlerweile einen Spaß daraus mit Sätzen wie diesen zu kontern: „Oh Gott nein, dann müsste ich mich ja noch häufiger übergeben gehen!“. Das Gesicht der anderen ist fast immer zum Schießen 😂.

 

Was würdest du Fremden raten, wie sie mit Morbus Crohn und den Betroffenen umgehen sollten?

Seid der Welt und den Menschen in ihr offen und denkt auch außerhalb von Schubladen. Zeigt Verständnis, aber bitte kein Mitleid! Ich finde, es gibt nichts Schlimmeres als wegen seiner Krankheit unterschätzt oder gar wie ein armes Würstchen behandelt zu werden. Auch möchte ich nicht stundenlange Diskussionen führen, warum ich nicht zu einem Treffen, Ausflug oder ähnlichem mitkomme. Es ist wirklich ein schmaler Grad zwischen Verständnis zeigen und Mitleid empfinden. Aber dass die Menschen versuchen, diesen Grad zu treffen, ist für mich besonders wichtig. Und sicherlich auch für andere Betroffenen.

 

Wann fällt es dir besonders schwer, mit der Krankheit zu leben?

Wenn ich etwas plane oder angehe, das für gesunde Menschen locker zu schaffen ist, merke ich häufig, dass es für mich einfach zu anstrengend ist. Zum Beispiel ziehe ich in den nächsten Wochen um. Eigentlich eine ganz normale Sache und ich möchte natürlich tatkräftig mit anpacken. Aber für mich ist dieser Umzugsstress eine starke körperliche und auch psychisch Belastung.

Es fällt mir dann schwer, mich zurückzuhalten und ich gebe zu, dass das noch immer Momente sind, bei denen ich bis ans Äußerste gehe, um zu versuchen, mit den gesunden Menschen mitzuhalten.

 

Wie geht es dir aktuell?

Aktuell geht es mir sehr gut. Ich habe zwar seit einem Jahr eine Fistel, aber sie liegt direkt neben dem Stoma, ist sehr kurz und lässt sich damit gut versorgen. Somit ist eine OP für mich vorerst nicht notwendig.

 

Therapierst du gerade? Was sind deine Erfahrungen hier?

Ich bin seit der Stoma-OP vor fünf Jahren medikamentenfrei und habe keine erhöhten Entzündungen im Blut, gegen die ich vorgehen müsste. Gegen das Untergewicht und um die Remission zu halten, habe ich vor einigen Wochen eine Ernährungstherapie speziell für CED-Erkrankte angefangen. Außerdem mache ich jetzt Yoga und meditiere, um Stress schnellstmöglich abzubauen.

 

Was wünscht du dir in Bezug auf die Krankheit?

Ich wünsche mir, dass die Krankheit kein Tabuthema mehr ist und dass sich CED-Betroffene nicht mehr wegen der Symptome schämen müssen. Ich wünsche mir, dass es allen Erkrankten möglich ist, ein normales und lebenswertes Leben zu führen.

 

Schlusswort:

Jeder Rückschlag ist ein Schritt nach vorne. Und immer dran denken, wenn wir die schlechten Tage nicht hätten, wüssten wir die Guten gar nicht zu schätzen 😉.

 

Stand 2020