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Acne inversa: Die Geschichte von Kerstin

Bild zur Mut Mach Geschichte von Kerstin (Mullewupp)- Acne inversa

Name: Kerstin
Alter: 50
Diagnose: Acne inversa/ Hidradenitis suppurativa (HS), seit 2003
Instagram: mullewupp_akneinversa

 

Du bist Teil der Selbsthilfegruppe mullewupp, die Akne Inversa/Hidradenitis Suppurativa (HS)-Betroffene bei ihrer Krankheit begleitet. Was hast du als Patientin vermisst, das dich bewogen hat, eine Selbsthilfegruppe aufzusuchen?

2003 rief ich selbst eine Selbsthilfegruppe in Berlin ins Leben. Nach wenigen Gruppentreffen löste ich diese aber wieder auf, da das Interesse der Betroffenen an einem persönlichen Austausch untereinander schnell wieder nachließ. Ich recherchierte jedoch weiter und stieß im Juli 2019 durch andere HS-Facebook-Gruppen auf mullewupp.
Gerd Wordtmann – der „Gründungsvater“ von mullewupp – ist vom ersten Tag an eine große Stütze für mich, auch ein Mentor und guter Freund. Mir wurde relativ schnell bewusst, wie gut es mir mit der HS geht und wie sehr andere unter ihr zu leiden haben. Ich wollte anderen Betroffenen helfen und mich aktiv in der Selbsthilfe engagieren, so dass er mich relativ schnell in den Kreis der Gruppen-Admins aufnahm.

Wie verlief dein Weg von den ersten Symptomen bis zur Diagnosestellung? War es holperig?

Die HS schlich sich ca. 1993 in mein Leben. In unregelmäßigen Abständen bekam ich immer wieder „Pickelchen“ in der Leistengegend. Sie waren nicht wirklich schmerzhaft oder wucherten aus. Aber mir war bewusst, dass sie nicht „normal“ waren. Ich war damals Anfang 20 und erinnere mich, dass meine Mutter mich zur Untersuchung in die Berliner Charité begleitete. Die Untersuchung inkl. Abstrich brachte jedoch keine Diagnose. Ich nahm die Symptome einfach hin und lebte mit ihnen.
2002 hatte ich dann meinen ersten Abszess in der Leistengegend. Hühnereigroß, so dass ich dachte, ein Tumor wächst dort innerhalb weniger Stunden heran. Die Schmerzen waren unerträglich und strahlten in den Rest meines Körpers. Der Abszess wurde mir im Krankenhaus gespalten, also geöffnet, so dass er abfließen konnte und diese Schmerzen schnell nachließen. Auch in diesem Krankenhaus sprach niemand von Akne Inversa.
Anfang 2003, also gut 10 Jahre nach den ersten Symptomen, war ich bei meiner damaligen Hausärztin. Und als ich ihr von dieser Tortur berichtete, hörte ich das erste Mal „Akne Inversa“.

Wenn du dich an den Moment der Akne Inversa-Diagnose erinnerst, wie hat er sich angefühlt? War dir bewusst, was die Diagnose für dich und deine Familie bedeutet?

Der Moment als ich diesen Begriff hörte, war erstmal nicht sehr beängstigend. Ich war einfach nur froh, dass das Kind jetzt einen Namen hatte. Was diese Diagnose für mich und auch für meine Familie bedeuten könnte, konnte ich mir damals nicht im Geringsten vorstellen. Nach kurzer Zeit waren dann beide Leisten betroffen. Seit ca. 2008 sind auch beide Achseln betroffen und seit diesem Sommer auch der Analbereich.

Wie stark beeinträchtigt dich deine Akne Inversa im Alltag?

Da ich seit 2017 in erfolgreicher Behandlung mit der lAight-Therapie bin, halten sich meine Beeinträchtigungen in Grenzen. In ruhenden Phasen muss ich eigentlich nur etwas mehr Zeit bei der täglichen Körperhygiene einplanen. Denn ruhend bedeutet nicht, dass ich die betroffenen Areale wie die gesunde Haut normal wasche. Durch die Fistelgänge, die sich im Laufe der Zeit gebildet haben, habe ich dennoch immer offene Stellen, bei denen schon eine besondere Reinigung und Pflege erforderlich ist. Während andere sich morgens also im Bett noch mal für eine halbe Stunde auf die andere Seite drehen, stehe ich schon im Bad und widme mich meinen Wunden, Fisteln und Narben. Sport z.B. ist nicht planbar, die HS ist unberechenbar ist. Von jetzt auf gleich kann sich ein neuer Abszess bilden oder sich ein Fistelgang entzünden, was ebenfalls sehr schmerzhaft werden kann.

Ich habe nur selten Abszesse. Und wenn sich doch mal einer blicken lässt, öffnet er sich dank der lAight-Therapie relativ schnell oder zieht sich wieder zurück. Bei einem akuten Abszess oder einer HS-Wunde bin ich natürlich sehr eingeschränkt. Egal ob im Leisten- oder Achselbereich; der eigentliche Schmerz bei einem akuten Abszess strahlt durch den ganzen Körper, so dass auch das Nicht-Bewegen überall schmerzt. Stehen, liegen, sitzen… alles wird zur Qual. Hinzu kommen dann noch Verspannungen, weil man sich total verkrampft.

Wie massiv greift die Krankheit deine Seele an?

Natürlich beschäftigt es mich, wie sich die HS in den nächsten Jahren bei mir entwickeln wird. Aber ich versuche, keinen Angriff auf meine Seele zuzulassen. Aber – und so komisch es sich jetzt auch anhört – beschäftigt es mich umso mehr, wie sehr andere Betroffene leiden müssen; und das auch, weil unser Gesundheitssystem in meinen Augen versagt hat.

Was sind deine 5 Super-Tipps, die dich und deine Haut entspannen und die du den NIK-Leser*innen mitgeben kannst?

„Me-Time“ so oft es geht. Und dabei ist alles erlaubt, was einem gut tut. 
Me-Time bedeutet für mich: ICH entscheide jetzt, was ICH jetzt tue. Ein Bad in Totem Meer-Badesalz. Entspannung für Haut und Seele.
Super entspannen und abschalten kann ich auf meiner Akupressur-Matte.
Die ersten Male haben echt Überwindung gekostet. Aber mit ein wenig Übung nun mein perfektes Powernapping-Tool. Und der Schmerz ist ein ganz anderer, am Ende „wohltuender“. Last but not least. Negativen Stress vermeiden! Umso entspannter unsere Seele ist, desto besser geht es unserer Haut.
 Mein Motto ist, dass ich der HS keine Macht über mich gebe!

Wie geht es dir und deiner Haut aktuell? Therapierst du gerade und nimmst Tabletten, Cremes etc.?

Auch wenn ich seit diesem Sommer ein weiteres HS-Areal habe, geht es mir und meiner Haut relativ gut. Seit inzwischen 5 Jahren mache ich die lAight-Therapie und bin sehr glücklich, dass es diese Behandlung gibt. Ich möchte mir nicht ausmalen, wie es mir ohne sie gehen würde. Ansonsten versuche ich meinen Zink- und Vitamin-D-Spiegel im Normbereich zu halten und pflege die betroffenen Areale nach der Reinigung hauptsächlich mit Kokosöl (abends) und Schneckengel (morgens). In akuten Phasen hilft mir meist Voltaren, Manuka Honig und Zink-Salbe ganz gut. Manchmal ist leider auch Ibuprofen notwendig, um den Schmerz eines akuten, geschlossenen Abszesses auszuhalten.

Welche Erfahrungen hast du bereits mit deiner/n Therapie/n gemacht? Worauf hättest du dabei gern verzichtet und was war wider Erwarten gar nicht so schlimm?

Ehrlich gesagt, habe ich mit der lAight-Therapie kaum schlechte Erfahrungen gemacht. Natürlich schmerzt es etwas, wenn eine gerade akut entzündete Stelle „geblitzt“ (so nennen wir lAight-Patienten die Behandlung) wird. Aber in Absprache mit der/dem Behandler:in, kann die Behandlung entsprechend geändert werden. Natürlich war ich bei der ersten Behandlung damals sehr aufgeregt, weil ich nicht wusste, was mich erwartet. Manchmal zwickt das „Blitzen“ ganz kurz. Aber dieser Schmerz hält nur wenige Sekunden an und ist mit dem Schmerz von einem akuten Abszess überhaupt nicht zu vergleichen.

Wurdest du schon oft operiert? Was ist Hilfreich für eine gute und schnelle Heilung nach der OP?

Diese Frage kann ich nicht wirklich beantworten, da ich bisher erst 1x gespalten – also der Abszess geöffnet – wurde. Das war 2002, kurz vor der Diagnose. Außer Kamillen-Sitzbädern habe ich damals nichts zur Heilung empfohlen bekommen. Ansonsten hilft mir Manuka-Honig gut bei der Wundheilung.

Hast du alternative Therapiemethoden getestet, die dich bei deinen regulären Behandlungen begleitet haben?

Zu Beginn meiner Recherche damals habe ich auch kurze Zeit Spirulina-Tabletten und später Silicea genommen. Ich hatte aber nicht die Geduld auf eine eventuelle Wirkung warten.
Heute unterstütze ich den Reifungs- bzw. Öffnungsprozess eines Abszesses mit Voltaren und manchmal auch mit Globulis. Ich kann natürlich nicht mit Sicherheit sagen, ob das funktioniert. Aber der Glaube kann ja bekanntlich Berge versetzen.

Auf Instagram und auf Facebook informiert ihr rund um Akne Inversa. Was sind deine Erfahrungen, seit Gründung der Selbsthilfegruppe und den Schritt in die Öffentlichkeit? Motiviert dich der Kontakt mit den anderen Betroffenen? Erhältst du auch Hate Speech?

Meine Erfahrungen lösen bei mir gemischte Gefühle aus. Die Betroffenen brauchen dringend Hilfe und suchen diese auch bei uns und in den anderen Gruppen. Sie wollen, dass jeder weiß, was es bedeutet, an HS erkrankt zu sein und dass unsere medizinische Versorgung besser wird. Aber selbst etwas zu bewegen, der HS ein Gesicht geben, an die Öffentlichkeit zu gehen oder in irgendeiner Form aktiv zu werden, tun die wenigsten. Sich mit dem Schutz der sozialen Netzwerke z.B. über das Gesundheitssystem zu beschweren, ist einfach.
Einerseits kann ich das durchaus verstehen. Zu viele Betroffene haben durch die Erkrankung inzwischen gebrochene Seelen, haben durch die HS ihre Jobs, soziale Kontakte oder sogar Partner verloren. Da gibt man irgendwann einfach auf.

Aber umso mehr motiviert mich das dazu, dass ich der HS ein Gesicht in der Öffentlichkeit gebe und für uns AiLLE kämpfe. Für die, die nicht die Kraft dazu haben. Ich gehe sehr offen mit meiner Erkrankung um und scheue mich auch in der Öffentlichkeit nicht, über unsere intimsten Probleme zu sprechen.
Auch in meinem privaten Umfeld gehe ich sehr offen damit um. Leider müssen wir uns auch in diesem Umfeld oft dumme Sprüche anhören. „Hab Dich nicht so wegen einem Pickel – Mach dies, mach das – Ich dachte, das ist nicht so schlimm“ usw. Wer mir nicht zuhört – mich nicht versteht, der tut mir leid. Ich habe auch und insbesondere im privaten Bereich solche Kontakte bereits abgebrochen. Solche Menschen tun mir nicht gut, sie machen mir negativen Stress und belasten mich. Und negativer Stress ist mein schlimmster Trigger.
Was mir aber auch aufgefallen ist, dass ich durch meine Offenheit hin und wieder von alten Bekannten erfahre, dass sie oder ihnen bekannte Personen ebenfalls betroffen sind. Was auch wieder ein Indiz für eine hohe Dunkelziffer ist.

Hate-Speech? Ja, immer mal wieder kriege ich das zu spüren. Ich möchte hier gar nicht näher drauf eingehen, was mir da manchmal an den Kopf geworfen wird. Meist ist es aus der Luft gegriffen ohne vorher nachzudenken, was man da eigentlich von sich gibt. Ich versuche dann immer nicht näher darauf einzugehen. Aber manchmal platzt mir auch der Kragen und ich versuche dann meinen Haupt-Trigger zu bekämpfen. Ich bin ja schließlich auch nur ein Mensch.

Du und mullewupp möchten in der breiten Öffentlichkeit über Akne Inversa aufklären. Was denkst du, wieso ist die Krankheit so wenig bekannt?

Hauptproblem ist meiner Meinung nach, dass die wenigsten offen mit ihrer Erkrankung umgehen. Ich habe absolut Verständnis dafür, dass das die wenigsten können. Es ist ja auch eine sehr intime Krankheit.
Aber wenn wir nicht laut werden, werden wir nie gehört! Und wenn wir uns verstecken, werden wir nie gesehen!

Akne Inversa ist für Betroffene kein Zuckerschlecken. Kannst du der Krankheit dennoch was Gutes abgewinnen?

Durchaus. Auch wenn wir das gleiche Leid teilen, möchte ich viele der Betroffenen, die ich im Laufe der Zeit kennengelernt habe, heute nicht mehr missen.

Was wünschst du dir in Bezug auf deine Haut und die Akne Inversa?

Ich wünsche mir, dass die Erkrankung bei mir zum Stillstand kommt. Ich habe mich mit ihr arrangiert und komme aktuell gut damit klar, so wie es jetzt ist. Ich gehe aber davon aus, dass die HS viele weitere Jahre nicht heilbar sein wird und sich weitere Areale meines Körpers suchen wird. Auch wenn einige von uns in guter Behandlung sind, wird sie weiterhin in uns schlummern, ihre Maulwurfstunnel in uns weitergraben und wie ein Vulkan immer wieder ausbrechen. Ich wünsche mir, dass meine Kinder verschont bleiben.
Mein Wunsch ist es auch, dass unsere Erkrankung so bekannt wird, wie bspw. Krebs oder MS. Jeder soll wissen, dass die HS/Akne Inversa nicht einfach nur Pickelchen sind, wenn die Erkrankung genannt wird.

Dein Schlusswort:

Die HS tötet nicht, aber sie kann einem das Leben nehmen. Gib ihr keine Macht über Dich!