Name: Melek
Alter: 30
Diagnose: Multiple Sklerose, seit 2021
Wie verlief dein Weg von den ersten Symptomen bis zur Diagnosestellung?
An einem Samstagabend schlief mein linker Fuß auf einmal ein. Nach Stunden hörte das Kribbeln im Fuß einfach nicht auf. Am nächsten Morgen war auch mein rechter Fuß eingeschlafen. Nach zwei Tagen mit eingeschlafenen, kribbelnden Füßen bin ich zuerst zu meinem Orthopäden gefahren und am Abend zur Notaufnahme. Die Notaufnahme half mir nicht weiter und schob die Symptome auf meine Tattoos, mein Übergewicht und mein dortiger Aufenthalt wurde mit diesem Satz: „Sie sollten Ihre Lebensart ändern“ beendet. Am nächsten Morgen fuhr ich in ein anderes Krankenhaus, dieses Mal wurden meine Symptome auf meine „neuen“ Schuhe (welche nicht neu waren) geschoben. Die Tage und Wochen darauf habe ich viele Ärzte abgeklappert, sogar Neurochirurgen nahmen sich meiner Situation an – meine Symptome verschlechterten sich, die Taubheit meiner Füße wanderte bis hoch zur Hüfte und auch in den Händen verspürte ich zwischendurch Kribbeln und Kraftverluste. Zwei Ärzte äußerten den Verdacht: Multiple Sklerose. Also ging es für mich ins MRT. Nachdem Läsionen im Gehirn-, Hals- und Brustbereich zu sehen waren, musste ich Tage später zur Lumbalpunktion in genau dasselbe Krankenhaus, welches ich bereits am Anfang aufgesucht hatte. Die Lumbalpunktion wurde durchgeführt, der im Krankenhaus zuständige Neurologe sagte mir, es ist vermutlich MS und ich ging eine Woche später zu einem der bereits vorher aufgesuchten Ärzte, welcher sagte: „Sie haben Multiple Sklerose, wir warten die nächsten Monate ab, machen dann nochmals ein MRT und schauen dann, wie es weiter geht“. Anschließend sendete ich die MRT-Bilder und den Bericht der Lumbalpunktion an weitere Ärzte, um eine eindeutige Meinung zu erhalten. Ich kam durch eine Warteliste zum Glück sehr schnell zu meinem jetzigen Neurologen, welcher mir die Diagnose bestätigte, mich aufklärte und mir eine Basistherapie anbot.
Erinnerst du dich an den Moment, an dem du deine MS-Diagnose erhalten hast? Wie hat er sich angefühlt?
Der Moment war erdrückend. Ich war einerseits so froh, endlich zu wissen, was mit mir los war und zugleich war ich überfordert – so viele Fragen schwirrten mir im Kopf herum. Innerlich hatte ich das Gefühl, mich komplett zu verlieren und nicht mehr ich sein zu dürfen. Die Angst, nicht mehr so zu funktionieren, wie ich sonst immer funktionieren „muss“ – ganz viel Unsicherheit schwebte in meinem Kopf und ich bekam Zukunftsängste. Heute nehme ich täglich Medikamente und lerne immer mehr auf mich zu achten.
War dir sofort bewußt, was die Diagnose für dich, deine Familie und Freunde bedeutet?
Zu Beginn nicht. Ich wusste nur, mein Leben stellt sich gerade irgendwie auf den Kopf.
Wie weit ist deine MS bereits fortgeschritten?
Seit ich im Sommer 2021 meinen ersten Schub hatte, habe ich das Glück, dass ich bisher keinen weiteren Schub hatte. Die Fatigue, meine Depressionen und manche körperlichen Symptome erschweren mir des Öfteren den Alltag, manches funktioniert weniger gut als früher. Das Uthoff-Phänomen kommt auch immer wieder zu Besuch.
Wovor hast du am meisten Angst, wenn du an ein Leben mit MS denkst?
Ich habe am meisten Angst vor der Ungewissheit, dass nicht vorhersehbar ist, was kommt. Angst, meiner Familie zur Last zu fallen. Angst, nicht mehr alles alleine hinbekommen zu können.
Was holt dich aus so einer Angstspirale wieder raus?
Ich versuche die positiven Dinge des Lebens zu betrachten – meine tolle Familie, die Unterstützung und Liebe. Manchmal gehe ich in der Natur spazieren, atme tief ein und bewundere die Natur. Die Beiträge anderer MSler:innen der Online-Community machen mir großen Mut. Auch denke ich in solchen Momenten daran, dass keiner weiß, was in der nächsten Sekunde sein kann, weder als gesunder, noch als chronisch kranker Mensch. Durch die MS bin ich zu dem Menschen geworden, welcher ich heute bin.
Du bist frisch verheiratet, wie man auf deinem Insta-Account @_mel.xoxo sehen kann. Herzlichen Glückwunsch! Dein Partner hilft dir, dein Leben mit MS zu meistern, begleitet dich z.B. zum Kämpferherzentreffen. Wie hilft dir dein Partner im MS-Alltag? Und erhältst du Unterstützung auch von deiner Online-Community auf Instagram?
Herzlichen Dank! Oh ja, ich bin so froh darüber, dass mein Partner mich bei meiner lebenslangen Reise mit der MS begleitet und mir hilft, mir eine Stütze ist, mein Leben mit MS zu meistern. Auch für ihn war es nicht leicht zu sehen, dass ich auf einmal nicht laufen kann; dass ich Tage habe, an denen die Depression siegt; dass ich mich zwischendurch aus den Augen verliere; und dass ich eine Hass-Liebe mit meiner MS habe. Alleine, dass mein Mann mich so annimmt, wie ich bin, an Tagen, an denen es mir schlecht geht unf ich mich selbst nicht ausstehen kann, auch da vermittelt er mir, dass ich liebenswert bin. Gibt es Tage, an denen ich kaum auf die Beine komme, schmeißt er den Haushalt, bringt mich zum Lachen und auch an guten Tagen ist er mir eine sehr große Stütze.
Ich habe tatsächlich tolle Seelen durch die Community kennengelernt, welche eine große Unterstützung sind. Jeder dieser tollen Menschen versteht einen in irgendeiner Art und Weise. Ich fühlte mich zu Beginn meiner Diagnose so alleine mit allem, ich war verzweifelt. Ich dachte, ich bilde mir manches vielleicht nur ein. Heute fühle ich mich durch die Community weniger alleine mit der MS, verstanden und akzeptiert – egal, ob ich auch mal nicht so „funktioniere“. Es ist einfach ein anderes Gefühl, sich mit chronisch erkrankten Menschen auszutauschen. Ein gesunder Mensch kann so manches (zum Glück) nicht verstehen und/oder nachempfinden. Das Verständnis untereinander, der Zusammenhalt, das Miteinander und das „sich nicht rechtfertigen müssen“ ist ein so wundervolles Gefühl.
Welche Rolle hat dein Hund im Leben?
Mein Hund, bzw. mittlerweile haben wir zwei Hunde, sie spielen eine sehr große Rolle in meinem Leben. Sie achten nicht darauf, ob ich mal zerzauste Haare habe, ob ich mal schief laufe, dick, dünn, geschminkt, ungeschminkt, müde, launisch oder komisch drauf bin. Sie geben mir so viel Liebe und Kraft. Sie ziehen mich aus dem Bett heraus und zeigen mir die schöne und so Kraft gebende Natur. Gibt es Tage, an denen ich im Konflikt mit mir stehe, zeigen sie mir, dass ich gut so bin, wie ich eben bin.
Wie geht es dir aktuell? Therapierst du gerade und nimmst Medikament? Welche Erfahrungen hast du bereits mit deiner/n Therapie/n gemacht? Kannst du begleitenden Therapien, die du neben der regulären Behandlung gemacht hast, empfehlen oder auch abraten?
Aktuell kämpfe ich sehr mit der Fatigue. Die Tage ziehen an mir vorbei – oft so, als stünde ich neben mir und schaute meinem Leben nur zu. Dies ist sehr anstrengend.
Ich mache eine Basistherapie in Tablettenform, mit welcher ich bisher sehr gute Erfahrungen gemacht habe. Abends nehme ich zudem ein weiteres Medikament ein, welches mir bei meiner Muskelspannung helfen soll.
Ich kann als begleitende Therapien eine Psychotherapie empfehlen. Ich war zu Beginn meiner Diagnose sehr froh bereits eine Therapeutin an meiner Seite gehabt zu haben, welche mir beim Verarbeiten der Diagnose eine sehr große Hilfe war.
Hast du ein paar Tricks und Tipps auf Lager, die MS-Patient*innen helfen könnten, besser mit der MS im Alltag klarzukommen?
Ich kann jedem nur empfehlen, wer sich alleine fühlt, sich mit anderen MS-Patient*innen auszutauschen, denn durch die Community muss sich keiner alleine fühlen. Führe keinen Krieg mit der MS. Ich versuche die MS nicht als meinen Feind, sondern als meinen lebenslangen Begleiter anzusehen – was mir natürlich nicht immer gelingt, aber immer öfter. Gute Tage sind wunderschön, ebenso sind schlechte Tage auch absolut in Ord-nung. Im Sommer sind Kühltücher meine Rettung. Gönne dir im Alltag Ruhephasen und Pausen. Höre mehr auf dich selbst und deinen eigenen Körper. „Du musst gar nichts, für niemanden!“
Was wünscht du dir in Bezug auf deine Multiple Sklerose?
Ich wünsche mir, dass die MS mich lange schubfrei leben lässt. Ebenso wünsche ich mir, dass auch unsichtbare Einschränkungen von anderen Menschen akzeptiert und „gesehen“ werden. Aber am meisten wünsche ich mir, dass irgendwann eine Heilung möglich sein wird.
Dein Schlusswort:
Leben, lieben, lachen.
Lebe dein Leben so, wie du es willst.
Liebe so, wie du fühlst. Lache, wenn dir danach ist.
Du bist nicht alleine.