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Samira Mousa – ein Leben mit Multipler Sklerose

Samira Mousa - ein Leben mit Multipler Sklerose

Mit Anfang 20 bekam Samira Mousa die Diagnose Multiple Sklerose. Doch das hat Samira nicht davon abgehalten ihre Ziele zu verfolgen und die Öffentlichkeit über Vorurteile gegenüber MS zu informieren. 2017 lief sie 600 Kilometer den Jakobsweg entlang und hat ihre Erlebnisse darüber in dem Buch „Und morgen Santiago“ veröffentlicht. In ihrem Blog „Chronisch fabelhaft“ teilt sie ihre Erfahrungen mit der chronischen Krankheit . Wir haben mit Samira gesprochen und Sie gefragt, wie sie ihren Alltag mit Multiple Sklerose gestaltet und wie die Krankheit ihr Leben beeinflusst.

NIK e.V.: Wann hast du die Diagnose bekommen? Wie hat sich die Krankheit bemerkbar gemacht?

Ich habe im Jahr 2013 eine Sehnerventzündung gehabt. Alles deutet auf Multiple Sklerose (MS) hin, aber erst ein Jahr später, als ich erneut eine Sehnerventzündung hatte, wurde die endgültige Diagnose gestellt. Es ist nun also ziemlich genau fünf Jahre her.

NIK e.V.: Was war dein erster Gedanke nach der Diagnosestellung?

Ich dachte „MS – das hab ich schon mal gehört. Ist das nicht Arthorse oder so?“. Ich hatte keinen Schimmer, was Multiple Sklerose ist, und auch in meinem Bekanntenkreis gibt es niemanden mit MS, was ja schon mal die Ausnahme ist. Irgendwie habe ich das Gefühl, fast jede*r kennt eine betroffene Person. Ich aber dachte nur, dass es schon nicht so schlimm wird, und dass das bestimmt ein Irrtum und ein böser Traum und gar nicht wahr ist. Erst als es ein bisschen gesackt war realisierte ich, dass ich nun eine unheilbare Krankheit habe. Aber bis ich es richtig verarbeitet und angenommen habe, hat es locker drei Jahre gedauert.

NIK e.V.: Was hat sich in deinem Leben geändert seit du die Diagnose hast? Welche Einschränkungen gibt es in deinem Alltag?

Mein Leben hat sich in vieler Hinsicht verbessert, da ich einen anderen, einen besseren weg für mich gewählt habe. Ohne den Schlag, den mir die Diagnose verpasst hat, hätte ich mich niemals getraut, wirklich etwas in meinem Leben und an meiner Lebensweise zu ändern. Man ist ja immer so festgefahren mit dem, was man sich vorgenommen hat. Ich selbst wollte Karriere in der Techno-Szene machen und hatte alle Träume von Reisen und Freiheit auf „später mal“ verschoben. Dank der Diagnose hatte ich endlich den Mut, mir neben meiner Festanstellung ein ortsunabhängiges Online Business mit meinem Blog und als freie Autorin aufzubauen. Ich kündigte meinen Job und bin seit eineinhalb Jahren mit dem Laptop immer auf allen Kontinenten unterwegs und arbeite von dort aus, wo es mir gefällt. Ich habe auch angefangen, deutlich gesünder zu leben: ich habe das Rauchen aufgegeben, ich habe meine Ernährung noch weiter optimiert. Ich habe angefangen Sport zu treiben, was vorher nie mein Ding war, und verstanden, dass mein

Körper nur dann gut zu mir sein kann, wenn ich auch gut zu ihm bin. Ich bin nicht mehr so hart zu mir, verurteile mich nicht mehr so stark.

Seit einem guten halben Jahr und dem Wechsel meiner Therapie (von Tecfidera zum alternativen Coimbra-Protokoll) habe ich nur noch selten Symptomatik. Davor hat mich oft wochenlang anhaltender starker Schwindel geplagt. Auch heute kommt dieser noch manchmal zurück, genauso wie Missempfindungen in der linken Körperhälfte – zum Beispiel, wenn ich nicht gut auf mich aufpasse und unter Stress gerate. Aber mittlerweile klingen diese Symptome innerhalb weniger Stunden wieder komplett ab. Nur meine Augen – die werden wohl dauerhaft ein wenig schlechter sein, da haben die Sehnerventzündungen ihr übriges getan. Ich denke, damit lässt es sich dennoch ganz wunderbar leben.

NIK e.V.: Wie können sich betroffene auf einen Arztbesuch vorbereitet? Hast du da Empfehlungen?

Sich Fragen aufzuschreiben ist immer eine gute Idee, ich mach das selbst auch. Immer wenn mir im Alltag eine Unklarheit auffällt, nehme ich mein Notizbuch oder auch mein Handy zur Hand um mir alles zu notieren. Während einer Sitzung beim Arzt ist man ja oft aufgeregt oder abgelenkt von aktuellen Symptomen und vergisst vieles. Ansonsten achte ich immer darauf, alle Unterlagen mitzunehmen. Wenn ich zum Beispiel zwischendurch beim Augenarzt war oder im krankenhaus, wenn es ein neues MRT oder Blutbild gibt, dann nehme ich das mit. Manchmal freut mein Neurologe sich darüber, weil es ihm Infos bietet, die ich gar nicht auf dem Schirm habe.

NIK e.V.: Stichwort  Coimbra Protokoll: Kannst du dieses gut in deinen Alltag integrieren?

Ja, denn ich bin ein sehr disziplinierter Mensch. Ich habe kein Problem damit, mich an Ernährungsvorgaben zu halten. Regelmäßig Sport treibe ich so oder so. Aber natürlich vermisse ich manchmal einen leckeren Käse, und vor allem Nüsse und Samen, da ich davon früher reichlich gegessen habe. Aber andererseits weiß ich, dass ich nun Verantwortung für meine Gesundheit übernehme und nicht einfach nur eine Pille schlucke und sonst weiter mache wie vor der Diagnose. Ich denke, dass es okay ist, wenn Verantwortung auch mit einigen Veränderungen einhergeht.

NIK e.V.: Warum hast du dich für das Coimbra Protokoll (CP) entschieden?

Ich habe mich für das CP entschieden, weil ich mit der Wirkung meiner Basistherapie (Anmerk. d. Red.: fünf Jahre lang Tecfidera) nicht zufrieden war. Ich hatte trotz der Therapie immer wieder sensible Schübe, und mein Neurologe begann eine Eskalationstherapie in Betracht zu ziehen… dabei ging und geht es mir im großen und ganzen gut! Ich habe keine Einschränkungen beim Gehen oder Verrichten meiner Arbeit, habe keine Fatigue und kein Uthoff. Und da von Eskalationstherapie zu sprechen? Das empfand ich schon fast als fahrlässig. „Da muss es etwas besseres geben“, dachte ich mir – und fand das CP.​​​​​​

NIK e.V.: Was hat dich dazu bewegt, deine Erfahrungen in einem Blog festzuhalten und mit der Öffentlichkeit zu teilen? Wie schafft man es, die Krankheit anzunehmen und woher nimmst du deine Kraft, Stärke und Mut dich an die Öffentlichkeit zu wenden?

Ich habe mich für den Blog entschlossen, weil ich ein Thema für einen Blog gesucht habe, mit dem ich mich ortsunabhängig selbstständig machen kann. Und natürlich auch, um das Thema für mich zu verarbeiten. Dass so viele Menschen meinen Blog lesen und davon bewegt werden, damit hatte ich nicht gerechnet, auch wenn ich natürlich darauf gehofft hatte. Damit an die Öffentlichkeit zu gehen liegt ja in der Natur eines Blogs, und generell hatte ich nach drei Jahren mit MS auch gar keine Lust mehr, so zu tun, als hätte ich was verbochen. Ich kann ja schließlich nichts für meine MS und ich finde auch nicht, dass ich mich ihretwegen schämen brauch.

Wie man die Krankheit annimmt? Ich denke, dass das vor allem Zeit braucht. Und viel Mitgefühl mit sich selbst. Und bitte, bitte eine begleitende Psychotherapie machen. Das ist so wichtig! Wenn man dann versteht, dass nicht „Der Körper gegen einen kämpft“ sondern dass man eins mit seinem Körper ist, und man damit viel in der Hand hält, wenn es darum geht wie man mit sich umspringt, dann ist man aus meiner Sicht auf einem guten Weg.

NIK e.V.: Du bist auch Autorin: Was hat dich dazu bewegt deine Erfahrungen nieder zu schreiben.

Ich schreibe gerne, und ich wollte Menschen dazu bewegen, mehr an sich zu glauben und auch mal was zu wagen – auch mit MS. Ich wollte zeigen, dass ich nicht anders als alle anderen bin, und dass das, was ich erreicht habe – natürlich angepasst an die jeweilige Verlaufsform der MS – für alle Menschen erreichbar ist, nämlich sich realistische Ziele zu setzen und dafür zu kämpfen. Das kann man lernen und üben. Und wieder spielte beim Buch auch der Business Gedanke rein: Ich brauche ja ein passives Produkt, das ich verkaufen kann, um davon leben zu können. Bücher zu schreiben ist zwar kein Goldesel, bei weitem nicht, aber da ich den Großteil des Jahres in günstigen Ländern wie Thailand lebe, kann ich von dem kleinen Einkommen gut leben.

NIK e.V.: Wieso hast du dich entschieden dein „altes Leben“ hinter dich zu lassen und auf Weltreise zu gehen? Wie hat dein Umfeld darauf reagiert? Welche Herausforderungen gibt es beim Reisen mit MS?

Ich wollte schon immer Reisen, und dass mein Leben nicht endlos ist, das wurde mir erst nach der Diagnose bewusst, wofür ich sehr dankbar bin. Mein Umfeld hat mich dabei immer unterstützt, ich glaub dagegen war keiner, denn ich habe mich gut vorbereitet.

Die größte Herausforderung beim Reisen mit MS ist sicherlich, dass ich immer eine große Tüte mit Medikamenten, beziehungsweise Nahrungsergänzungsmitteln für das CP mitschleppen muss. Ansonsten muss ich mich bei den hohen Temperaturen öfters ausruhen als in Deutschland – und manchmal ist es umständlich, Blutwerte checken zu lassen. „Mal eben zum Arzt“ wie in Berlin, das geht hier natürlich nicht. Aber generell ist es nicht viel anders als ohne MS zu reisen, besonders bei meiner Verlaufsform.

NIK e.V.: Welche neuen MS-Therapiemöglichkeiten gibt es aktuell bzw. welche sind gerade im Trend? Wie stehst du zu neuen Therapiemöglichkeiten und nutzt du sie?

Ich weiß, dass viele MS Patienten auf CBD-Öl oder auf Cannabis setzen. Ich selbst nutze das nicht, da es vor allem für Spastik angewendet wird und ich keine habe, aber ich unterstütze es total, dass man ausprobiert, was für einen funktioniert. Auch, dass immer mehr Menschen den Zusammenhang zwischen ihrer Ernährung und ihrer MS sehen, stimmt mich zuversichtlich. Zu verstehen, dass das was wir essen der Brennstoff ist, der unsere Zellen entweder krank macht oder richtig arbeiten lässt – das ist in meinen Augen ganz essentiell.

 

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