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Interview mit Rheumatologe Dr. Peer Aries: Rheumatherapie – warum ist sie so wichtig?

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Es gibt Rheuma-Erkrankte, die über Jahre die Augen vor ihrer Erkrankung verschießen. Sie überwinden schlimme und weniger schlimme Schübe und das ganz ohne Medikamente. Diese Menschen leiden und holen sich dennoch keine medizinische Hilfe. Warum passiert sowas und was kann dagegen getan werden?

Aus meiner Erfahrung ist dieses Verhaltensmuster eine Mischung aus Frustration bezüglich bisheriger Erfahrungen mit der Schulmedizin, Unkenntnis über die heutigen Möglichkeiten der Therapien und auch Fehlinformationen über das Verhältnis von Wirkung und Nebenwirkung der heutigen therapeutischen Möglichkeiten. Da bei jedem einzelnen Patienten die drei genannten Punkte sehr unterschiedlich ausgeprägt sind, gibt es kein allgemeines Rezept, wie man alle Patienten abholen kann. Aus meiner Erfahrung ist aber ein Austausch innerhalb der Patientengruppen häufig ein entscheidender Moment, der bei dem einen oder anderen Patienten doch den Wunsch wachsen lässt, es noch mal mit einer adäquaten Therapie nochmal zu versuchen. Gute Informationen sind das A&O, von anderen Mitpatienten kommend, im Internet oder auch beim Hausarzt. Gut informierte Patienten leiden nicht nur weniger, sondern sie haben auch die beste Prognose, langfristig sogar auch ohne Medikamente gut zurechtzukommen.

Warum ist es so wichtig, sich seiner Erkrankung zu stellen?

Die Vorstellung vieler Patienten ist doch, dass die Medikamente häufig gefährlicher sind als die Erkrankung an sich. Zum Teil beruhen die Aussagen auf der eigenen Erfahrung, dass eine erste oder eine zweite Therapie nicht vertragen wurde. Die Frustration ist dann sehr hoch und das Gefühl, alle Medikamente seien mit Nebenwirkungen verbunden führt dazu, dass keine weiteren Therapieversuche gewünscht werden. Dieses ist durchaus auch als Mediziner nachvollziehbar. Unsere Aufgabe ist es dem Patienten zu erklären, dass es durchaus zu Nebenwirkungen kommen kann, es aber heutzutage so viele unterschiedliche Therapien gibt, dass es für jeden Patienten definitiv mindestens ein Medikament gibt, dass er verträgt und das eine adäquate Wirkung hat. Das Entscheidende ist die Kenntnis, dass wenn die Krankheit gut behandelt ist, diese auch die Möglichkeit hat einzuschlafen und keine weiteren Therapien notwendig sind. Lässt man die Krankheit laufen, führt sie nicht nur zu aktuellen Schmerzen, sondern auch zu langfristigen Schäden, die später auch mit der gleichen Therapie nicht mehr annähernd so gut zu behandeln sind, wie es heute noch möglich wäre.

Was passiert im Körper, wenn Erkrankte nicht therapieren werden?

Wir sprechen insbesondere Jahr über Erkrankungen mit chronischen Entzündungen. Unabhängig davon, wo diese chronische Entzündung abläuft, führt sie häufig zu einer Narbenbildung an dem Ort der Entzündung. Sei es der Darm, die Gelenksinnenhaut, das Auge oder an dem Nerven. Diese narbigen Veränderungen führen dann dazu, dass das Organ nicht mehr adäquat arbeiten kann, es kann sich nicht mehr so gut bewegen, es kann nicht mehr so gut die Nahrung aufnehmen, sehen oder fühlen. Unabhängig von der Tatsache, dass Entzündungen zum aktuellen Zeitpunkt nicht selten mit Schmerzen verbunden sind, führen sie also auch langfristig zu konkreten Schädigungen des Körpers. Des Weiteren wissen wir, dass eine chronische Entzündung dazu führt, dass die Blutgefäße auf der Innenseite der Wände klebrig werden und sich z.B. Cholesterin leicht ablagert. Dies erklärt auch, warum Patienten mit einer über mehrere Jahre bestehenden Entzündung häufiger Herzinfarkte und Schlaganfälle bekommen. Es ist also neben der Schädigung des eigentlichen Organs, bei dem die Entzündung sitzt, auch zusätzlich noch andere langfristige Schädigungen verursacht. Allein durch die Behandlung der Entzündung können wir es heutzutage schaffen, das Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle unserer Patienten auf das normale Maß zurückzudrängen. Und wer möchte nicht gerne schmerzfrei sein und auch langfristig noch die Gelenke, den Darm, das Auge einwandfrei benutzen können.

Ist der Zeitpunkt wichtig, wann die Therapie bei eine Autoimmunerkrankung beginnt, oder sind die Erfolgsaussichten auch nach Jahren unerkannter Symptome genauso gut?

Wie bereits oben schon genannt, ist die Prognose der entzündlichen Erkrankung unter anderem davon abhängig, wann mit einer Therapie begonnen wird. Es ist gar nicht mal so wichtig mit welchem Medikament die Entzündung behandelt wird, viel wichtiger ist es, dass die Einleitung früher erfolgt und eine regelmäßige Kontrolle gewährleistet ist, sodass eine unzureichende Therapie weiter angepasst werden kann. Manchmal ist es nicht das erste oder zweite Medikament, dass die Entzündung ausreichend unterdrückt, manchmal ist es eben auch das dritte oder vierte. Dieses ist sowohl für die Patienten als auch für die Ärzte zum Teil ärgerlich und schwierig, deshalb aber das Ziel aus den Augen zu lassen, die Krankheit gut unter Kontrolle zu haben und Spätschäden zu verhindern, ist das Schlechteste, was man machen kann.

Was raten Sie speziell Rheumapatienten, die mit ihrem Hausarzt trotz kontinuierlicher Beschwerden nicht weiterkommen, aber keine Zeit bis zu einer Diagnose vergeuden möchten. Worauf sollten die Patienten besonders achten, wenn Sie einen Verdacht haben, dass ihre Symptome vielleicht auf eine rheumatische Erkrankung hindeuten?

Der Hausarzt ist im eigentlichen Sinne tatsächlich der erste Ansprechpartner für jeden Patienten. Der Hausarzt muss die Erkrankung nicht allein diagnostizieren und perfekt behandeln können, seine Aufgabe ist es aber als ein Wegweiser zu agieren und dem Patienten aufzuzeigen, wann er sich wo am besten vorstellen sollte. Hat man das Gefühl, der Hausarzt kann einem nicht erklären, warum man diese Beschwerden hat, und hilft einem auch nicht, eine weitere Abklärung voranzutreiben, da muss man sich ernsthaft fragen, ob es der richtige Hausarzt für einen ist. Ich halte nicht sehr viel davon, dass die Patienten sich eigenständig beim Facharzt vorstellen. Von den Patienten, die sich ohne Hausarzt beim Rheumatologen vorstellen, habe nur 25 % tatsächlich eine entzündlich rheumatische Erkrankung und 75 % eine andere Erklärung für ihre Beschwerden. Würden diese Patienten vom Hausarzt bereits vorab an die richtige Fachrichtung verwiesen werden, hätten wir viermal mehr Termine für neue rheumatologische Patienten als aktuell.

Haben Erkrankte, die hohe Dosen an Medikamenten einnehmen eine kürzere Lebenserwartung?

Ich fürchte, dass ist die Befürchtung von vielen Patienten, dass die Medikamente in normaler oder auch höherer Dosis zu einer kürzeren Lebenserwartung führen. Die Ärzte würden dann tatsächlich einen schlechten Job machen, wenn wir unsere Patienten zwar schmerzfrei therapieren könnten, aber alle früher sterben. Im Laufe der letzten Jahrzehnte haben sich die Therapeutika für die entzündlichen Erkrankung wesentlich verbessert. Dabei waren immer folgende Ziele im Fokus der Studienärzte: Verbesserung der Lebensqualität jetzt und gute Verträglichkeit langfristig. Somit wägt jeder Arzt ab, ob seine empfohlene Therapie tatsächlich besser oder schlechter als die Erkrankung an sich ist. Empfiehlt der Arzt eine Therapie, z.B. auch in höherer Dosis, dann hat er sich vorab selbst überlegt, ob das damit verbundene Risiko im Verhältnis zu dem Risiko der Erkrankung steht. Dies schließt natürlich nicht aus, dass es auch Nebenwirkungen geben kann, auch mal tödliche Nebenwirkungen. Diese sind in jedem Einzelfall absolut zu bedauern, ob es aber tatsächlich an der Therapie oder nicht doch auch an der unzureichenden Kontrolle der Erkrankung gelegen hat, ist in jedem Einzelfall herauszufinden. Zusammenfassend ist aber zu betonen, dass auch bei der Zulassung der Medikamente immer darauf geachtet wird, ob das kurz und langfristige Risiko der Therapie im Verhältnis zu dem aktuellen Therapieerfolg steht.