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Interview mit Dr. med. Erik Disteldorf – Facharzt für Nephrologie und Innere Medizin

Wenn das Immunsystem körpereigene Zellen angreift, kann dies oft auch zu Nierenschäden führen. Diese Schäden entstehen entweder durch Autoantikörper, die gegen Nieren-spezifische Proteine gerichtet sind, oder durch lokale Reaktionen bei systemischen Autoimmunerkrankungen. Dr. Erik Disteldorf, Nephrologe aus Hamburg, stellt sich als Netzwerkpartner vor und beantwortet unsere Fragen in einem Interview:

Dr. med. Erik Disteldorf
MVZ DIAVERUM Schlankreye
Facharzt für Nephrologie und Innere Medizin

Können Sie uns einen Überblick über Autoimmunerkrankungen geben, die sich auf die Nieren auswirken können?

An den Nieren können sich sehr viele und ganz unterschiedliche Autoimmunerkrankungen zeigen.

Es gibt die bekannten „systemischen“ Autoimmunerkrankungen (wie z.B. systemischer Lupus erythematodes (SLE) und granulomatöse oder mikroskopische Polyangiitis (GPA oder MPA)), die eine Nierenbeteiligung verursachen können.
Es gibt aber auch Autoimmunerkrankungen, die sich häufig „isoliert“ an der Niere zeigen, wie z.B. die IgA-Nephritis, wenn also andere Organe nicht oder sehr selten beteiligt sind.
Die genannten Erkrankungen verursachen eine Entzündung in einem bestimmten Bereich der Nieren, den so genannten Glomeruli (Nierenkörperchen). Das sind über die Nierenrinde verteilte, zahllose, gewundenen Gefäßknäule. Hier ist der „Nierenfilter“ lokalisiert, das heißt die Struktur, wo aus der Blutgefäßkapillare das Ultrafiltrat (der spätere Urin) in die Nierenkanälchen und Sammelrohre übertritt. Schädigungen in diesem Bereich führen zu Vernarbungen und Funktionsverlust.

Eine Sonderform stellen die sogenannten nephrotischen Syndrome dar. Diese sind charakterisiert durch einen starken Verlust von Eiweiß über den Urin (über 3g pro Tag). Bei diesen Erkrankungen ist eine ganz bestimmte Region im Bereich des Nierenfilters gestört (Podozyt) und machen diesen „durchlässig“. Auch hier ist die Ursache häufig eine Autoimmunerkrankung. Diese heißen membranöse Glomerlonephritis oder Minimal Change Disease und zeigen sich auch fast nur an den Nieren und können auch sekundär durch Tumore ausgelöst oder in Kombination mit anderen Autoimmunerkrankungen bzw. Infektionen auftreten.

Autoimmunerkrankungen können (etwas seltener) aber auch andere Strukturen der Nieren, z.B. das „Tubulointerstitium“, betreffen. Das ist der Bereich durch den die Nierenkanälchen verlaufen und den primären Harn bis in das Nierenbecken transportieren. Dort finden wichtige Resorptionsvorgänge (z.B. die Konzentrierung des Urins) statt. Klassische Autoimmunerkrankungen wie Rheuma oder Kollagenosen (z.B. das Sjögren Syndrom), können diesen Bereich entzünden. Das sind die sogenannten tubulointerstitiellen Nephritiden.

Wie häufig sind Autoimmunerkrankungen, die die Nieren betreffen, in Ihrer klinischen Praxis?

Ein Teil unserer Patienten, die entweder zur Diagnostik oder Langzeitbehandlung aufgrund einer chronischen Nierenerkrankung kommen, haben Autoimmunerkrankungen. Vom Bauchgefühl würde ich sagen es könnten ca. 20% sein. Der weitaus größte Anteil an Auslösern für Nierenkrankheiten fällt auf die „Volkskrankheiten“ Bluthochdruck und Diabetes mellitus. Diese sind also nicht „autoimmun“ verursacht. Bei einigen Patienten, die erst im Spätstadium der Nierenkrankheit zur Diagnostik kommen, weiß man häufig gar nicht was die Ursache war. Ein nicht ganz geringer Teil der Patienten hat auch Autoimmunerkrankungen, bei denen nicht die Krankheit, sondern die Begleitkomplikationen der Erkrankung oder Nebenwirkung der Therapie (v.a. bestimmte Schmerzmittel) die Nieren schädigen.

Welche spezifischen Autoimmunerkrankungen sehen Sie am häufigsten und welche Symptome treten typischerweise auf?

Tückisch bei Nierenkrankheiten ist, dass sie v.a. zu Beginn fast symptomlos verlaufen. Blut oder Eiweißbeimengungen im Urin können oft den entscheidenden Hinweis liefern. Dies ist leider oft mit dem bloßen Auge nicht zu erkennen, man benötigt hierzu einen „Streifentest“ des Urins. Subjektiv bemerkbare „Alarmsymptome“, die an die Nieren denken lassen sind:
Bluthochdruck, Wassereinlagerungen (Ödeme der Knöchel oder Augenlider) und eine Makrohämaturie (also sichtbares Blut im Urin). Der Hausarzt kann dann durch Blut und Urinuntersuchung die Verdachtsdiagnose einer Nierenkrankheit stellen und überweisen.

Bei den rheumatischen Systemerkrankungen sollte immer auch auf Nierenbeteiligung „gescreent“ werden (also nach den typischen Veränderungen m Blut und Urin).

Wie wichtig ist eine frühzeitige Diagnose und Behandlung von Autoimmunerkrankungen, um Nierenschäden zu vermeiden?

Enorm wichtig!
Je früher man die Ursache der Nierenerkrankung erkennt, desto schneller kann man z.B. den Entzündungsprozess in der Niere kontrollieren.
Wenn bereits viele Niereneinheiten durch eine Entzündung vernarbt sind, kann sich die Funktion der Nieren auch trotz Remission der Autoimmunerkrankung verschlechtern. Dies nennt man Progression der chronischen Nierenkrankheit.

Welche speziellen Komorbiditäten treten häufig bei Patienten mit Autoimmunerkrankungen der Niere auf?

Die typischen Komorbiditäten, sind die Komplikationen, die mit dem Verlust von Nierenfunktion einhergehen.
Relativ früh und häufig tritt Bluthochdruck auf. Da die Nieren aber im Körper sehr viele Vorgänge beeinflussen, können im späteren Stadium einige Probleme auftreten. Zu erwähnen sind Störungen des Knochenstoffwechsels (Regulation von Calcium, Phosphat und Vitamin D), Störungen der Blutbildung (EPO wird von den Nieren produziert), Störungen des Salz- und Wasserhaushaltes (Wassereinlagerungen) und viel später mangelnde Entgiftung.

Welche diagnostischen Verfahren und Labortests werden eingesetzt, um Autoimmunerkrankungen der Niere und damit verbundene Komorbiditäten zu identifizieren?

Die nephrologische Basisuntersuchung umfasst eine Untersuchung des Blutes mit Bestimmung der Nierenwerte (z. B. Kreatinin), aber auch von Blutwerten, die mit der Niere assoziiert sind (Blutsalze, bestimmte Hormone …) und Stoffwechselparameter. Eine gründliche Untersuchung des Urins (Streifentest, Eiweiß Bestimmung) inklusive einer mikroskopischen Untersuchung in der Praxis (Urinsediment) und einer Ultraschall-Untersuchung der Nieren (Sonografie). Bei Verdacht können im Labor Autoantikörper bestimmt werden.
Der Goldstandard der Diagnosesicherung bei Autoimmunerkrankungen ist die Nierenbiopsie. Bei dieser wird in einem kleinen Eingriff eine winzige Probe aus einer der Nieren (mit einer Stanze) entnommen und einem Pathologen übergeben. Dieser kann diese mikroskopisch beurteilen und die exakte Diagnose stellen.

Welche Behandlungsmöglichkeiten stehen zur Verfügung, um die Nierenfunktion bei Patienten mit Autoimmunerkrankungen zu erhalten oder zu verbessern?

Die Behandlung richtet sich nach der Diagnose der Autoimmunerkrankung. Nicht jede Autoimmunerkrankung wird gleich behandelt. Die Behandlungsprotokolle der einzelnen Autoimmunerkrankungen bieten mittlerweile ein breites Spektrum an Medikamenten. Biologika, wie z. B. Rituximab, spielen eine immer größere Rolle. Aber auch die klassischen immunsuppressiven Substanzen wie Cortison (Prednisolon) und Cyclophosphamid kommen häufig zum Einsatz.

Inwiefern ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit anderen medizinischen Fachgebieten wichtig, um eine umfassende Betreuung für Patienten mit Autoimmunerkrankungen und Nierenkomorbiditäten zu gewährleisten?

Gerade bei den Autoimmunerkrankungen, die sich systemisch manifestieren, bei denen neben der Niere auch andere Organe wie z. B. Lunge, Gelenke und Haut betroffen sind, erfordern eine engmaschige interdisziplinäre Kooperation und Absprache. Mit fortschreitender Nierenfunktionseinschränkung müssen auch bestimmte Medikamente an die Nierenleistung angepasst werden oder können unter Umständen gar nicht mehr gegeben werden. Auch bei bestimmten diagnostischen Schritten, bei denen z. B. Röntgenkontrastmittel benötigt wird, muss die aktuelle Nierenleistung beachtet werden.

Wie machen Sie Ihren Patienten Mut?

Die meisten Patienten sind zum Teil sehr beunruhigt, wenn sie erfahren, dass sie eine Nierenerkrankung haben. Nicht selten besteht die Vorstellung, dass man dann bald an die Dialyse muss und sich das Leben nun radikal ändern wird.
Erfreulicherweise kann man aber gerade Autoimmunerkrankungen heutzutage häufig so behandeln, dass die Erkrankung zum Stillstand kommen kann. Entdeckt man die Erkrankung früh und beginnt eine wirksame Therapie, muss es noch nicht mal zu einem höhergradigen Nierenfunktionsverlust kommen. Auch eine chronische Nierenerkrankung kann man heutzutage durch neue Therapiekonzepte und einen disziplinierten Lebenswandel so günstig beeinflussen, dass es gar nicht zum terminalen Nierenversagen und somit zur Dialyse kommen muss. Wenn dies den Patienten ordentlich erklärt wird und sie für die Therapie und den gesunden Lebensstil motiviert, hat man häufig schon viel erreicht.