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Weltgesundheitstag am 7. April 2021 – „Gesundheitliche Chancengleichheit“

Interview mit Dr. Peer M. Aries zum Weltgesundheitstag am 7. April 2021

Anlässlich des Gründungsdatums der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Jahr 1948 findet jährlich am 7. April der Weltgesundheitstag statt. Der diesjährige Weltgesundheitstag steht unter dem Motto “Gesundheitliche Chancengleichheit”. Wir haben Herrn Dr. Peer M. Aries, Spezialist für Rheumatologie in Hamburg, dazu ein paar Fragen gestellt.

Bild: Aufruf von Dr. Peer M. Aries - Initiative zur einheitlichen Dokumentation der Patienten mit Covid-19 Infektionen1. Der Weltgesundheitstag steht dieses Jahr unter dem Motto „Gesundheitliche Chancengleichheit“. Wo sehen Sie bei der medizinischen Versorgung in Deutschland ein Ungleichgewicht? Wo müsste ihre Meinung nach noch verbessert werden?

Die in Deutschland angebotene medizinische Versorgung ist hochwertig und steht Allen zur Verfügung. Theoretisch. Letztendlich reicht es aber nicht nur ein Hochleistung – System zur Verfügung zu stellen, wenn die Hürden dieses System in Anspruch zu nehmen, für viele Bürger eben dann doch unüberwindbar sind. Viele denken dabei an kleinere Randgruppen, die in Relation zu den anderen großen Gruppen vielleicht zu vernachlässigen sein.

Praktisch ist es aber so, dass jeder von uns relativ schnell zu einer Randgruppe gehören kann und ihm damit der Zugang zu dem Gesundheitssystem eben auch verwehrt bleibt. Denken wir an die Gruppen, die entweder nicht der deutschen Sprache mächtig sind, die sehbehinderten, die gehbehinderten oder auch den Jugendlichen, die manchmal Eltern mit den zuvor genannten Einschränkungen haben. Heute mag es uns vielleicht nicht interessieren, ob die Praxis Treppenstufen hat, Morgen oder in 10 Jahren könnte es aber auch uns davon abhalten zum Hausarzt zu gehen. Gerade habe ich selber miterlebt, wie ausländische Familien einen negativen Corona Test beim Amt vorlegen sollten, um ihren Aufenthaltsstatus zu klären, aber keine 25 € für jedes einzelne Familienmitglied für einen Corona -Antigenschnelltest zahlen konnten. Ändern sollte sich neben der „Awarness“ eben auch die Zugangsmöglichkeiten zu dem Gesundheitssystem.

2. Wie kann man präventiv vorarbeiten, um benachteiligte Zielgruppen rechtzeitig zu erreichen?

Die besondere Schwierigkeit ist, dass die benachteiligten Zielgruppen sich eben nicht in den gleichen Räumen bewegen, wie die übrige Gesellschaft. Somit sind sie auch mit den klassischen Instrumenten wie den klassischen Medien oder den sozialen Medien nicht zu erreichen. Niedrigschwellige Zugangsmöglichkeiten gibt es nur durch die Präsenz in den gleichen Räumen, in denen sich die benachteiligten Zielgruppen bewegen. Dieses können soziale oder kirchliche Einrichtungen oder auch die Ämter an sich.

3. Der Sozialstatus hat einen starken Einfluss auf die Gesundheit und resultiert in ungleich verteilten Gesundheitschancen. Wie wirkt sich das ganz spezifisch bei Autoimmunerkrankungen aus? Sehen sie da große Unterschiede bei Behandlungserfolgen
etc.?

Letztendlich ist der Einfluss des Sozialstatus auf die Autoimmunerkrankungen nicht viel anders als bei den anderen chronischen Erkrankungen. Das Thema der späten Erkennung der Erkrankung und späten Einleitung der Therapie bzw. die Notwendigkeit der kontinuierliche medizinische Betreuung ist für alle chronischen Erkrankungen vergleichbar. Ob es nun der Diabetes mellitus ist, die Rheumatoide Arthritis oder der hohe Blutdruck, letztendlich führen alle chronischen Erkrankungen
zu einer mittleren langfristigen weiteren Schädigung der Organsysteme.

Nicht selten überschneiden sich die chronischen Erkrankungen, der Patient mit der Psoriasis vulgares z.B. hat proportional häufiger einen hohen Blutdruck bzw. der Patient mit chronischen Schmerzen hat proportional häufiger depressive Episoden. Somit ergibt sich eigentlich kein spezifischer Einfluss des Sozialstatus auf die einzelne autoimmune Erkrankung.

4. Glauben Sie, dass das gesundheitliche Ungleichgewicht durch die Corona – Pandemie noch größer geworden ist und warum?

Dieses ist leider zu befürchten. Für viele Randgruppen ist es die einzige Chance die Leistung des Gesundheitssystems abzurufen, indem andere Menschen Ihnen dabei helfen. Durch die deutliche Reduktion der sozialen Kontakte entsteht eine größere Distanz
innerhalb der Gesellschaft. Die größten Nachteile haben deshalb die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft, die nicht eigenständig in der Lage sind, sich zu organisieren oder medizinische Leistungen in Anspruch zu nehmen. Das gefährliche ist, dass die Folgen nicht sofort erkennbar sind, sondern erst am Verlauf der nächsten Monate und Jahre. Die dadurch resultierende Ungleichheit führt zu einer größeren Frustration und noch größerer sozialer Distanz der einzelnen Bevölkerungsgruppen. Der Vergleich mit einem Pulverfass ist wahrscheinlich nicht ganz falsch.